Ägypten

Liberale und pseudolinke Gruppen demonstrieren gegen Mursi

Letzten Freitag demonstrierten liberale und pseudolinke Gruppen auf dem Tahrir-Platz in Kairo gegen die herrschende Moslembruderschaft und den islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi. Zu den Protesten hatte eine Koalition von fast 30 liberalen und pseudolinken Parteien und Bewegungen aufgerufen. Das Schlagwort war: „Ägypten ist kein Lehen, Ägypten den Ägyptern.“

Sie veröffentlichten auf der Webseite der kleinbürgerlichen Revolutionären Sozialisten (RS) eine gemeinsame Erklärung.

Darin fordern sie eine gleichberechtigte verfassungsgemäße Repräsentation aller politischen Gruppen in Ägypten und verurteilen einen Angriff der Moslembrüder auf Proteste der liberalen und pseudolinken Gruppen vom vorherigen Freitag. Am 12. Oktober griffen Schläger eine Bühne an, die von säkularen Gruppen auf dem Tahrir-Platz aufgebaut worden war und verprügelten Demonstranten gegen Mursi, um ihre säkularen politischen Gegner einzuschüchtern.

Außer den RS und anderen pseudolinken Parteien gehören zu den Unterzeichnern Mohamed ElBaradeis Nationale Vereinigung für Wandel und seine Verfassungspartei, die Ägyptische Volksströmung des nasseristischen Führers Hamdin Sabahi, die Kefaya-Bewegung, die Bewegung des 6. April, die liberale Partei Freier Ägypter des milliardenschweren Tycoons Naguib Sawiris und die neugegründete Kongresspartei von Amr Moussa, dem ehemaligen Chef der Arabischen Liga und Minister unter dem ehemaligen Diktator Hosni Mubarak.

Abgesehen von ehemaligen Vertretern des alten Mubarak-Regimes und ägyptischen Milliardären wurden die Demonstrationen auch von den vom Westen unterstützten Unabhängigen Gewerkschaften und NGOs unterstützt. Ein Protestmarsch zum Tahrir-Platz wurde geführt von Kamal Abu Eita, dem Chef der Ägyptischen Föderation Unabhängiger Gewerkschaften (EFITU), und Kamal Khalil, dem Führer der Arbeiter- und Bauernpartei (ehemals Demokratische Arbeiterpartei), die von den RS nach Mubaraks Sturz aufgebaut wurde.

Die Gruppen, die an den Protesten teilnahmen, versuchten zu Unrecht, diese Proteste als Fortsetzung der ägyptischen Revolution darzustellen. Im Februar 2011 stürzten revolutionäre Massenkämpfe der ägyptischen Arbeiterklasse den langjährigen amerikanischen Vasallen und Diktator Hosni Mubarak. Die Demonstranten riefen Parolen wie „Halt aus, Land, die Freiheit wird geboren.“ „Mursi ist Mubarak“, „Nieder mit Mursi-Mubarak“ und „Wer Ägypter verprügelt, kann Ägypten nicht regieren.“

Die pseudolinken und liberalen Gruppen, die behaupten, die ägyptische Revolution zu repräsentieren, sind Betrüger. Sie vertreten genauso wenig die demokratischen und sozialen Forderungen der ägyptischen Arbeiter wie die Moslembrüder. Sie sprechen für begüterte Schichten des Kleinbürgertums und der Bourgeoisie, die mit den Islamisten um die Verteilung von Reichtum und Macht ringen.

In Wirklichkeit haben viele der Gruppen, die jetzt gegen die Moslembrüder protestieren, sie noch vor kurzem unterstützt. Die pseudolinken RS und die Jugendbewegung des 6. April setzten sich während der Präsidentschaftswahlen für Mursi ein und bezeichneten die Moslembrüder als revolutionäre Kraft. Eita ist Mitglied von Sabahis Karama-Partei, die im letzten November mit der Demokratischen Allianz der Moslembrüder Wahlkampf betrieb. Er wurde auf einer Liste der Moslembrüder in das mittlerweile aufgelöste Parlament gewählt.

Allerdings haben die Spannungen zwischen den Islamisten und säkularen Schichten der ägyptischen Bourgeoisie zugenommen, seit Mursi am 30. Juni die Präsidentschaft übernommen und mit Unterstützung der USA einen Gegenputsch gegen die Junta des Obersten Militärrates (SCAF) unternommen hat. Seither haben die Moslembrüder systematisch versucht, ihren Einfluss im Staatsapparat zu stärken, den Rahmen für eine islamistische Diktatur zu schaffen und andere politische Kräfte an die Seite zu drängen.

