Perspektive

Südafrika

Massaker an Bergarbeitern

Das Massaker an streikenden Platinbergarbeitern in Südafrika am Donnerstag hat den unversöhnlichen Konflikt offengelegt, der zwischen der Arbeiterklasse auf der einen Seite und dem herrschenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) und den Gewerkschaften, die mit ihm verbündet sind, besteht.

Nach offiziellen Schätzungen sind bei dem barbarischen Polizeimassaker 34 Arbeiter getötet worden, in Wirklichkeit sind es wohl eher fünfzig. Dutzende weitere Menschen wurden verwundet, einige davon schwer, als die Polizei mit automatischen Waffen auf Bergarbeiter schoss, die mit Macheten und Stöcken bewaffnet waren. 259 Bergarbeiter wurden verhaftet. Familien suchen immer noch in Krankenhäuser, Leichenhallen und Polizeiwachen nach fehlenden Vätern, Brüdern und Söhnen.

Die Polizei feuerte mit Sturmgewehren auf nahezu wehrlose Arbeiter und rückte dann über ein staubiges Feld voller Blut überströmter Leichen und stöhnender Verwundeter vor. Dieser Anblick hat das Bewusstsein Südafrikas erschüttert und es in die schreckliche Zeit der Apartheid zurückversetzt, als ähnliche Massenmorde 1960 in Sharpeville und 1976 in Soweto begangen wurden.

Der offensichtlichste Unterschied ist, dass dieses Massaker nicht von einer weißen Minderheitsregierung organisiert wurde, die international geächtet war, sondern von einer Regierung aus ihren ehemaligen Gegenspielern, dem Afrikanischen Nationalkongress, der das Land seit achtzehn Jahren regiert und der seine Herrschaft als Erfolg des Befreiungskampfes und Garant für Gleichheit darstellt.

In Wirklichkeit wurde zwar die offizielle Apartheid abgeschafft, aber die wirtschaftliche Ungleichheit ist heute noch schlimmer als unter der weißen Minderheitsregierung. Zur reichen Führungselite in Südafrika gehören heute auch millionenschwere Schwarze, ehemalige ANC-Funktionäre, Gewerkschaftsführer und Geschäftsleute mit politischen Beziehungen. Die Kluft zwischen ihnen und den Massen der Arbeiter und Armen ist in Südafrika größer als in jedem anderen Land der Welt, mit Ausnahme von Namibia.

Wie die Zeitung Sowetan in ihrem Leitartikel auf der Frontseite am Freitag schrieb, hat das Massaker gezeigt, „dass die Zeitbombe aufgehört hat zu ticken – sie ist explodiert!“

Letzten Endes wurde diese Explosion durch die Weltkrise des Kapitalismus ausgelöst. Ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft Südafrikas und vor allem seinen Bergbausektor hat zu einer Verschärfung des Klassenkampfes in diesem Land geführt, genau wie im Nahen Osten, Europa und in der ganzen Welt.

Politische Analysten versuchen, die blutigen Ereignisse als Konflikt zwischen der Gewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) und einer militanteren Gewerkschaft namens Association of Mineweorkers and Construction Union (AMCU) darzustellen. Die NUM bildet mit ihren 300.000 Mitgliedern das Herz des Gewerkschaftsbundes Congress of South African Trade Unions (COSATU), der seinerseits mit dem ANC verbunden ist.

Aufgrund der wachsenden Wut der Bergarbeiter und der Korruption und Bereicherung der NUM-Funktionäre ist die AMCU jüngst stark angewachsen. Diese Korruption wird durch den ehemaligen NUM-Präsidenten Cyril Ramaphosa verkörpert. Er gehört heute zu Südafrikas reichsten Millionären und besitzt einen größeren Anteil an der Bergbaubranche und einen Platz im Vorstand des Londoner Bergbauunternehmens Lonmin, dem das Bergwerk gehört, in dem das Massaker stattfand. Sein Vermögen hat er dadurch erworben, dass er die Interessen der Bergarbeiter konsequent den Forderungen der Regierung und der internationalen Bergbauunternehmen unterordnete.

Laut Berichten vom Schauplatz des Massakers war die junge Gewerkschaft selbst nicht in der Lage, die Militanz der Streikenden zurückzuhalten.

