Flämische Nationalisten legen bei Kommunalwahlen zu

Der Sieg der Neuen Flämischen Allianz (N-VA) bei den Kommunalwahlen am vergangenen Wochenende lässt ein Auseinanderbrechen Belgiens wahrscheinlicher werden.

N-VA-Chef Bart de Wever forderte Ministerpräsident Elio di Rupo auf, sofort, schon vor der Parlamentswahl 2014, „eine föderale Staatsreform einzuleiten“. Die N-VA versucht ihren Erfolg bei den Kommunalwahlen zu nutzen, um ihre Position in der Regional-, wie in der Bundesregierung zu stärken.

Die N-VA errang bei den jüngsten Wahlen in der ganzen Region Flamen ca. dreißig Prozent der Stimmen und gewann 20 der 35 Distrikte. In drei der fünf Wahlbezirke wurde sie zur stärksten Partei. In Antwerpen erhielt die Partei 38 Prozent der Stimmen und hat damit einen komfortablen Vorsprung vor dem sozialdemokratischen Amtsvorgänger, Bürgermeister Patrick Janssens.

De Wever wird Bürgermeister von Antwerpen werden, der größten Stadt Flanderns und nach Brüssel zweitgrößten des Landes. Brüssel liegt zwar in Flandern, ist aber überwiegend französischsprachig und hat im belgischen Staatssystem den Status einer eigenständigen Region.

Antwerpen wurde seit dem Zweiten Weltkrieg zwar fast durchgehend von einem sozialdemokratischen Bürgermeister regiert, ist aber auch die Hochburg des flämischen Nationalismus. Mehrere Jahre lang dominierte die rechtsradikale Partei Vlaams Belang (VB, ehemals Vlaams Block) die politische Landschaft der Stadt. VB artikulierte die politische Agenda des Mainstreams, auch wenn die anderen Parteien sie mit einem so genannten cordon sanitaire isolierten.

Zuletzt gingen die Stimmens des VB in Antwerpen zurück, was Parteichef Bruno Valkeniers zu der Bemerkung veranlasste: „Wir waren lange Jahre der Eisbrecher, und jetzt ernten andere Parteien die Früchte.“

Das ist nicht ganz falsch. Die liberale Presse sucht Trost in dem relativen Rückgang des VB, aber der Aufstieg der N-VA deutet darauf hin, dass sein Programm Eingang in den Mainstream gefunden hat. Die N-VA wurde erst 2001 als rechte Abspaltung von der nationalistischen Volksunion (VU) gegründet. Der VB war ebenfalls als Abspaltung von der VU entstanden, allerdings schon 1978. Er vertrat eine rechte separatistische Opposition dagegen, dass die VU den Föderalismus immer offener akzeptierte.

Mit den jüngsten Wahlergebnissen hat die N-VA ihre guten Resultate bei der Parlamentswahl 2010, als sie 28 Prozent der Stimmen erhielt, noch einmal verbessert. Die N-VA errang damals 27 der 150 Sitze im Parlament und wurde damit zur größten Partei. Aber mit ihrem Beharren auf größerer regionaler Autonomie trug sie dazu bei, dass die Hängepartie, als keine Regierung gebildet werden konnte, 541 Tage dauerte. Als die N-VA zu Koalitionsgesprächen eingeladen wurde, sagte de Wever, er habe nichts dagegen, dass di Rupo aus der französischsprachigen Wallonie die Verhandlungen führe, solange sie zu größerer Autonomie für Flandern führten. Während die Presse von di Rupo erwartete, dass er das Land retten würde, sagte de Wever dem Time Magazin: „In unserem Parteiprogramm können Sie nachlesen, dass dieses Land nicht wert ist, gerettet zu werden.“

Als di Rupa im Dezember letzten Jahres schließlich eine labile Sechs-Parteien-Koalition bildete, wurde die N-VA nicht dazu eingeladen. Die Koalition einigte sich schnell auf einige Verfassungsänderungen, die ein paar finanzielle Verantwortlichkeiten von der Bundesebene auf die Regionalebene verlagerten. Zum Beispiel schlug die Koalition vor, die Verwaltung der Arbeitslosen von der zentralen Arbeitsverwaltung auf regionale Arbeitsämter zu verlagern.

Die Nationalisten führen schon seit langem die unterschiedliche Finanzkraft der Regionen als Begründung für ihre separatistische Perspektive ins Feld. Die Arbeitslosigkeit in der Wallonie ist etwa doppelt so hoch wie in Flandern, und die Separatisten beschweren sich regelmäßig, dass die Wallonen faul und Sozialhilfeschmarotzer seien. Eine neuere Studie des Instituts VIVES der Universität von Leuven hat errechnet, dass jedes Jahr sechzehn Milliarden Euro von Flandern in die Wallonie fließen.

