Perspektive

Hände weg von Syrien!

Die Versuche der Medien, Empörung über das Hula-Massaker aufzupeitschen, und die koordinierte Ausweisung syrischer Diplomaten durch die Großmächte sind durch und durch zynisch. Sie wollen damit die Destabilisierungskampagne der Obama-Regierung und ihrer europäischen und nahöstlichen Verbündeten rechtfertigen, die direkt für das Massaker von Hula und alle anderen Gräueltaten in Syrien verantwortlich sind, die seit Beginn des Konfliktes 2011 begangen worden sind.

Gegen diese nackte Propaganda müssen Arbeiter und Jugendliche sämtliche Forderungen nach einer Militärintervention gegen Syrien standhaft ablehnen.

Es gibt immer noch keine verlässlichen Berichte darüber, was in Hula wirklich geschehen ist. Nichts widerlegt wirklich stichhaltig die Behauptung des Assad-Regimes, es habe mit dem Massaker nichts zu tun, sondern es sei das Werk von Provokateuren. Alle bisherigen Zeugen stammen aus dem sunnitischen Lager und können von der Oppositionsführung entsprechend instruiert worden sein. Alle Angaben, angefangen von den Opferzahlen bis hin zur Identität der Opfer, die regelmäßig als Zivilisten statt als Aufständische bezeichnet werden, sind in der Regel übertrieben oder falsch dargestellt, wie die Beobachter der Vereinten Nationen zugeben müssen.

Aber selbst wenn die Darstellung der Opposition in vollem Umfang zutreffen sollte, wenn wirklich die meisten Toten Opfer sektiererischer, regierungsfreundlicher alawitischer Milizen waren, und wenn zuvor die Armee Stellungen der Opposition beschossen hatte, dann ist Hula nur ein schreckliches Beispiel von vielen, ja zahllosen Gräueltaten, die in Syrien begangen werden.

Der exklusive Fokus auf Hula betrachtet das Massaker isoliert von der tagtäglichen sektiererischen Gewalt, die von beiden Seiten begangen wird. In Damaskus und anderswo sind Entführungen, Folter, Morde und Autobomben an der Tagesordnung. Sie werden von oppositionellen al-Quaida-Anhängern verübt, die schon hunderte Menschenleben auf dem Gewissen haben. Bei einem einzigen Anschlag in Damaskus kamen am 10. Mai 55 Menschen ums Leben, vierzig weitere im Dezember bei einem anderen.

Tausende sind auf beiden Seiten getötet worden, und noch viel mehr wurden verstümmelt oder aus ihren Häusern vertrieben. Die Krokodilstränen, die vom Weißen Haus, der Downing Street oder dem Élysée-Palast vergossen werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Westmächte dies billigend in Kauf nahmen, als sie sich letztes Jahr entschlossen, den sunnitischen Aufstand zu finanzieren und zu bewaffnen.

Die imperialistischen Mächte sind Meister darin, religiöse, ethnische und Stammesgegensätze im Interesse ihrer Politik des „Teile und Herrsche“ zu manipulieren. Weil die Massenaufstände in Tunesien und Ägypten verlässliche Marionettenregimes gestürzt hatten, waren die Imperialisten entschlossen, auf alle folgenden politischen Veränderungen in den strategisch wichtigen Gebieten Nordafrikas und des Nahen Ostens Einfluss zu nehmen. Wo Oppositionelle (wie in Ägypten, Bahrain und Saudi-Arabien) Verbündete des Westens bedrohten, wandten sich die Imperialisten direkt gegen sie oder lenkten die Opposition auf sunnitische Bewegungen wie die Muslimbrüder, um diese sodann im Bündnis mit den Regimes am Golf und der Türkei zu einer neuen regionalen Machtbasis aufzubauen. Oder sie brachten sunnitische Aufständische gegen Regimes in Stellung, die entweder als unzuverlässig galten, wie Muammar Gaddafi in Libyen, oder die dem Iran zu nahe standen, wie das Assad-Regime in Syrien.

Iran ist bei allen Verschwörungen gegen Syrien immer das eigentliche Zielobjekt, neben dem allgemeineren geostrategischen Ziel, den Einfluss Russlands und Chinas einzugrenzen.

