Buchbesprechung

Ein Schicksal im Schatten des Stalinismus

Wolfgang Brenner: Hubert im Wunderland. Vom Saargebiet ins rote Moskau. Conte Verlag, Saarbrücken, 2012

Hubert L´Hoste als Kind Hubert L´Hoste als Kind

Der saarländische Conte-Verlag hat ein bemerkenswertes Buch herausgebracht. Trotz des etwas märchenhaften Titels handelt es sich keineswegs um eine fiktive Geschichte. Der Autor und Drehbuchschreiber Wolfgang Brenner dokumentiert vielmehr darin gut recherchiert die Geschichte eines Jungen aus dem kleinen Dorf Oberlinxweiler im Saargebiet, der Ende 1933 im Alter von zehn Jahren nach Moskau kommt. Seine Heimat und seine Familie – bis auf die Mutter – wird er nie wieder sehen. Er stirbt im jungen Alter von 35 Jahren 1959 in der Sowjetunion. Seine tragische Lebensgeschichte ist auf das Engste verwoben mit der durch Nationalsozialismus und Stalinismus geprägten Geschichte der Arbeiterklasse in der ersten Hälfte es 20. Jahrhunderts.

Hubert L´Hoste, Sohn des Eisenbahnangestellten und KP-Funktionärs Johann L´Hoste, wächst mit seinen vier Brüdern und seiner kleinen Schwester unter sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Der Lohn des Vaters reicht kaum aus, um die achtköpfige Familie zu ernähren. Meist gibt es nur Kartoffeln und Gemüse zum Mittagessen, selten einmal, nur sonntags ein kleines Stück Fleisch. Der Vater macht zu dieser Zeit als Kommunist Propaganda für den Status Quo des Saarlands, das nach dem Versailler Vertrag unter der Herrschaft des Völkerbunds steht.

Wirtschaftlich wurden, wie es der Versailler Vertrag vorsah, die Kohle- und Eisenindustrie des Saarbeckens von Frankreich ausgebeutet, und der Masse der Bevölkerung ging es sehr schlecht. Eine Volksabstimmung über die nationale Zugehörigkeit des Gebiets war für 1935 festgelegt worden. Die Kommunistische Partei hatte sich 1934 dazu durchgerungen, gegen den Anschluss an das Deutsche Reich zu votieren.

Hubert L´Hoste mit seiner Frau Amalie und seiner Tochter Leonore Hubert L´Hoste mit seiner Frau Amalie und seiner Tochter Leonore

Die Familie L´Hoste macht sich daher dafür stark, dass das Saargebiet nicht in das von den Nationalsozialisten beherrschte Deutschland eingegliedert wird. Das setzt den Vater und seine älteren Brüder, die ebenfalls politisch aktiv sind, der Verfolgung durch rechte und nationalsozialistisch gesinnte Nachbarn aus. An ihrer Hälfte des Doppelhauses, in dem sie wohnen, hängt die rote Fahne und an der anderen Hälfte die der Nationalsozialisten. Die Familie erhält Drohbriefe mit Zeichnungen von Richtblock und Galgen; immer wieder ist sie heftigen Repressionen ausgesetzt. Es wird immer deutlicher, dass die Familie sich im Fall des Anschlusses an das nationalsozialistische Deutschland nur durch Flucht entziehen kann.

Der Stahlbaron Hermann Röchling gehört zu den stärksten Befürwortern des Anschlusses an das Deutsche Reich. Er schließt sich mit der christlichen und Teilen der Freien Gewerkschaften zur Deutschen Front zusammen, die auch von der katholischen Kirche stark unterstützt wird. Die Deutsche Front macht massiv Propaganda für die Eingliederung ins Nazireich. Hubert und sein Bruder Roland sind aktiv in der kommunistischen Kinderorganisation, den Jungen Pionieren. In der Schule wird auf die Jungen durch Pfarrer und konservative Lehrer starker Druck ausgeübt. Nicht selten gibt es Prügel.

Da kommt plötzlich hoher Besuch in die Familie. Der in der Sowjetunion und in internationalen kommunistischen Kreisen hoch angesehene Journalist und Verleger Michail Kolzow mit seiner deutsche Lebensgefährtin, der Schriftstellerin und Journalistin Maria Osten will sich über die Lage in der Saarregion informieren. Sie besuchen auch die L`Hostes und machen dem Vater den Vorschlag, Hubert mit in die Sowjetunion zu nehmen. Er soll das Arbeiterparadies Sowjetunion kennen lernen und als Vorzeigepionier herumgereicht werden, Tagebuch führen und berichten können, wie gut es den Menschen dort geht, während im Deutschen Reich die Nationalsozialisten Furcht und Elend verbreiten.

