Perspektive

Politische und historische Fragen in dem Bergarbeiteraufstand in Südafrika

Das Massaker an 34 streikenden Bergarbeitern in dem Lonmin-Platinbergwerk in Marikana am 16. August und die zunehmende Konfrontation zwischen den Bergarbeitern und der Regierung des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) haben den reaktionären Charakter von Rassenpolitik und nationalistischer Politik gezeigt.

Achtzehn Jahre nachdem der Kampf von Millionen Menschen die Herrschaft der weißen Minderheit in Südafrika beendete, werden Südafrikas ausgebeutete Arbeiter wieder im Interesse der internationalen Bergbau- und Mineralkonzerne misshandelt und ermordet. Diesmal sind die Unterdrücker jedoch die früheren „Befreier“ der schwarzen Massen vom ANC und ihre Partner, der Congress of South African Trade Unions (COSATU) und die stalinistische Kommunistische Partei Südafrikas (SACP).

Präsident Jacob Zuma lehnte natürlich Vergleiche zwischen Marikana und den Polizeistaatsmaßnahmen zur Zeit der Apartheid ab – vor allem mit dem Massaker von Sharpeville am 21. März 1960, bei dem 69 schwarze Jugendliche starben.

Aber die Kontinuität zwischen dem Südafrika während und nach der Apartheid endet nicht mit diesem blutigen Ereignis. Der ANC, der durch einen regelrechten Aufstand der schwarzen Mehrheit an die Macht kam, nutzte Sicherheitsgesetze aus der Zeit der Apartheid, um den Aufstand der Arbeiter gegen die Bergbaukonglomerate und ihre Handlanger vonSACP der National Union of Mineworkers (NUM) zu unterdrücken.

Der brutale Angriff des ANC auf die Bergarbeiter genießt die volle Unterstützung der NUM, des COSATU und der SACP, die sogar noch härtere Maßnahmen gegen die wilden Streiks forderten, die mittlerweile aus dem Platinbergbausektor auf den Gold- und Chromsektor übergegriffen haben.

Die Bergarbeiter von Lonmin haben angeblich eine Lohnerhöhung von 22 Prozent akzeptiert, aber in anderen Bergwerken gehen die Streiks weiter. Gestern wurde gemeldet, dass die Polizei nahe einer Mine von Anglo American Gummigeschosse und Tränengas eingesetzt habe.

Die brutale Unterdrückung der Bergarbeiter durch den Staat zeigt nachdrücklich, dass nicht Hautfarbe, Ethnie oder ähnliches die grundlegende Unterscheidung in der südafrikanischen Gesellschaft und der Welt ist, sondern Klassenzugehörigkeit. Wenn sich der ANC und seine Partner nicht besser verhalten als ihre weißen Vorgänger, dann weil der Aufstand der Bergarbeiter nicht nur die Interessen der Bergbaukonzerne bedroht, sondern auch ihre eigenen sozialen Interessen.

Als der bürgerlich nationalistische ANC im Jahr 1994 das Ende der Apartheid verhandelte, bewahrte er die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und behauptete, seine Politik der wirtschaftlichen Besserstellung von Schwarzen würde die Unterdrückung beenden und Arbeitsplätze und steigenden Lebensstandard für alle schaffen. Diese politische Fiktion wurde von der SACP unterstützt. Diese hatte schon lange den Internationalismus und die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse aufgegeben und forderte, dass die Arbeiter ihre Klasseninteressen der Errichtung einer schwarzen Mehrheitsregierung auf kapitalistischer Grundlage unterordnen sollten.

Die letzten zwei Jahrzehnte haben deutlich gezeigt, dass die demokratischen und sozialen Grundbedürfnisse der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen nicht unter der Herrschaft der nationalen Bourgeoisie erfüllt werden können, egal wie radikal oder „links“ sie sich darstellt. Die Ausweitung des Wahlrechtes verschleierte die Tatsache, dass die Interessen der gleichen internationalen und südafrikanischen Firmen, die schon von der weißen Minderheitsregierung profitierten, noch intakt sind.

Die Beteiligung des ANC, der Gewerkschaften und der SACP am Nach-Apartheid-Staat wies sie als politische Vertreter der südafrikanischen Bourgeoisie und des Weltkapitals aus. Die Direktive, dass Unternehmen einen Teil der Unternehmensführung in die Hände von Schwarzen legen müssen, war ein Mechanismus, mit dem sich eine winzige Schicht innerhalb der schwarzen Bevölkerung bereicherte.