Mursi hat zurzeit sämtliche Legislativ- und Exekutivvollmachten und regiert Ägypten als de-facto-Diktator. Die Verfassungsgebende Versammlung ist von Islamisten dominiert: von der Moslembruderschaft und den salafistischen Parteien Nur und Asala, die einen Verfassungsentwurf vorgelegt haben, der den autokratischen Charakter der Verfassung von 1971 beibehält und die Scharia einfließen lässt.

Die säkularen bürgerlichen Parteien wollen eine größere Rolle beim Entwurf der Verfassung und verlangen die Neubesetzung der Verfassungsgebenden Versammlung. Heute wird das oberste Verwaltungsgericht über die Gültigkeit der Versammlung und den Verfassungsentwurf urteilen; mehrere Klagen wurden eingereicht.

Ein weiteres Konfliktfeld zwischen den Pseudolinken und den Moslembrüdern ist der Streit um unabhängige Gewerkschaften und den Ägyptischen Gewerkschaftsbund (ETUF). Wie im Falle des SCAF signalisierte die Bruderschaft Anfangs ihre Bereitschaft, unabhängige Gewerkschaften als neuen Mechanismus zur Kontrolle der Kämpfe der Arbeiterklasse zu akzeptieren. In den letzten Monaten wurde jedoch zunehmend klarer, dass sich die Islamisten weigern, größere Kompromisse mit den pseudolinken Gruppen und den unabhängigen Gewerkschaften einzugehen.

Arbeitsminister Khaled Al Azhary sitzt im Vorstand der ETUF und verteidigt den alten Gewerkschaftsapparat gegen die neue „unabhängige“ Arbeiterbürokratie, die die Pseudolinken aufbauen wollen. Letzten Mittwoch weigerte er sich, ein neues Gewerkschaftsgesetz in Kraft zu setzen, das die unabhängigen Gewerkschaften vorschlugen, und fügte stattdessen dem restriktiven Gewerkschaftsgesetz 35/1976 aus der Nasser Zeit Zusatzartikel hinzu.

In den letzten Monaten gingen die Islamisten mehrfach gegen Arbeiterstreiks und Proteste vor. Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaften wurden von Mursis Sicherheitskräften ebenfalls angegriffen und verhört.

Die unabhängigen Gewerkschaften und die Pseudolinken haben keine Perspektive für den Kampf gegen die Etablierung eines weiteren autoritären Regimes in Ägypten. Ihre Perspektive ist nicht die Mobilisierung der Arbeiterklasse für eine zweite Revolution gegen das Mursi-Regime und die Bildung einer Arbeiterregierung, die für den Sozialismus kämpft. Sie fürchten das Wiedererstarken von Massenkämpfen der Arbeiterklasse weit mehr als eine islamistische Diktatur; ihre Perspektive ist es, die Islamisten zu überzeugen, zusammen mit ihnen an der Modernisierung eines kapitalistischen Staates in Ägypten zu arbeiten.

Nach Azharys Entscheidung veröffentlichte das Zentrum für Gewerkschaften und Arbeiterdienste (CTUWS) ein Statement, in dem es Mursi anflehte, die Rolle des CTUWS zu akzeptieren und vor möglichen Folgen warnte.

An einer Stelle des Statements ist zu lesen: „Alle arroganten Funktionäre, die immer geglaubt haben, sie würden nie stürzen, sollten sich die harten Lehren der Revolution merken. Die Revolution war eine logische Konsequenz der Ungleichheit in der ägyptischen Gesellschaft; das waren Bedingungen, die Millionen von Ägyptern zum Protest trieben, im Glauben, die Dinge würden sich ändern. Unglücklicherweise sind diese Millionen immer noch wütend, sie können nicht glauben, dass sie nach all dem Blutvergießen immer noch für ihre Rechte kämpfen müssen.“

Die CTUWS wird vom AFL-CIO gesponsert und hat wie die RS, die Bewegung des 6. April und andere pseudolinke Gruppen enge Beziehungen mit Washington. Momentan scheint sich der US-Imperialismus – der einen Stellvertreterkrieg zum Sturz des syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad führt und einen Angriff auf den Iran vorbereitet – jedoch mehr auf die sunnitischen Islamisten zu verlassen, um seine Interessen in der Region zu verteidigen.

Gestern veröffentlichte die New York Times einen Kommentar von Roger Cohen, der den „sehr radikalen Wandel“ der US-Außenpolitik unter Präsident Obama lobte. Cohen schrieb, die amerikanische „Politik der Einigung sogar mit extremen Strömungen des politischen Islam im Nahen Osten ist gesund“, und fügte hinzu: „Das Modell sollte ausgeweitet werden.“

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