Die Mutter, eine fromme Katholikin, die sich große Sorgen um ihre Kinder macht, erfährt erst von dem Plan, als schon alles geregelt ist. Schweren Herzens stimmt sie zu, ihren Sohn die weite Reise antreten zu lassen. Die Eltern sind froh, angesichts der sich zuspitzenden politischen Lage wenigstens eines ihrer Kinder in Sicherheit zu wissen. Hubert fällt der Abschied vor allem von seinem Bruder Roland schwer, zu dem er ein sehr enges Verhältnis hat. Er wird ihn nie wiedersehen, denn Roland stirbt, nachdem er von der SS verhaftet und in etlichen Konzentrationslagern gequält worden war, im Gefängnis in Siegburg an Typhus. Auch der Vater muss eine Odyssee durch Konzentrationslager überstehen. Er und die drei älteren Brüder überleben die Strapazen und Qualen der Gefangenschaft mit großen gesundheitlichen Schäden.

Hubert fährt zunächst mit dem Zug nach Paris, wo sich Kolzow und Osten gerade aufhalten, um den von der stalinschen Volksfrontpolitik inspirierten internationalen Schriftstellerkongress zur „Rettung der Kultur“ vorzubereiten. Nach vielen bürokratischen Hürden gelingt es, für Hubert alle notwendigen Visen für die große Reise zu besorgen. Ende Dezember trifft er in Moskau ein. Er wohnt mit Maria Osten in einer Wohnung Kolzows in einem großen, von vielen Prominenten bewohnten Haus an der Moskwa in der Nähe des Gorki-Parks. Nach einigen Wochen kann er die Karl-Liebknecht-Schule in Moskau besuchen, auf die zahlreiche Emigrantenkinder gehen.

Der mit einer anderen Frau verheiratete Kolzow ist nur zeitweilig anwesend. Auch Maria Osten kann sich als vielbeschäftigte Journalistin nicht immer um Hubert kümmern. Aber die Vermarktung des jungen Vorzeigepioniers geht zügig voran. Es werden Treffen mit Berühmtheiten wie dem Reitergeneral Budjonny oder Marschall Tuchatschewski organisiert. Mit Stalins Tochter Swetlana wird er fotografiert. Er lernt den ebenfalls aus dem Saarland stammenden Schriftsteller Gustav Regler kennen.

Maria Osten schreibt eifrig an dem Jugendbuch Hubert im Wunderland. Tage und Taten eines deutschen Pioniers, in dem Huberts Erlebnisse im Saargebiet und in der Sowjetunion geschildert werden. Es erscheint 1935 in Michail Kolzows Jurgaz-Verlag. Das Vorwort zum Buch schrieb der Komintern-Vorsitzende Georgi Dimitroff. Nach dem Erscheinen des Buches ist Huberts Popularität auf dem Höhepunkt. Er muss auf zahlreichen Versammlungen sprechen. Eine Reihe von Plätzen, Straßen und Betrieben werden nach ihm benannt. Er nimmt am Ferienlager Ernst Thälmann teil.

Aber seine Schul- und Jugendjahre verlaufen sehr wechselhaft und keineswegs so glänzend wie in Maria Ostens Buch. Er hat große Probleme mit seiner Rolle als Vorzeigepionier. Immer mehr rebelliert er gegen die Anforderungen dieser Rolle. Seine schulischen Leistungen sind mäßig. Von Mitschülern wird er wegen seiner Prominenz keineswegs geschätzt, sondern sobald das Lehrpersonal abwesend ist, gehänselt und gequält. Freunde findet er kaum. Oft ist er sich selbst überlassen, weil seine Pflegeeltern oft abwesend sind.

Maria Osten (eigentlich Greßhörner) hatte sich als Autodidaktin zur Schriftstellerin und einer wichtigen Verlagsmitarbeiterin im Berliner Malik-Verlag Wieland Herzfeldes hochgearbeitet. Mit ihrem ersten Mann, dem sowjetischen Regisseur Jewgeni Tscherwiakow, war sie erstmals in die Sowjetunion ausgewandert, nach dem Scheitern ihrer Ehe aber zunächst nach Deutschland zurückgekehrt.

