Cyrano de Bergerac in New York:

Die Fabel des galanten Einzelgängers

Die Aufführung des American Airlines Theater, New York City, läuft vom 11.Oktober bis zum 25.November 2012

 

Das namhafte Komödiendrama Cyrano de Bergerac (1897) des französischen Dichters Edmond Rostand wird am Broadway neu aufgeführt. Das Schauspiel erzählt die Fabel des charismatischen Dichter-Duellanten mit der legendär großen Nase, der die Bevölkerung von Paris mit seinem skurrilen Witz unterhält, aber gleichzeitig romantische (und unausgesprochene) Gefühle für seine reizende Cousine Roxane hegt.

Cyrano de Bergerac [Photo: Joan Marcus]

Die Inszenierung auf der Bühne der gemeinnützigen Roundabout Theater Company stützt sich auf die jüngere Übersetzung von Ranjit Bolt, die 2007 am Old Vic Theater in Bristol erstmals zum Einsatz kam. Bolts Übersetzung hält sich offensichtlich treu an Rostands Originaltext. Das Stück ist vollkommen in Versen geschrieben, und den Schauspielern gebührt der Verdienst, dass dies fast durchwegs funktioniert.

Die Eröffnungsszene, die im Paris von 1640 spielt, ist amüsant, wenn auch viel zu lang. Geduldig wartet das Pariser Publikum auf den Komiker Montfleury (Andy Grotelueschen), der schließlich auftritt und zu rezitieren beginnt. Seine Possen kommen beim Publikum gut an, nicht aber beim verwegenen Cyrano (Douglas Hodge), der überraschend ins Geschehen platzt, Montfleury mit seinem Degen bedroht und ihn zum Abgang zwingt.

Im selben Akt macht Cyrano klar, dass jeder, der es wagt, Roxane (Clémence Poésy) auch nur anzuschauen, mit seiner Schlagfertigkeit und seinem wendigen Degen Bekanntschaft machen soll. Zwei solcher Männer gibt es, nämlich den Vicomte de Valvert (Samuel Roukin) und Christian de Neuvillette (Kyle Soller).

Der sadistische Graf de Guiche (Patrick Page) will Roxane mit seiner Hofschranze Valvert verheiraten. Dies passt unserm Helden Cyrano natürlich ganz und gar nicht. So kommt es zum Duell zwischen Cyrano und Valvert, und zum Erstaunen der Zuschauer verfasst der Erstere gleichzeitig eine Ballade aus dem Stegreif. Nachdem Cyrano den wütenden Grafen beim letzten Verse verwundet hat, flüchtet dieser überstürzt und schwört Rache.

Das Stück steht und fällt mit der Darstellung des Cyrano. Douglas Hodge, schon viermal für den Olivier-Award nominiert, gestaltet die Rolle meisterhaft und reißt, offen gesagt, die ganze Aufführung raus. Bekanntermaßen hat das Stück den Ausdruck „panache“ [für Federbusch, aber auch für Beherztheit, Ausdruckskraft und Stil] in die englische Sprache eingeführt, und Hodge verkörpert dies in seinem Spiel zweifellos in großem Maß. Darüber hinaus verleiht der Schauspieler der Figur, die so leicht ins Lächerliche abgleiten kann (und oft so dargestellt wurde!) eine große Menschlichkeit.

Dennoch, und trotz Hodges und des ganzen Ensembles besten Absichten, schleppt sich der erste Akt dahin. Viel zu viel Zeit wird auf Cyranos poetisches Schmachten für Roxane verwendet, was bald übertrieben wirkt.

Cyrano und seine Getreuen verbringen ihre Zeit großenteils mit Trinken und albernen Streichen. Dies ändert sich, sobald bekannt wird, dass Christian, ein Neuling in der Stadt, sich in Roxane verliebt hat. Cyrano entdeckt, dass diese Liebe von seiner Cousine erwidert wird, und hierin liegt nun der tiefere Konflikt, von dem das ganze Stück lebt.

Roxane bittet Cyrano, ein Auge auf den naiven Jüngling zu haben. Cyrano gehorcht. Der unerfahrene Christian wiederum tritt an Cyrano mit der Bitte heran, er möge ihm bei der Werbung um Roxane mit einigen romantischen Versen unter die Arme greifen, – und Cyrano gehorcht auch hier, wenn auch zögernd.

Dies gipfelt in einer berührenden – und berühmten – komischen Szene. Nachdem Christian seine eigene, stümperhafte Liebeslyrik vorträgt, welche die junge Frau durchaus nicht beeindruckt, springt Cyrano ein und souffliert dem Jüngeren adhoc verfasste Verse. Dieser Versuch erweist sich als erfolgreich, und kurz darauf liegen sich Christian und Roxane in den Armen. Cyrano kann nur wehmütig zuschauen.

