Die SEP im US-Wahlkampf:

Jerry White spricht mit Ford-Arbeitern in Kanada

Jerry White, US-Präsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party, reiste am vergangenen Sonntag mit einem Wahlteam nach Kanada, um in Windsor mit Ford-Arbeitern zu sprechen. Sie stehen kurz vor einer Abstimmung über einen von der kanadischen Autoarbeitergewerkschaft CAW (Canadian Auto Workers) ausgehandelten Tarifvertrag, der gewaltige Zugeständnisse an die Firmenleitung macht.

Die Vereinbarung mit einer Laufzeit von vier Jahren akzeptiert fast alle Forderungen der Autofirma – von der Einführung eines zweigeteilten Lohnsystems über Rentenkürzungen und die Abschaffung einer Teuerungszulage bis zu einem Einfrieren der Löhne.

Jerry White verteilt eine Erklärung der SEP

White rief die Ford-Arbeiter in Kanada auf, die nationalistische Politik der CAW zurückzuweisen und sich gemeinsam mit ihren Kollegen in den US-Autobetrieben zu einem Arbeitskampf und politischen Kampf gegen Zugeständnisse und drohende Massenentlassungen zusammenzuschließen. White warnte die Ford-Arbeiter in Kanada, dass das erweiterte zweigeteilte Lohnsystem, das die CAW in dem Vertrag akzeptiert, sich an den Zugeständnissen der US-Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) orientiert, die sich für amerikanische Autoarbeiter bereits als verheerend erwiesen haben.

Die Abmachungen verurteilen eine Generation junger Arbeiter zu Armutslöhnen und schaffen eine Kluft zwischen schlechter bezahlten jüngeren und besser bezahlten älteren Arbeitern in den Fabriken. „Arbeiter können es sich kaum leisten, die Autos zu kaufen, die sie bauen“, sagte White. „Die nationalistische Politik der CAW und der UAW zielen darauf ab, die Arbeiter gegeneinander auszuspielen. Ich bin hier, um für die Einheit der Arbeiter auf beiden Seiten der Grenze zu kämpfen.“

White und einige Anhänger der Socialist Equality Party verteilten ein Flugblatt mit der Überschrift „Kein zweigeteiltes Lohnsystem bei Ford und keine Zugeständnisse! Für eine Gegenoffensive kanadischer und amerikanischer Auto-Arbeiter!“ In dem Flugblatt wird ein Wiederaufleben der militanten Kämpfe amerikanischer und kanadischer Arbeiter auf der Grundlage einer sozialistischen und internationalistischen Strategie gefordert.

Das Eingreifen des sozialistischen Kandidaten provozierte eine hektische Reaktion der CAW-Funktionäre. Sie versuchten, White und seine Anhänger davon abzuhalten, mit Arbeitern zu sprechen. Die Anwesenheit wahrer Sozialisten erregte die Gewerkschaftsbürokraten derart, dass sie den SEP-Anhängern durch die Straßen folgten und Arbeiter davon abzuhalten versuchten, die Flugblätter in die Hand zu nehmen.

Als die SEP-Anhänger sie auf ihre Kompromiss-Politik ansprachen, wiederholten die CAW-Funktionäre die Lüge, dass Zugeständnisse der einzige Weg seien, um Arbeitsplätze zu verteidigen, und dass Einbußen in diesem Vertrag beim nächsten Vertragsabschluss wieder zurückgenommen würden. Außerdem wiederholten sie das alte Argument, dass ein Kampf unmöglich sei, so lange die Regierung des konservativen Premierminister Stephen Harper sich an der Macht befinde.

Um die Arbeiter davon abzuhalten, das Flugblatt der SEP entgegenzunehmen, besannen sich die CAW-Funktionäre auf ihren kanadischen Nationalismus und forderten die Arbeiter auf, White nicht zuzuhören, da er Amerikaner sei. Sie warfen die amerikanischen Autoarbeiter in einen Topf mit der reaktionären UAW-Bürokratie und behaupteten, US-Autoarbeiter seien an den Zugeständnissen Schuld, die 2009 mit Hilfe von Insolvenzverfahren und der Reorganisation von General Motors und Chrysler durchgesetzt wurden.

Die CAW hatte sich 1985 von der UAW getrennt und behauptet, sie trete für einen militanteren Widerstand gegen Zugeständnisse ein. In Wahrheit ermöglichte es die Trennung beiden Gewerkschaften, eine gleichermaßen nationalistische Politik zu verfolgen, während die Autofirmen amerikanische und kanadische Autoarbeiter gegeneinander ausspielten.

Seit 1985 sind die relativen Kostenvorteile der Autofirmen in Kanada so gut wie verschwunden. Sie basierten auf der Schwäche des kanadischen Dollars und dem staatlichen Gesundheitssystem Kanadas und gestatteten der CAW, eine militantere Haltung als die US-Gewerkschaften einzunehmen. Nachdem die Politik der UAW zu massiven Zugeständnisses geführt hat, behaupten die Autofirmen jetzt, dass kanadische Autoarbeiter die höchstbezahlten der Welt seien, und drohen damit, die Produktion außer Landes zu verlegen, sollte die CAW sich nicht mit einer gewaltigen Kostensenkung einverstanden erklären.