1932 lernte Osten den Prawda-Journalisten Michail Kolzow kennen und wurde Redakteurin der Deutschen Zentral-Zeitung (DZZ) in der Sowjetunion, die sowohl von der deutschsprachigen Bevölkerung dort als auch von Emigranten gelesen wurde. Befreundet war sie mit zahlreichen Schriftstellern und Künstlern, unter anderen mit Bertolt Brecht, Ilja Ehrenburg, Egon Erwin Kisch, Ludwig Marcuse, Erwin Piscator und Ernst Busch. Maria Osten ist auch Mitarbeiterin der berühmten Exilzeitschrift Das Wort, zu deren Autoren auch Brecht gehört. Für Lion Feuchtwanger organisiert sie dessen Reise in die Sowjetunion, über die er sein berüchtigtes Buch Moskau 1937 veröffentlicht. Darin rechtfertigt er die Moskauer Prozesse.

Während des Spanischen Krieges bereiste Maria im Auftrag der DZZ das Land und schrieb über die Internationalen Brigaden. Ihre Artikel erschienen in russischer Sprache unter dem Titel „Spanien-Reportagen“. In seinem Roman Wem die Stunde schlägt zeichnet Ernest Hemingway ein idealisiertes Porträt von ihr und Kolzow (Karkow).

Aus Spanien bringt sie ein zweites Pflegekind nach Moskau, mit dem fortan Hubert ihre ohnehin wegen Arbeitsüberlastung und häufiger Abwesenheit nachlassende Zuwendung teilen muss. Das vergrößert seine Probleme. Er leidet unter Heimweh und der Sehnsucht nach seiner Familie, die inzwischen aus dem Saarland nach Frankreich emigrieren musste. Seine Begeisterung für die Sowjetunion ist längst Ernüchterung und Enttäuschung gewichen. Nach seiner relativ erfolglosen Schullaufbahn absolviert er durch Vermittlung von Kolzows Bruder, dem regimetreuen Karikaturisten Boris Jefimow, eine Ausbildung zum Elektromechaniker. Jefimows Karikaturen der Angeklagten der Moskauer Prozesse als Ungeziefer sind bei den Herrschenden sehr beliebt, obwohl er bis zu dessen Verbannung zu den größten Verehrern Leo Trotzkis gehört hatte.

Auch Kolzow ist als Berichterstatter nach Ausbruch des Bürgerkriegs 1936 in Spanien. Trotz seiner absolut loyalen Haltung zum Stalin-Regime und seiner Beteiligung an dessen Verbrechen, oder vielleicht grade deswegen, gerät er in den Sog der Säuberungen. Kolzow ist in Spanien in die Liquidierung von Gegnern der stalinistischen Volksfrontpolitik involviert und insofern ein Mitwisser. Vor allem hat er unzählige Lügen und Gräuelmärchen über nicht-stalinistische Spanienkämpfer verbreitet und deren Ermordung gerechtfertigt. Er wird nach Moskau zurückbeordert, dort 1938 verhaftet, als angeblicher Trotzkist verurteilt und 1940 hingerichtet.

Kolzow warnt Maria Osten vor der Rückkehr nach Moskau, aber sie befolgt den Rat nicht. Sie kehrt nach Moskau zurück, um Kolzow zu retten, von dessen Verhaftung sie in Paris erfahren hat. Als sie in ihre Wohnung will, lässt sie Hubert, der dort inzwischen mit einer Studentin zusammenlebt, nicht hinein. Seine Begründung ist, dass er mit der Frau eines Volksfeindes nichts zu tun haben wolle.

In dieser Haltung des Sechzehnjährigen spiegelt sich die Atmosphäre von Existenzangst und Schrecken, die inzwischen in der Sowjetunion herrscht. Täglich werden selbst berühmte Intellektuelle und hohe Funktionäre vom NKWD verhaftet oder verschwinden einfach. Wie es im Buch heißt, gab es „einen Grad der Gefährdung – und dieser Grad wuchs, das wussten alle und auch Hubert, immens, wenn man sich nicht nachdrücklich genug von Angehörigen oder Freunden distanzierte, die es getroffen hatte.“

Maria Ostens Buch Hubert im Wunderland ist damals längst in der Versenkung verschwunden und Huberts Berühmtheit vergessen. Sie lebt in einem billigen Hotel und von Gelegenheitsjobs. Für Kolzow kann sie nichts tun. Sie richtet einen Hilferuf an Brecht, der in der Sowjetunion hohes Ansehen genießt. Aber er bleibt untätig. Als Brecht mit seiner Familie und seiner todkranken Geliebten und Mitarbeiterin Margarte Steffin diese auf der Durchreise nach Wladiwostok in Moskau zurücklassen muss, kümmert sich Maria um sie und pflegt sie bis zum Tod.