Wenn westliche Politiker über einen “Absturz” Syriens in den Bürgerkrieg lamentieren, und der Sondergesandte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga davon spricht, es sei ein “Wendepunkt” erreicht, dann versuchen sie die Völker der Welt für dumm zu verkaufen. Auf genau dieses Ergebnis arbeiten die Großmächte seit dem ersten Tag hin.

Die Aufständischen in Syrien wurden im Auftrag Washingtons von dessen Verbündeten Saudi-Arabien und Katar bewaffnet und auf einem von der Türkei zur Verfügung gestellten Stützpunkt organisiert. Sie wurden in Gegenden um Deraa und Homs in Stellung gebracht.

Der Plan sieht vor, Syrien politisch so weit zu destabilisieren und durch Sanktionen so stark zu schwächen, dass Assad gezwungen ist, zurückzutreten. Oder, falls es in den multireligiösen städtischen Zentren wie Damaskus und Aleppo nicht möglich ist, Unterstützung für einen sektiererischen Aufstand zu gewinnen, dann sollen die Arabische Liga und die Türkei einen Stellvertreterkrieg führen. In den herrschenden Kreisen wird im Moment noch darüber diskutiert, ob das Hula-Massaker jetzt als Vorwand ausreicht, um diesen Kurs einzuschlagen.

Der neugewählte Präsident Frankreichs, François Hollande (PS), tritt in die Fußstapfen von Nicolas Sarkozy und erklärt so entschlossen wie keiner: “Eine Militärintervention kann nicht ausgeschlossen werden, wenn sie unter Beachtung internationalen Rechts durchgeführt wird, d.h. mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrats.“

Eine verachtenswerte Rolle im Dienste der Imperialisten spielen ex-linke Gruppierungen wie die britische Socialist Workers Party, die eine Neuauflage ihrer Rolle in Libyen darbieten. Sie stellen einen vom Westen inspirierten sektiererischen Aufstand als „Revolution“ der Massen hin. Wie in Libyen warnen sie vor einer direkten militärischen Intervention des Westens (als wenn die nicht schon im Gange wäre), unterstützen aber bürgerliche Bewegungen wie den Syrischen Nationalrat, lokale Koordinationskomitees und die Freie Syrische Armee, deren ausdrückliches Ziel es ist, eine solche Intervention zu provozieren.

In Syrien wie im ganzen Nahen Osten hängt alles davon ab, den politischen Einfluss bürgerlicher Kräfte auf die Massen zu überwinden, seien diese Kräfte islamistisch, liberal oder scheinbar links. Ihr Einfluss macht es erst möglich, dass Imperialisten den Lauf der Ereignisse bestimmen können. Das hat schon zur Wahl eines islamistischen Regimes in Tunesien geführt, das von Katar finanziert wird, und in Ägypten hat es ermöglicht, dass die Islamisten die Wahlen dominieren konnten und das Militär immer noch fest im Sattel sitzt. In Libyen hat auf diese Weise ein blutiger Krieg ein pro-westliches Marionettenregime an die Macht gebracht.

Vieles steht auf dem Spiel. Der Bürgerkrieg in Syrien und die wachsende Drohung einer Intervention des Westens bringt die Gefahr eines regionalen Kriegs mit sich, in den auf der einen Seite der Iran und auf der anderen die Türkei und die Golfmonarchien hineingezogen würden, und der den Nahen Osten zerreißen würde. Die Arbeiterklasse muss alles tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern.

Die reaktionären Regimes in Riad, Doha, Kairo und Tunis verdienen nicht weniger ihren Untergang als die Baathisten in Damaskus. Sie alle müssen gestürzt und von sozialistischen, antiimperialistischen und wirklich demokratischen Regierungen ersetzt werden. Diese Regierungen werden die Arbeiterklasse und die ländlichen Massen unabhängig von Religion oder ethnischer Zugehörigkeit zusammenschließen.

Im Westen muss eine neue Antikriegsbewegung entstehen. Auch sie muss von der Kontrolle der Pseudolinken und Liberalen befreit werden, die inzwischen größtenteils zu offenen Befürwortern “humanitärer Kriege” geworden sind. Arbeiter und Jugendliche in Amerika und Europa müssen das moralisierende Gehabe ihrer eigenen Regierung mit Verachtung strafen und ein Ende ihrer räuberischen Pläne in Syrien und dem ganzen Nahen Osten fordern.

Eine solche Massenbewegung erfordert eine neue Führung, die die Strategie der sozialistischen Weltrevolution verfolgt. Das ist das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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