Žižek in Manhattan: Ein intellektueller Scharlatan maskiert sich als Linker

Wir veröffentlichen einen Artikel, der auf unserer amerikanischen Seite anlässlich eines Vortrags veröffentlicht wurde, den der slowenische Philosoph Slavoj Žižek im November 2010 in New York hielt. Unsere Autoren analysieren den Hintergrund und die Methodik des auch im deutschsprachigen Raum gelesenen Postmodernisten, dessen Anhänger einem Milieu entstammen, das „intellektuell und politisch desorientiert ist“.

 

Am Montag sprach der slowenische Akademiker und Autor Slavoj Žižek vor einem vollbesetzten Auditorium in der Great Hall der Cooper Union[1] in Manhattan. In einem neunzigminütigen Monolog schweifte er in rasendem Tempo umher zwischen selbstgefälligen Beobachtungen zu der Welle der Sparmaßnahmen, die Europa überschwemmt, Warnungen vor ökologischen Katastrophen und Abschweifungen in sein Hauptinteressengebiet: die sado-pornographischen Facetten der Popkultur.

Žižek wurde als einer der weltweit größten Intellektuellen bejubelt, als führender postmoderner oder „post-marxistischer“ Philosoph und als ein „Elvis der Kulturtheorie“. Er wird in Europa und den USA für Fakultätspositionen umworben und er hat eine loyale Anhängerschaft unter Schichten von Akademikern und Möchtegernakademikern, die unter seiner weitgehend einheitlichen New Yorker Zuhörerschaft gut repräsentiert waren.

Diese schmale soziale Schicht ist Žižeks Universum. Seine langatmigen und komischen Darlegungen sind darauf zugeschnitten, es zu provozieren, zu kitzeln und zu amüsieren.

Vom philosophischen Standpunkt aus ist Žižek weder ein origineller noch ein innovativer Denker. Auch wenn ein akademischer Kommentator behauptete, dass Hegel und Marx zu seinen Haupteinflüssen zählen, handelt es sich hierbei um eine unzutreffenden Stammbaum.

Žižek ist ein Auswuchs der reaktionären anti-marxistischen und anti-materialistischen Tradition, die dem Irrationalismus Schellings, Kierkegaards, Nietzsches und Heideggers entsprungen ist. Er stützt sich in eklektischer Weise auf das neo-nietzscheanische und neo-heideggerianische Denken des französischen Poststrukturalismus der 1960er Jahre und eignete sich die Ideen seiner führenden Intellektuellen – insbesondere der post-heideggerianischen Psychoanalyse von Jacques Lacan – während seiner Studentenzeit an.

Viele der französischen Poststrukturalisten waren Anhänger des Stalinismus oder Maoismus (zum Beispiel Baudrillard, Derrida, Foucault, Guattari und Kristeva) und es überrascht nicht, dass Žižek gelegentlich positive Dinge über diese sowjetischen und chinesischen Diktatoren sagt.

Žižek ist dafür bekannt, sich selbst einen “guten Stalinisten” zu nennen. Und es gibt Grund zur Annahme, dass er sich selbst für einen petit Staline hält und manchmal soweit geht, Stalins Gewohnheit anzunehmen, sich dem klatschenden Publikum anzuschließen und sich selbst zu beklatschen. Aufgeregt weist Žižek dann seine Zuhörer darauf hin, wer sein Vorbild ist.

Neben Irrationalismus, Poststrukturalismus und Psychoanalyse stellt der in seinen Siebzigern stehende französische Philosoph Alan Badiou einen jüngeren Einfluss auf Žižek dar. Badiou ist ein Bewunderer Maos, der das kleinbürgerliche Konzept der „Politik ohne Partei“ unterstützt und die voluntaristische Idee verficht, dass „wir von der Politik zur Ökonomie gehen müssen, und niemals von der Ökonomie zur Politik.“[2]

Žižek drückte ähnlich klingende Ideen aus und nahm auch Badious mystisches Konzept des Ereignisses an: Ein selbstbezügliches und selbsteinschließendes Phänomen, das jenen erscheint, die seinen Ruf vernehmen; in Žižeks Werk Parallaxe[3] wird es beschrieben. Badiou und Žižek haben zwar philosophische Differenzen, doch diese sind nicht so bedeutend, dass dadurch ihre Freundschaft oder Žižeks Eintreten für Badiou getrübt würde.