Die Ereignisse im vergangenen Monat haben gezeigt, dass diese schwarze Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse nicht weniger brutal ist als ihre weiße Vorgängerin.

Die Klassengegensätze sind nirgendwo so deutlich wie im Bergbau. Der ANC-Justizminister und führende SACP-Funktionär Jeff Radebe, der letzte Woche eine weitere Polizeiaktion gegen die Marikana-Arbeiter befohlen hatte, hat durch seine Frau Bridgette Radebe, die Chefin von Mmakau Mining und reichste Frau in Südafrika enge Familienbeziehungen zum Bergbau. Sein Schwager Patrice Motsepe ist ebenfalls Bergbaumagnat; im Jahr 2011 führte ihn die Sunday Times als reichsten Mann Südafrikas auf.

Der Gründer der NUM und ehemalige ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa ist einer der reichsten Geschäftsmänner des Landes. Er ist Direktor bei Lonmin und hat Aktien an den Bergwerken des Unternehmens.

Das sind nur zwei von zahlreichen Beispielen, die zeigen, dass der ANC und seine Partner direkt an der Ausbeutung der Arbeiterklasse beteiligt sind und ein materielles Interesse daran haben, jede Bedrohung von unten zu verhindern. Das ist die Quelle des Konfliktes zwischen den Bergarbeitern und der NUM.

Diese Lage herrscht jedoch keineswegs nur im Bergbau. Für die Masse der Arbeiter sind die Bedingungen heute schlimmer als unter der Apartheid. Südafrika ist eines der sozial ungleichsten Länder der Welt, etwa 60 Prozent des Gesamteinkommens geht an die obersten zehn Prozent, die unteren 50 Prozent erhalten weniger als acht Prozent der Verdienste. Etwa zwanzig Millionen Menschen sind arbeitslos.

Der Streik der Bergarbeiter ist nur der jüngste und explosivste Indikator für die sozialen und politischen Spannungen, die sich in Südafrika entwickelt haben. Laut dem Time-Magazin gab es dieses Jahr schon bis jetzt die meisten Proteste in einem Jahr seit der ANC an die Macht gekommen ist. Das Magazin schreibt: „Die meisten dieser Proteste richteten sich gegen lokale Behörden unter Führung des ANC (viele davon sind korrupt), die bestimmte Dienstleistungen nicht erbringen konnten.“

Daher richtet sich Zumas Verbot von „illegalen“ Versammlungen „nicht nur gegen Arbeitskämpfe, sondern auch gegen Proteste im Dienstleistungsbereich, die gelegentlich mit Gewalt und Sachbeschädigung einhergehen.“

Es geht hier nicht nur um persönliche Korruption. Auch sind diese Bedingungen nicht auf Südafrika begrenzt. Die Kräfte, die den Bergarbeitern gegenüberstehen, zeigen, dass die einzige vernünftigen Perspektive für die Arbeiterklasse die sozialistische Revolution ist. Darin unterscheiden sich die unterdrückten Länder nicht von den fortgeschrittenen.

Die Grundlagen des Marxismus – dass die Geschichte der Menschheit die Geschichte von Klassenkämpfen ist, dass politische Verhältnisse letztlich von wirtschaftlichen Verhältnissen bestimmt werden und dass es einen unversöhnlichen Konflikt zwischen den Interessen der Arbeiterklasse und denen der Bourgeoisie gibt – werden von den Ereignissen in Südafrika vor den Augen der Welt bestätigt.

Daran zeigt sich das Wiederaufleben des Klassenkampfes und der sozialen Revolution im Weltmaßstab. Das zentrale, drängende Problem ist der Aufbau von revolutionären Parteien auf der Grundlage von Leo Trotzkis Theorie der permanenten Revolution.

Die Entwicklung des ANC bestätigt Trotzkis Behauptung, die nationale Bourgeoisie, die wirtschaftlich vom Imperialismus abhängig ist, sei unfähig, die demokratischen und sozialen Aufgaben zu lösen, mit denen die Massen konfrontiert sind. Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse durch den revolutionären Sturz des Kapitalismus erreicht werden. Das muss Teil eines internationalen Kampfes für das Ende des Imperialismus und die Errichtung des weltweiten Sozialismus sein.

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