Das Rettungspaket für Spanien und das Gespenst der 1930er Jahre

Die Ankündigung, dass Spanien ein Rettungspaket von 100 Milliarden Euro aus dem Europäischen Finanzmechanismus erhält, stellt eine weitere Verschärfung der Krise des Kapitalismus dar. Die Tatsache, dass es vier Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und zwei Jahre nach dem ersten Rettungspaket für Griechenland nötig ist, eine der stärksten Wirtschaftsmächte Europas zu retten, entlarvt alle Behauptungen über die Lebensfähigkeit des Kapitalismus als Lügen.

Die Bedingungen, unter denen das Rettungspaket arrangiert wurde, zeigen seinen improvisierten und verzweifelten Charakter. Die Ankündigung erfolgte kurz nachdem die Großmächte, vor allem die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland heftigen Druck ausgeübt hatten. Deutschland hatte sich geweigert, mehr Geld zu drucken, um das zerfallende Bankensystem in Europa zu stützen. Die Angelegenheit soll bis zu den Wahlen in Griechenland am nächsten Sonntag erledigt sein. Darin zeigt sich die Angst der internationalen Bourgeoisie, vor einer massiven Abstimmung gegen das Sparprogramm, der in Spanien, Italien und anderen europäischen Ländern ein Sturm auf die Banken und ein noch schwererer Finanzzusammenbruch als im September 2008 folgen könnte.

Niemand sollte die Behauptung glauben, das Rettungspaket wäre nicht an Bedingungen geknüpft. Im Gegensatz zu den Geldspritzen für Griechenland, Irland und Portugal verheimlichen die Banker, die die Europäische Union dominieren, diesmal die neuen Angriffe auf die Arbeiterklasse, die für das Rettungspaket zahlen soll.

Spanien hat sich bereits bereit erklärt, im Jahr 2012 27 Milliarden Euro einzusparen und im nächsten Jahr noch einmal dieselbe Summe. Diese Kürzungen haben dazu beigetragen, in Spanien depressionsartige Zustände zu schaffen: Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent.

Die Aussicht, dass Griechenland aus der Eurozone austritt, die Verschärfung der Bankenkrise in Europa und Anzeichen für einen weltweiten Abschwung haben zu einer wachsenden Zahl von Kommentaren in den Medien geführt, in denen vor einer Rückkehr zu Verhältnissen wie in den 1930ern gewarnt wird. Ökonomen und Kolumnisten fällt mit zunehmender Sorge auf, dass die Großmächte keine Einigung erzielen können und allgemein eine Atmosphäre der Verwirrung und Lähmung herrscht.

Dass solche Bedenken offen geäußert werden, zeigt das fortgeschrittene Stadium der Weltkrise. Letzte Woche erschien in der Financial Times ein Artikel von Martin Wolf mit dem Titel „Panik ist allzu rational“, in dem er schrieb, der Westen befinde sich bereits in einer „unterdrückten Depression.“

Er schrieb: „Bisher habe ich nie wirklich verstanden, wie es zu den Zuständen in den 1930ern kommen konnte. Jetzt verstehe ich es. Alles was dafür nötig ist, sind fragile Volkswirtschaften; ein rigides Finanzregime; heftige Debatten darüber, was getan werden muss; die Ansicht, Leiden sei etwas Gutes; kurzsichtige Politiker; die Unfähigkeit zur Kooperation und zum Mithalten mit den Ereignissen.