Christian und Roxane heiraten, und scheinbar kann nichts mehr für sie schiefgehen …

Da mischt sich der Graf de Guiche mit einer heimtückischen Intrige ein. Außer sich vor Wut, dass er die schöne Roxane verlieren soll, schickt er Christian, Cyrano und das ganze Regiment der Gascogner Kadetten, denen sie angehören, nach Arras, Nordfrankreich, in den Krieg gegen Spanien.

Im zweiten Akt erleben wir die Schrecken des Kriegs, da das französische Regiment von den Spaniern in die Enge getrieben und vom übelwollenden Grafen dem Hunger preisgegeben wird. Nicht einmal Cyranos sprühender Geist kann sie noch aufheitern.

Roxane hat jedoch ihre Liebe nicht aufgegeben. Sie folgt Christian in die Schlacht und überquert als Junge verkleidet die spanischen Grenzlinien. Sie treffen sich kurz, viel zu kurz…

Danach kommt ein besonders berührender Moment, als Cyrano und die Kadetten von einer Schlacht heimkehren und den verwundeten Christian mit sich tragen. Obwohl Cyrano verzweifelt versucht, diesen vor Roxane zu verbergen, weiß sie nur zu gut, wer in seinen Armen liegt, und bricht in Tränen aus.

Poésy stellt Roxane glaubhaft dar, obwohl sie die Rolle bisweilen zu wenig ausspielt. Der Autor dieser Zeilen saß in der dritten Reihe und konnte sie schlecht verstehen, und wer weiter hinten sitzt, wird sich sehr anstrengen müssen, um sie zu hören. Die Schauspielerin, die in Nordamerika hauptsächlich durch ihre Rolle in den Harry Potter-Folgen bekannt sein dürfte, überträgt leider zu viel von ihrer Filmpersönlichkeit auf ihre jetzige Rolle.

Davon abgesehen ist es für alle Darsteller schwierig, mit der Energie und Intelligenz mitzuhalten, die Hodge in seine Rolle hineinlegt. Die Schlussszene ist besonders ergreifend. Sie spielt viele Jahre nach dem Krieg, und Roxane lebt jetzt in einem Kloster am Stadtrand von Paris. Cyrano schreibt kluge Artikel für die lokale Zeitung, und jede Woche besucht er sie, um ihr Anekdoten aus dem Tagesgeschehen zu berichten. An diesem besonderen Tag jedoch ist er bei seiner Ankunft durch einen vorhergehenden Zwischenfall schwer angeschlagen.

Er ist sichtbar gealtert. Sein unbekümmertes Charisma ist dahin, und wir sehen vor uns einen physisch und psychisch mitgenommenen Menschen, dem der Krieg übel mitgespielt hat. Außerdem hat ihn am selben Tag ein aufgebrachter Zeitgenosse, der ihm den Spott in einem seiner Artikel übel nimmt, tätlich angegriffen.

Roxane spürt sofort, dass es Cyrano nicht gut geht, obwohl er versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Sie versucht, ihm zu helfen, und wird dabei von Cyranos treuem Freund Le Bret (Max Baker) unterstützt. Beide versuchen, den schwankenden Cyrano in aufrechter Position zu halten, doch schließlich sinkt er erschöpft nieder. Er rezitiert die Verse eines Briefs des verstorbenen Christian: „Roxane, lebe wohl; ich sterbe. Bald ruft mich mein Geschick. Wie voll mein Herz von Zärtlichkeit gewesen, Hast du's geahnt?”*

Dies und Cyranos darauf folgende, heldenhafte Rede über alles, was er in seinem Leben war und sein wollte, werden von Hodge mit bemerkenswerter Tiefe und Glaubhaftigkeit dargestellt, und wirken an keiner Stelle übermäßig sentimental.

In einer Zeit, in der die meisten Schauspieler offenbar die Bühne nur als Sprungbrett für eine Karriere in Film und Fernsehen nutzen, ist es erfrischend, dem wunderbaren schauspielerischen Können eines Künstlers von Hodges Kaliber zuzuschauen.

Anhänger von Rostands Erzählung werden sich außerdem darüber freuen, dass der Regisseur Jamie Lloyd seiner Produktion kein unnötiges „Konzept“ übergestülpt hat. Die Aufführung ist im Wesentlichen gradlinig und ernsthaft.

[*Deutsche Fassung: Ludwig Fulda]

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