Die Separatisten versuchen diese finanziellen Bindungen zu kappen, um die Interessen der regionalen herrschenden Klasse zu festigen. Die Separatisten versuchen die oberen Mittelschichten durch das Versprechen für sich zu gewinnen, weitere Kürzungen bei den sozialen Ausgaben im Süden durchzusetzen. De Wever sagte auf seiner Wahlabschlusskundgebung: „Die Flamen sind es satt, wie Kühe behandelt zu werden, die nur dazu taugen, gemolken zu werden.“

Die wirtschaftliche Realität sieht so aus, dass alle bürgerlichen Parteien für Sparpolitik und Haushaltskürzungen sind. Im Zentrum von di Rupos Koalitionsvereinbarung stehen Ausgabenkürzungen, Arbeitsplatzabbau und Steuererhöhungen. Die Regierung hat schon jetzt Kostensenkungen und Steuererhöhungen in Höhe von dreizehn Milliarden Euro durchgesetzt. Diese Woche beginnen die Haushaltsgespräche für das nächste Jahr. Es wird berichtet, dass die Regierung noch einmal 800 Millionen Euro an weiteren Einsparmöglichkeiten finden muss, um das Defizitziel für dieses Jahr zu erreichen.

Die Regierung hat versprochen, das Defizit von 3,7 Prozent des BIP im vergangenen Jahr auf 2,8 Prozent zu senken. Das Bundesplanungsbüro hat die Aussichten für die Wirtschaft allerdings von einem Wachstum von 0,1 Prozent in diesem und 1,3 Prozent im nächsten Jahr auf ein Schrumpfen von 0,1 Prozent in diesem Jahr und ein Wachstum von nur 0,7 Prozent in 2013 revidiert. Um 2013 ein Defizit von 2,15 Prozent zu erreichen, muss die Regierung vier bis fünf Milliarden Euro einsparen.

Die flämischen Nationalisten behaupten, die Kürzungen könnten vollständig durch Einschnitte bei den Sozialausgaben im Süden realisiert werden, aber es wird auch in Flandern zu Kürzungen bei den Sozialausgaben kommen.

Mehrere Kommentatoren haben versucht, die Bedeutung der N-VA-Zugewinne herunterzuspielen, indem sie betonen, dass es Kommunalwahlen waren und keine Parlamentswahlen. Sie behaupten, die Abstimmung habe nichts damit zu tun, dass die Bevölkerung die Kürzungspolitik ablehne.

Di Rupo anerkannte die Gewinne der Nationalisten, verwies aber auf die Parlamentswahlen in 2014. Er sagte: „2014 ist 2014, und dies war 2012“.

Aber die anderen Parteien in di Rupos Koalition schnitten bei dieser Wahl schlecht ab, besonders in Flandern. Das weist deutlich auf die Unzufriedenheit mit der Sparpolitik der Regierung hin. Außerdem gewann die ehemals maoistische Arbeiterpartei Belgiens deutlich. Die PvdA+/PTB ist zweisprachig und landesweit, nicht nur regional, verbreitet. In der Wallonie, wo in der letzten Zeit eher stabile Verhältnisse bei Wahlen die Regel waren, hat diese Tendenz in Lüttich Unterstützung gewonnen. Auch in Antwerpen hat sie deutlich dazu gewonnen und acht Prozent der Stimmen und vier Sitze im Stadtrat erhalten.

Ähnlich wie kürzlich die Separatisten in Schottland und Katalonien bietet auch das Programm der flämischen Separatisten keinen Schutz gegen die Lasten der Finanzkrise. Ihre Rolle besteht darin, die Arbeiterklasse zu verwirren und die Opposition gegen die herrschenden Eliten zu schwächen. Sie sind Ausdruck der Gegensätze in der europäischen Einigung unter kapitalistischen Verhältnissen. Die teilweise Übertragung nationaler Entscheidungsbefugnisse auf die Europäische Union läuft parallel zur Stärkung der „Autonomie“ verschiedener regionaler bürgerlicher Cliquen. Das hat zur Forderung nach der Bildung von Ministaaten geführt, die Zugang zu EU-Fonds und die Möglichkeit haben, globale Investoren anzuziehen.

Belgien war immer ein instabiles Gebilde, das von seinen großen Nachbarn hauptsächlich als nützlicher Puffer zwischen ihnen geduldet wurde. Eine Teilung Belgiens würde die Gefahr verschärfter Rivalitäten und Konflikte in ganz Europa mit sich bringen. Das Schicksal Belgiens ist eine dringende Mahnung, dass die Arbeiterklasse sich international vereinen und über Sprachgrenzen hinweg den Sozialismus aufbauen muss.

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