Trotz aller Einschüchterungsversuche durch CAW-Funktionäre nahmen viele Arbeiter das SEP-Flugblatt entgegen. Einige von ihnen blieben stehen, um mit Jerry White und seinen Anhängern zu sprechen. Viele waren sehr interessiert, über eine Alternative zu den Zugeständnissen zu sprechen. Ein Arbeiter sagte: „Die Uhr dreht sich rückwärts“, und fragte Jerry White: „Wo soll das hinführen?“

Jerry White antwortete, dass der Widerstand gegen die Zugeständnisse mit einem Kampf gegen die CAW-Bürokratie und die UAW-Bürokratie und ihre konzernorientierte und nationalistische Politik verbunden sei. White sagte, die SEP werde sich von der UAW in den Vereinigten Staaten genauso wenig einschüchtern lassen wie von den Versuchen der CAW, ihr das Recht mit Arbeitern zu reden zu verweigern.

Mark, seit zwanzig Jahren in der Autoindustrie tätig, sagte: „Ich habe gegen diesen Tarifvertrag gestimmt. Die Autoarbeiter in den USA haben schon sehr niedrige Löhne akzeptiert. Jetzt sieht es aus, als ob wir sie auch noch unterbieten werden.“

Mark und Jerry White

„Dieser Trend zeichnet sich überall auf der Welt ab. Die Firmen wollen die Uhr zurückdrehen. Aber die Leute fangen an, sich zu wehren – so wie die Studenten in Quebec, die gegen die Erhöhung der Studiengebühren angegangen sind“, sagte Mark und wünschte Jerry White viel Glück in seinem Kampf gegen Demokraten und Republikaner in den USA.

Jerry White sagte, dass auch kanadische Arbeiter ihre eigene Massenpartei aufbauen müssten, weil sie ohne sie – genau wie die amerikanischen Arbeiter – keine eigene Stimme hätten. „Alle bestehenden kanadischen Parteien – die Tories, die Liberalen, die New Democratic Party und der Parti Quebequois – verteidigen die Konzern- und Finanzelite gegen die Interessen der Arbeiterklasse.“

Ein älterer Ford-Arbeiter reagierte sehr stark auf den Aufruf zu einem gemeinsamen Kampf von US-Arbeitern und kanadischen Arbeitern. „Wir sollten in den USA und in Kanada einen großen Streik ausrufen“, sagte er. Es sei „der größte Fehler“ gewesen, dass sich die CAW von der UAW getrennt habe. Er fügte hinzu, die Gewerkschaft stehe im Dienst des Unternehmens. Er könne sich nicht erinnern, wann es den letzten Streik gegeben habe.

David, ebenfalls Ford-Arbeiter, entrüstete sich über die Einschüchterungstaktik, mit der die CAW-Funktionäre versuchten, die Ford-Arbeiter davon abzuhalten, das SEP-Flugblatt entgegenzunehmen.

„Sie wollen nicht, dass wir so etwas lesen“, sagte er. „Aber was soll daran falsch sein? Dieses auf zehn Jahre angelegte zweigeteilte Lohnsystem taugt nichts. Die Firma wird noch mehr Geld verdienen, obwohl sie jetzt schon Unsummen einnimmt. Sie versuchen, uns gegeneinander auszuspielen.“

David sorgt sich vor allem um die Zukunft jüngerer Kollegen. „Ich mach mir nicht nur meinetwegen Sorgen, sondern um meinen Sohn. Er wird sich möglicherweise unter dem zweigeteilten Lohnsystem anstellen lassen müssen.“ Für die älteren Arbeiter erwarte er in Kürze ein Abfindungsangebot, sagte David. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor sie uns aus dem Betrieb drängen.“

Gleichzeitig habe er aber Angst davor, dass Ford und die anderen amerikanischen Autohersteller die Produktion ganz aus Kanada abziehen könnten. „Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera. Sobald Obama versprochen hat, Arbeitsplätze nach Amerika zurückzubringen, wusste ich, dass es Niedriglohnjobs sein würden. Sie werden an ihren Plänen festhalten, weil wir nicht bereit sind, für zehn Dollar die Stunde zu arbeiten.“

SEP-Anhänger erklärten, dass die Verteidigung von Arbeitsplätzen einen politischen Kampf gegen das kapitalistische Profitsystem erfordere. „Wir sind Sozialisten. Wir kämpfen für die Überführung der Autofirmen, der Großbanken und Großkonzerne in öffentliches Eigentum unter der Kontrolle der Arbeiterklasse“, sagte White abschließend zu den Arbeitern. „Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es für kanadische Autoarbeiter nur einen Weg: Sie müssen das Bündnis der CAW mit den kapitalistischen Politikern zurückweisen und ihre eigene politische Partei aufbauen.“

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