In einem weiteren Artikel, geschrieben als Reaktion auf die Aussage eines führenden Vertreters des deutschen Finanzministeriums, der „kurzfristige Maßnahmen“ und die Einführung von Eurobonds ablehnte, warnte Wolf: „Vor allem in Deutschland wird oft vergessen wird, dass nicht die große Inflation zu Adolf Hitlers Aufstieg führte – die war zehn Jahre davor – sondern die Große Depression und die Sparpolitik von Heinrich Brüning.“

Der Historiker Niall Ferguson und der Ökonom Nouriel Roubini äußerten sich in einem gemeinsamen Kommentar in der Samstagsausgabe der Financial Times mit dem Titel „Berlin ignoriert die Lehren aus den dreißiger Jahren“ ähnlich. Sie schrieben: „Die Deutschen konzentrieren sich heute mehr auf die nicht wirklich bedrohliche Inflation. Sie messen damit dem Jahr 1923 (dem Jahr der Hyperinflation) mehr Bedeutung zu als dem Jahr 1933 (in dem die Demokratie starb). Sie wären gut beraten, sich daran zu erinnern, wie eine europäische Bankenkrise zwei Jahre vor 1933 direkt zum Zusammenbruch der Demokratie beigetragen hat, nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern auf dem ganzen europäischen Kontinent.“

Vor zwei Jahren warnte der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet, Europa sei „in der schwierigsten Lage seit dem Zweiten Weltkrieg – vielleicht sogar in der schwierigsten seit dem Ersten Weltkrieg.“ Damals galt die Vorstellung, Griechenland müsse die Eurozone verlassen, und ein Auseinanderbrechen der Einheitswährung allgemein als „undenkbar.“ Jetzt hat sich die Krise von den „Peripheriestaaten“ ins Herz Europas ausgebreitet.

Wenn die führenden bürgerlichen Kommentatoren jetzt öffentlich vor einer weltweiten Depression warnen und das Gespenst Adolf Hitlers an die Wand malen, wie mag es sich dann erst hinter verschlossenen Türen anhören?

Der Zusammenbruch des Kapitalismus in den 1930ern führte zu Faschismus, zum Zweiten Weltkrieg, und zu siebzig Millionen Toten. Dieses Grauen konnte geschehen, weil die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse, die durch die Krise des Kapitalismus hervorgerufen wurden, von Stalinismus und Sozialdemokratie verraten worden waren.

Leo Trotzki charakterisierte die Weltlage im Jahr 1938 im Gründungsprogramm der Vierten Internationale folgendermaßen: „Die Produktivkräfte der Menschheit haben aufgehört zu wachsen. Neue Erfindungen und technische Neuerungen vermögen bereits nicht mehr, zu einer Hebung des materiellen Wohlstands beizutragen. Unter den Bedingungen der sozialen Krise des gesamten kapitalistischen Systems bürden Konjunkturkrisen den Massen immer größere Entbehrungen und Leiden auf. Die wachsende Arbeitslosigkeit vertieft wiederum die staatliche Finanzkrise und unterhöhlt die zerrütteten Währungen. Demokratische wie faschistische Regierungen taumeln von einem Bankrott in den andern. Die Bourgeoisie selbst sieht keinen Ausweg mehr.“

Kaum ein Wort dieser Einschätzung müsste abgeändert werden, wenn man damit die heutige Lage umschreiben wollte. Und der zentrale Schluss, den Trotzki zog, der seinen Kampf für die Gründung der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution antrieb, hat heute nichts von seiner Dringlichkeit eingebüßt: „Die geschichtliche Krise der Menschheit läuft auf die Krise der revolutionären Führung hinaus.“

Die arbeitende Bevölkerung der Welt muss die Bezugnahme auf die 1930er Jahre als Warnung ansehen und die notwendigen Schlüsse ziehen. So wie damals beginnt heute eine Periode revolutionärer Klassenkämpfe. So wie damals sind heute die Alternativen Sozialismus oder Barbarei.

Die Hauptaufgabe ist der Aufbau einer neuen revolutionären Führung der Arbeiterklasse, um für die künftigen Massenkämpfe eine gründlich ausgearbeitete Strategie und ein Programm zu entwickeln, das die Interessen der arbeitenden Bevölkerung artikuliert. Nur ein sozialistisches und internationalistisches Programm wird das erreichen, und nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Parteien kämpfen für ein solches Programm. Wer die Notwendigkeit des Kampfes für den Sozialismus und gegen das gescheiterte kapitalistische System erkennt, sollte sich dazu entschließen, sich dem IKVI anzuschließen.

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