Ebenso wie die Poststrukturalisten und Postmaoisten ist Žižek ein politischer Opportunist, wenngleich gröber und ungehobelter. Trotz aller radikal klingenden Windbeutelei fallen ihm die falschen Federn ab, sobald es auf reale Politik und nicht auf die politischen Phantome in seinem Gehirn ankommt: Seine Positionen erweisen sich als Interessen dienlich, die sich in vollständiger Feindschaft gegenüber der internationalen Arbeiterklasse und dem unverfälschten Sozialismus befinden.

Žižek hat eine politische Vergangenheit: Er war Gründer und Kandidat der Slowenischen Liberaldemokratischen Partei (LDS), welche den Umbau der ehemaligen jugoslawischen Republik gemäß den Erfordernissen des kapitalistischen freien Markts leitete. Er hat außerdem Illusionen in Obamas Kandidatur und Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2008 geschürt, die das Ergebnis einer Kampagne zum Betrug der Massen war.

Dieser intellektuelle und philosophische Hintergrund zeigte sich deutlich bei dem Vortrag in der Cooper Union. Als Sprecher war Žižek sowohl ablenkend als auch abgelenkt. Eine exaltierte Ansammlung zwanghafter Muskelzuckungen hinderte ihn daran, seine Sätze oder Gedankenbruchstücke zu beenden, ohne vorher die Nase zu reiben und mit den Fingern durch sein Haar zu fahren oder an seinem schlecht sitzenden T-Shirt zu zerren. Sein liederliches Äußeres, seine clownesk zur Seite gesprochenen Bemerkungen und seine in Schnellfeuertempo vorgetragenen Bühneneinlagen nötigten ihn dazu, wiederholt den Satz einzustreuen: „Das ist kein Scherz.“

Der Auftritt in New York City war Bestandteil einer längeren weltweiten Tour zur Vorstellung seines neuesten Buches: Living in the End Times, eine 402-seitige Sammlung zufälliger Beobachtungen, die von seiner Behauptung, dass „das globale kapitalistische System sich einem apokalyptischen Nullpunkt nähert“ bis hin zu seiner Forderung reichen, dass Marxens Verständnis der kapitalistischen Ausbeutung auf Grundlage einer unterstellten „hegemonialen“ Position intellektueller Arbeit „radikal überdacht“ werden müsse. Als Zugabe werden Grübeleien zum Film Avatar und eine Analyse des Trickfilms Kung Fu Panda zur Illustration der psychoanalytischen Theorien Lacans geliefert.

Als selbsternannter Schüler Hegels drückte Žižek seine vorgebliche Beherrschung der Dialektik dadurch aus, dass er ununterbrochen alltägliche „Paradoxien“ und „Ironien“ in der modernen Ideologie und Kultur erläuterte.

Žižek besitzt ein halbpubertäres Verlangen, Anstoß zu erregen. Er kennt sein eigenes Milieu der postmodernistischen Akademiker gut und er bemüht sich, sie dadurch zu schockieren, dass er die Absurditäten und Widersprüche ihres Denkens aufzeigt und auf platte Weise die „Political Correctness“ verhöhnt.

Obwohl er sich als Anwalt des “Kommunismus” ausgibt, beeilt er sich, klar zu machen, dass sein Kommunismus nichts mit den Kämpfen des 20. Jahrhunderts zu tun hat, oder genauer: mit den Kämpfen der Arbeiterklasse. Für ihn läuft die Sache am Ende auf wenig mehr als einen Appell zu Angemessenheit, Anstand und zu sozialer Harmonie hinaus.

