Salafistenrazzia schürt Islamfeindschaft

Mitte Juni wurde die islamistische Gruppe Millatu Ibrahim wegen angeblich verfassungsfeindlicher Aktivitäten vom Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verboten. Bei einer Großrazzia in mehreren Bundesländern kamen 800 Polizisten zum Einsatz und 82 Wohnungen wurden durchsucht. Kartonweise wurde beschlagnahmtes Material, wie Videoanlagen, Laptops, Handys und Computer, von den Sicherheitskräften mitgenommen. das nun ausgewertet werden soll.

In einer Moschee in Solingen wurde ein Mann verhaftet, der mit einem internationalen Haftbefehl aus Großbritannien gesucht wurde. Zu weiteren Festnahmen kam es nicht, aber gegen zwei weitere salafistische Vereine wurden Ermittlungen eingeleitet, mit dem Ziel, Beweise zu finden, die ebenfalls ein Verbot rechtfertigen. Innenminister Friedrich erklärte, die Aktion sei außerordentlich „erfolgreich“ verlaufen.

Die Gruppierung Millatu Ibrahim gehört zur fundamentalistischen islamischen Minderheit der Salafisten und stellt innerhalb dieser eine sehr kleine Minderheit dar. Insgesamt werden von Sicherheitskreisen rund 4.000 Islamisten zu den Salafisten gezählt. Andere Schätzungen gehen von 2.500 aus. Unter den so genannten 130 Gefährdern in Deutschland, denen laut Sicherheitsbehörden islamistische Anschläge zugetraut werden, seien 24 Salafisten. Die Gruppe vertritt eine reaktionäre wörtliche Koranauslegung und anerkennt keine weltlichen Regierungsorgane und Behörden und nur die Scharia als „von Gott gegebenes“ Gesetz. Damit unterscheidet sie sich allerdings kaum von christlichen Fundamentalisten, die die Bibel wörtlich verstehen und nur ihre Gebote für gültig halten.

Vorgeworfen wird den Salafisten, dass sie gewaltbereite Jugendliche und Konvertiten anziehen und zu Terrorakten anstacheln. Aber eine konkrete Straftat konnten Innenminister Friedrich und die Behörden nicht gegen die Gruppe ins Feld führen. Stattdessen werfen sie der Organisation vor, gegen den „Gedanken der verfassungsrechtlichen Ordnung und der Völkerverständigung“ zu verstoßen, sagte Friedrich. Sie habe eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung. Die dürftigen Begründungen für die große Staatsaktion des Innenministers zusammen mit seinen früher gegen den Islam gerichteten Äußerungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass es sich bei der Durchsuchungs- und Verbotsaktion vor allem um eine gezielte Kampagne handelt, die Islamfeindschaft anzuheizen. Dafür spricht auch die Vorgeschichte der Aktion.

Im Frühjahr dieses Jahres gab es schon einmal eine große Medienkampagne gegen die Salafisten, weil eine Gruppe von ihnen in den Fußgängerzonen deutscher Städte Koranexemplare verteilten. Wie das bayerische Innenministerium mitteilte, wurden in München Räume des Vereins „Nur für Dich“ im Stadtzentrum durchsucht. Dabei handelt es sich um eine Unterorganisation der Gruppierung „Die wahre Religion“. Dieser Verein soll Spenden gesammelt haben und gilt als Besteller der Koran-Ausgaben, die in den Fußgängerzonen verteilt wurden.

Zum Anlass für das Verbot und die Razzia, wurden unter anderem Vorfälle angeführt, die sich wenige Tage vor der Landtagswahl im Mai in mehreren Städten des Bundeslands ereignet hatten.

Welche Rolle Rechtsextreme, Medien und Sicherheitsbehörden im Vorfeld der Aktion spielten, um das Feindbild Islam aufzubauen, wird aus dem Verlauf einiger medienwirksam inszenierter Zusammenstöße zwischen der rechtsextremen antiislamischen Partei Pro NRW und Salafisten deutlich.

Am 30. April hatten die Verwaltungsgerichte in Köln und Düsseldorf einen Verbotserlass aufgehoben, der sich gegen geplante Aktionen der Partei Pro NRW richtete. Diese rechtsextreme Partei versuchte durch eine gezielte Provokation und die einkalkulierte Reaktion der Islamisten ihren Wahlkampf für die bevorstehende Landtagswahl in die Schlagzeilen zu bringen.

So standen sich am 1. Mai in Solingen knapp zwei Dutzend Pro-NRW-Wahlkämpfer und etwa 60 Salafisten gegenüber. Ein massives Polizeiaufgebot trennte die beiden Gruppen voneinander. Die Rechtsextremen marschierten an der salafistischen Moschee entlang und präsentierten antimuslimische Karikaturen, womit sie eine wütende Reaktion der Islamisten provozierten. Die Massenmedien publizierten Bilder von Salafisten, die Steine warfen und die Polizeiabsperrung durchbrechen wollten, aber von Polizisten auf den Boden geworfen wurden.

Die Medienberichte und Bilder von Straßenschlachten sollten die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Mai 1993 in Solingen in Erinnerung rufen, die auf derselben Straße getobt hatten, nachdem von einer rechtsradikalen Gruppe ein Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Solinger Wohnhaus verübt worden war, bei dem fünf Frauen ums Leben kamen.

Diese überzogenen Medienberichte über die Solinger Ereignisse führten dazu, dass zur Bonner Demonstration von Pro NRW am 5. Mai „nach Polizeiangaben 500 bis 600 Gegendemonstranten“ anreisten, die auf „weniger als 30 Pro-NRW-Leute“ (Frankfurter Rundschau) trafen. Begleitet wurden diese Aufmärsche gegenüber denen in Solingen von nochmals deutlich erhöhten Polizeikräften. Die gezielte Provokation der Rechten führte auch in der Beethovenstadt zu Gewaltausbrüchen mit zahlreichen Festnahmen.

Eine Woche später erhielt die Rechtspartei Pro NRW bei der Landtagswahl 1,5 Prozent der Stimmen. Damit erreichte die hochverschuldete Kleinpartei ein überlebenswichtiges Ziel: laut Wahlgesetz steht Parteien, die über ein Prozent der Stimmen erhalten, Wahlkampfkostenerstattung zu.

Während die offen rassistische Pro NRW-Partei einen Geldregen aus der Staatskasse erhält, setzte das Innenministerium die Offensive gegen die Salafisten fort. Das Verbot der Gruppe Millatu Ibrahim wegen angeblich verfassungsfeindlicher Aktivitäten ist ein Angriff auf die Organisations- und Religionsfreiheit. Es kann schnell auch gegen politische Organisationen gerichtet werden und muss scharf zurückgewiesen werden.

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