Polizeigewalt in Anaheim: die Klassenfragen

Als Präsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party verurteile ich die brutale Erschießung des 25-jährigen Manuel Diaz in Anaheim und die anschließende gewaltsame Unterdrückung von Protesten. Diese Polizeibrutalität ist ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse und muss gemeinsam politisch beantwortet werden.

Nach dem Tod des unbewaffneten Diaz kam es zum Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen gegen friedliche Demonstranten, unter ihnen Kindern. Kaum 24 Stunden später wurde der 21-jährige Joel Acevedo angeblich im Verlauf einer Verfolgungsjagd erschossen, bei der er eine Waffe gezogen haben soll. Acevedo war schon die sechste Person, die in diesem Jahr von der Polizei von Anaheim erschossen wurde.

Das zweite Todesopfer provozierte noch größere Proteste vor dem Rathaus der Stadt. Bis zu tausend Menschen nahmen teil, und 24 wurden festgenommen. Ein paar Fensterscheiben gingen zu Bruch, und einige Wasserflaschen wurden geworfen. Die Polizei nahm diese Vorfälle zum Anlass, die Menge unter Einsatz von Elektroschlagstöcken und Gummigeschossen zu zerstreuen.

Die Proteste zeigen, wie groß die Wut in der arbeitenden Bevölkerung ist, nicht nur über die Polizeibrutalität, sondern auch über die soziale und wirtschaftliche Krise, welche die Arbeitslosigkeit in Kalifornien deutlich über zehn Prozent getrieben hat. Das Los der spanischstämmigen Arbeiterklasse in Anaheim, die zusätzlich unter drakonischen einwandererfeindlichen Maßnahmen zu leiden hat, ist besonders trübe.

Die Polizeigewalt und die dahinter stehende soziale Krise ist nicht in erster Linie eine Frage der Hautfarbe. Es sind Klassenfragen, d.h. Ausdrucksformen eines Wirtschaftssystems, in dem eine Handvoll Menschen den Reichtum der Gesellschaft monopolisiert, während die große Mehrheit aller Hautfarben ums Überleben kämpft.

Einem neueren Bericht zufolge ist das mittlere Einkommen seit 2000 um sechs Prozent gesunken. Das ist der schlimmste Rückgang seit der Großen Depression. Das oberste Prozent der Haushalte hingegen hat seinen Anteil am Nationaleinkommen seit 1972 von zehn auf zwanzig Prozent verdoppelt. Unter Barack Obama, dem ersten afroamerikanischen Präsidenten, hat sich das oberste Prozent 93 Prozent des Einkommenswachstums seit Beginn des so genannten „Aufschwungs“ unter den Nagel gerissen.

Unter solchen Bedingungen ist es für die herrschende Klasse unmöglich, ihren Reichtum und ihre Macht mit demokratischen und friedlichen Mitteln zu sichern. Stattdessen stärkt sie ständig die Polizei. Zuerst geschah das im Namen der Verbrechensbekämpfung, dann in jüngerer Zeit unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“. Die eigentliche, gesellschaftliche Funktion der Polizei besteht aber darin, die Interessen der Wirtschafts- und Finanzelite zu verteidigen.

Seitdem Diaz erschossen wurde, haben sich mehrere Gruppen zu Wort gemeldet, die betonen, dass der Polizeiangriff von der Aufrechterhaltung der Rassenspaltung motiviert sei. Aus diesem Grund müsse eine Bewegung gegen das “Neue Jim Crow” [Symbol der Rassendiskriminierung] aufgebaut werden. Der Versuch, die Empörung der Bevölkerung auf die Frage der Hautfarbe zu konzentrieren, zielt darauf ab, einen Teil des politischen Establishment der Demokratischen Partei ins Spiel zu bringen, der in hispanischen Organisationen (wie Presente.org) oder einer Bürgergruppe namens Los Amigos aktiv ist. Damit soll der einzige Weg verbaut werden, auf dem wirklich gegen Polizeigewalt und den Angriff auf demokratische Rechte gekämpft werden kann, nämlich durch eine gemeinsame politische Bewegung der gesamten Arbeiterklasse.

In Wirklichkeit betrifft Polizeibrutalität alle Teile der Arbeiterklasse, Weiße, Schwarze, hispanische und asiatische Einwanderer. Letztes Jahr gab es große öffentliche Empörung über den Mord an Kelly Thomas, einen weißen, obdachlosen Arbeiter, den Polizisten in Fullerton, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Anaheim, trotz empörter Passantenproteste zu Tode geprügelt hatten.

Nur eine Woche vor der Erschießung von Diaz und Acevedo führte die Polizei von Los Angeles einen brutalen Angriff auf eine kleine Gruppe von Occupy-Demonstranten. Auf dem jährlichen Chalk Art Festival im Zentrum von Los Angeles schossen Polizisten mit Gummigeschossen, prügelten und verhafteten Menschen, von denen die meisten weiß sind.

Die große Trennungslinie in den Vereinigten Staaten und weltweit verläuft zwischen einer schmalen Schicht von Superreichen auf der einen, und der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung auf der anderen Seite. Die herrschende Klasse reagiert auf die wachsende soziale Spannung, indem sie den Staat aufrüstet und die Polizeigewalt verstärkt. Wie die große Empörung über die Polizeimorde in Anaheim zeigt, ist Amerika reif für eine soziale Explosion.

Der Kampf gegen Polizeigewalt muss mit einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen Sparpolitik und Ungleichheit verbunden werden. Das erfordert, mit den Demokraten und Republikanern zu brechen und eine neue Partei der Arbeiterklasse aufzubauen. In Kalifornien verantwortet Gouverneur Jerry Brown beispiellose Angriffe auf die Gesundheitsversorgung, auf Bildung und andere Sozialprogramme. Das gleiche gilt für Obama auf Bundesebene.

Appelle an dieses politische Establishment bringen überhaupt nichts. Besonders die Untersuchung, die die Bundesregierung auf Aufforderung von Bürgermeister Tom Tait und des Stadtrats in Auftrag gegeben hat, soll nur die Polizei und die für die Gewalt Verantwortlichen reinwaschen.

Ein Ende der Polizeiunterdrückung ist erst in einer Gesellschaft mit wirklicher Gleichheit möglich, in der die Wirtschaft den Interessen der arbeitenden Bevölkerung dient und nicht den räuberischen Profitinteressen der Banken und Konzerne. Deshalb ist es notwendig, für den Sozialismus zu kämpfen. Der Präsidentschaftswahlkampf der Socialist Equality Party will in allen Schichten der Arbeiterklasse die Grundlage für eine solche Bewegung legen.

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