Dies ist schwerlich überraschend, angesichts dessen, dass Žižek solche Plattheiten wie Derridas „kommende Demokratie“ gegen den vereinten Kampf der Arbeiterklasse zur Überwindung von Kapitalismus und Krieg verteidigt hat.

“Heute explodieren das Unmögliche und Mögliche in den Exzess hinein,“ sagt er schimärisch seinem Publikum und deutet damit auf die Diskrepanz zwischen dem sich immer weiter vergrößernden Bereich dessen, was reiche Individuen für sich herausschlagen können und den unaufhörlich schrumpfenden Diensten, die der Gesellschaft als ganzer angeboten werden.

Er liebt es, sein Repertoire an sexuellen Witzen zu recyceln: “Mir wurde gesagt, dass hier in New York ein Mann seinen Penis entzwei schneiden lassen kann…auf dass man es mit zwei Frauen treiben kann. Man kann Unsterblichkeit erringen. Man kann in den Weltraum gelangen. Doch ein bisschen Krankenversicherung ist unerreichbar.“ Er legte nahe, dass es notwendig sei, “unsere Prioritäten ein wenig umzugestalten“.

Dem folgte eine Abschweifung zur Internet-Partnersuche als Form von „Selbstkommerzialisierung“. Diese konnte nur vereinzeltes Gelächter seines Publikums hervorrufen.

Dem US-Imperialismus stellte Zizek in seinem Vortrag weitgehend einen Persilschein aus. Militarismus und den Krieg in Afghanistan behandelte er als unangebrachte und betrübliche Politik und beharrte darauf, dass „nicht in jeder Krise automatisch die Vereinigten Staaten der böse Bube sind.“

Žižek gibt der Fernsehserie 24 – Twenty Four (auch Dick Cheney erklärte sie zu seiner Lieblingssendung) den Vorzug vor dem “moralistischen Hollywood”, denn die Serie illustriere unlösbare „ethisch-politische Widersprüche“. Er warnte sein Publikum, er werde „Sie noch mehr schockieren“ und gab zu, dass er zur Folter greifen würde, falls sich sein Kind in den Händen von Terroristen befände. „Obszönität beginnt, wenn wir es normalisieren“, sagte er und deutete damit an, dass sie unter extremen Bedingungen, die seit dem 11. September permanent geltend gemacht werden, unvermeidlich sein kann.

Er verspottete seine “linken” Professorenkollegen dafür, dass sie Revolutionen vorzögen, die “in sicherer Entfernung – Kuba, Nicaragua, Venezuela – stattfinden, sodass ich, während mein Herz von den fernen Ereignissen erwärmt wird, mit meiner akademischen Karriere fortfahren kann.“ Jetzt allerdings, warnte er, werde die Krise des Kapitalismus sie mit „echter Veränderung“ konfrontieren.

Doch die Natur dieser „echten Veränderung“ blieb in Žižeks Vortrag abstrakt und körperlos. Obwohl er aus Europa kam, erwähnte er weder die Massenstreiks in Frankreich noch die wachsenden sozialen Kämpfe, die auf dem Kontinent ausbrechen.

Tatsächlich existiert die Arbeiterklasse in Žižeks Begriffsuniversum nicht. Einmal bezog er sich gleichgültig auf die „Millionen unschuldiger Zuschauer“, die die „Konsequenzen der Krise des Kapitalismus erleiden.“

Žižeks größte Sorge waren ökologische Katastrophen. Er äußerte sich enttäuscht über Obamas „naive“ Bewältigung der BP-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Er deutete an, die Regierung hätte das Militär mobilisieren und darüber hinausgehen sollen, das Unternehmen mit Reparationszahlungen zu belegen. Es hätte sichergestellt werden sollen, dass niemand wieder dasselbe tun könne.

Er sagte auch voraus, dass der Klimawandel und andere Katastrophen Massenbewegungen der Bevölkerungen erzwingen werden. „Wie werden wir das organisieren?“ fragte er und wies darauf hin, dass solche Bewegungen in der Vergangenheit mit Krieg und Massakern einhergingen. „Die nationale Souveränität muss radikal neubestimmt werden.“ Wer das tun soll und wie blieb im Dunkeln.