Die Arbeiter, die vor einer Woche in dem Platinbergwerk in den Streik traten, gehören zu den am meisten ausgebeuteten Arbeitern der Welt: Für etwa 500 Dollar im Monat bedienen sie Gesteinsbohrer und müssen diese unter unvorstellbar schweren und gefährlichen Bedingungen in die Erde treiben. Viele von ihnen sind Wanderarbeiter aus Ländern wie Mosambik oder Swasiland, die das meiste von ihrem Geld an ihre Großfamilien schicken und in Hütten ohne Strom und fließendes Wasser leben.

Die 3000 Bergarbeiter, die sich auf einem Hügel oberhalb des Bergwerkes Marikana versammelt hatten, vertrieben zuerst den Präsidenten der NUM, der sie von einem Panzerauto der Polizei aus ansprechen wollte. Dann lehnten sie einen Appell des Präsidenten der AMCU ab und erklärten, sie würden lieber sterben, als weiter unter den bisherigen Bedingungen zu arbeiten.

Die Polizei erhielt ausdrücklich den Auftrag, diese Arbeiter niederzuschießen. Polizeifunktionäre sprachen von dem Einsatz als „D-Day“ und kündigten „äußerste Gewalt“ an. Ein Reporter der Johannesburger Tageszeitung Star namens Poloko Tau schrieb am Freitag: „Es war ein wohl geplanter Angriff, der die Proteste in ein Gemetzel verwandelte.“

Nachdem die Polizei die Menge mit Tränengas, Wasserwerfern und Blendgranaten auseinandergetrieben und Bergarbeiter mit Pferden und Panzerwagen gejagt hatte, wurde ein Teil der Arbeiter vor eine Reihe von Polizisten mit automatischen Waffen und scharfer Munition getrieben. Das Ziel dieses Blutbades war es, die wachsende Militanz der Arbeiter zu brechen und die schwindende Kontrolle der regierungstreuen Gewerkschaften wieder zu festigen.

Die Führer dieser Gewerkschaften arbeiten in einem Dreierbündnis eng mit dem ANC und der stalinistischen Kommunistischen Partei Südafrikas zusammen. Gemeinsam mit ihren Partnern spielen sie eine durch und durch schändliche Rolle. Sie haben die Morde der Polizei verteidigt und fordern die Unterdrückung der streikenden Bergarbeiter, die sie als „Kriminelle“ bezeichnen, sowie ihre Verhaftung und die Bestrafung ihrer „Rädelsführer“.

Das Blutbad in dem Bergwerk Marikana stellt einen Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas dar. Es ist nicht etwa ein Einzelfall, sondern Teil der wachsenden Kämpfe der südafrikanischen Arbeiter und Unterdrückten. Sie leben mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von 25 Prozent und Lebensbedingungen in den verarmten Townships, die sich kaum von dem Elend unterscheiden, das unter der Apartheid existierte.

Der kalkulierte staatliche Mord an südafrikanischen Bergarbeitern muss der internationalen Arbeiterklasse eine Warnung sein. Er zeigt, welche Methoden angesichts des wachsenden Widerstandes der Arbeiterklasse gegen brutale Sparmaßnahmen und Angriffe auf die Rechte der Arbeiter in allen Ländern vorbereitet werden. Niemand, der die Geschichte der Arbeitskämpfe in den USA kennt, kann daran zweifeln, dass auch die herrschende Klasse Amerikas auf massiven gesellschaftlichen Widerstand genauso reagieren wird wie die herrschende Klasse Südafrikas.

Die Entwicklung in Südafrika hat auf drastische Weise Leo Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution bestätigt. Wie sie nachweist, sind die bürgerlichen nationalistischen Bewegungen in den unterdrückten Ländern an den Kapitalismus geknüpft und fürchten die Arbeiterklasse. Deshalb sind sie organisch unfähig, den Kampf für Demokratie und die Befreiung aus imperialistischer Dominanz zu führen, geschweige denn die sozialen Forderungen der Arbeiter und Unterdrückten zu erfüllen.

Diese Aufgabe fällt der Arbeiterklasse zu, die alle unterdrückten Gesellschaftsschichten mobilisieren muss. Sie muss entschlossenen mit dem ANC und seinem Gewerkschaftsapparat brechen und eine neue, unabhängige Führung auf der Grundlage einer sozialistischen, internationalistischen Perspektive aufbauen. Sie muss für eine Arbeiterregierung kämpfen, die Bergwerke und andere wichtige Bereiche der Wirtschaft enteignen und den Reichtum umverteilen. Und sie muss die Revolution über den ganzen afrikanischen Kontinent und darüber hinaus ausbreiten. Der Kampf für diese Perspektive erfordert den Aufbau einer südafrikanischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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