Žižeks Schlussfolgerung war, dass „wir auf den Moment vorbereitet sein müssen, wenn wir neue Gesellschaftsformen einführen müssen.“ Er betonte, dass dies beinhalte, “sehr kreativ“ zu sein. Auch Bemühung um den Wandel einer „Wesensnatur“ sei nötig, doch er gab keinen Hinweis darauf, was dies alles in Form eines Programms bedeuten könnte.

Er errichtete eine chinesische Mauer zwischen dem 20. und dem 21. Jahrhundert und bestand darauf, dass die sogenannte „Linke“ heute in der entgegengesetzten Situation ist, als vor dem Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratien.

In der vergangenen Periode, sagte er, wusste die Linke „was getan werden musste“ – die sozialistische Revolution – doch sie musste auf die richtigen Bedingungen warten, um sie auszuführen. Heute, erklärte er „wissen wir nicht, was wir tun müssen, doch wir müssen jetzt handeln, denn nicht zu handeln bedeutet die Katastrophe.“ Was muss getan werden? Žižek räumt ein, kein Programm zu haben. „Es gibt keine einfachen, klaren Lösungen”, sagt er.

In einer kurzen Frage-und-Antwort-Zeit feilte der slowenische Akademiker an dem von ihm heraufbeschworenen „Kommunismus“. Er leugnete die Revolution indem er seinem Publikum riet, „sich von der Idee zu verabschieden, dass eine leninistische Partei die Macht ergreift.“

Stattdessen könne, wie er sagte, sein “Kommunismus” verschiedene Formen annehmen. Zur Illustration führte er den „Solidarpakt“ der 1990er Jahre an, den Gewerkschaften, Konzerne und Regierung in Norwegen einführten, um Lohnerhöhungen zu begrenzen. Er sollte den norwegischen Kapitalismus wettbewerbsfähiger machen und Arbeitsstellen erschaffen. „Es funktionierte,“ sagte er.

“Man tut einfach alles, was möglich ist, das ist meine Meinung“, schloss er. Ihn zu beschuldigen, er sei in dem einen Moment für „radikale Revolution“ und im nächsten für Sozialpartnerschaft, würde bedeuten zu sagen: „Heute sah ich dich Teriyaki-Huhn essen und gestern war es Pizza.“

Dass dieses infantile Denken an den Universitäten und in einer Schicht von Halbintellektuellen auf beiden Seiten des Atlantiks zelebriert wird, ist eine Bekundung der tiefgehenden Krise, in der sich die bürgerliche Ideologie befindet.

Während seines Vortrags streute Žižek nicht nur Namen akademischer Kollegen, wie Fredric Jameson und Alain Badoiu, ein, sondern auch den von Alex Callinicos, dem Vorsitzenden der britischen Socialist Workers Party (SWP), mit dem er auf der von der SWP gesponserten Tagung „Marxism 2010“ im selben Jahr auftrat. Anwesend beim Vortrag in der Cooper Union war auch der Verlag Haymarket Books, das Publikationshaus der International Socialist Organization.

Dass ein Scharlatan und Antimarxist wie Žižek von einem ganzen Reigen Ex-Radikaler als wichtiger Philosoph propagiert werden kann, ist ein besorgniserregendes Symptom der schwergründigen intellektuellen und politischen Desorientierung dieses sozialen Milieus.

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[1] Siehe Badiou’s “On the Idea of Communism” (YouTube video)

[2] Siehe Žižek The Parallax View (See on Google Books.)

 

 


[1] Die Cooper Union for the Advancement of Science and Art ist ein College in Lower Manhattan in New York City. (Üb.)

[2] Vgl. Badious Beitrag für ‘On the Idea of Communism’ (zugänglich auf Youtube-Video).

[3] Auf Deutsch 2006 erschienen.

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