Auch ihre Hilferufe an Walter Ulbricht und Johannes R. Becher helfen nicht. Im Gegenteil: Die Genossen, darunter auch Kurt Funk (alias Herbert Wehner), liefern sie ans Messer. Wegen ihrer Verbindungen zum „Versöhnlerkreis“ des Malik-Verlages und dem inzwischen verfemten John Heartfield wird sie von der in Moskau residierenden Ulbricht-Führung aus der KPD ausgeschlossen. Auch ihre Freundschaft mit der verhafteten Carola Neher, der berühmten Schauspielerin und Brechtfreundin, deren Mann 1937 als „Trotzkist“ hingerichtet worden war, wird ihr vorgeworfen. (Carola Neher wurde zu Lagerhaft verurteilt und starb nach fünf Jahren in einem Lager bei Orenburg.)

Maria Osten wurde am 24 Juni 1941 vom NKWD verhaftet, wegen Spionage für Deutschland und Frankreich verurteilt und starb unter „ungeklärten Umständen“ angeblich im Gulag. (Nach anderen Quellen wurde sie am 16.9.1942 im Gefängnis von Saratov erschossen.) Sie wurde 1957 rehabilitiert.

Viele von Huberts Klassenkameraden und ihre Eltern werden ebenfalls von der Terrorwelle erfasst. Auch Hubert selbst bleibt nicht verschont. Als er sich freiwillig zum Militär meldet, wird er abgelehnt.

Zusammen mit zahllosen anderen Deutschen und Deutschstämmigen wird er nach Hitlers Einmarsch in die Sowjetunion 1941 nach Kasachstan deportiert. Dort muss er unter primitivsten Verhältnissen in der Steppe für umgesiedelte ehemalige Kulaken Vieh hüten und in einem Zelt hausen. Die Bauern schikanieren ihn gnadenlos. Durch Zufall trifft er dort zufällig mit seinem ebenfalls umgesiedelten ehemaligen Mitschüler aus der Karl Liebknecht-Schule Wolfgang Leonhard zusammen, muss aber aus Angst vor seinem Dorfbrigadier schnell zurück an seine Arbeit.

Am Verbannungsort Karaganda tauchen auch für kurze Zeit die KPD-Kader und Ulbricht auf, um Emigranten für die Propagandaarbeit in den Kriegsgefangenenlagern zu schulen. Hubert gerät dabei in Konflikt mit seiner Arbeit in der Kolchose. Ulbricht maßregelt ihn mehrmals, weil er nach dem langen Weg aus der Steppe zu spät zu den Sitzungen in der Stadt erscheint. Auch als er krank wird, erhält er keine Hilfe. Schließlich gelingt es ihm, sich zum Mechaniker der Kolchose hochzuarbeiten. Er nimmt die russische Staatsbürgerschaft an, heiratet eine Deutschrussin und bekommt mit ihr eine Tochter.

Aber damit ist sein Leidensweg nicht beendet. Er wird angeklagt, sich an Betriebseigentum vergriffen zu haben. Die wirklichen Umstände sind nicht klar. Jedenfalls ist er von Kollegen denunziert worden. Angeklagt wird er gleichzeitig, weil er sich angeblich ausfällig gegen Stalin geäußert haben soll. Er wird zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt. 23 Jahre ist er damals alt. Als er 1951 zu seiner Familie zurückkehren kann, ist er ein gebrochener Mann. Immer stärker verbeißt er sich in den Gedanken, zu seiner Familie ins Saarland zu gehen. Aber der Kontakt zu ihr ist vollständig abgebrochen. Er kann nichts über ihren Verbleib herausfinden, und sie nichts über seinen.

Da kommt er auf die Idee, in einem Kriegsgefangenenlager Kontakt zu Gefangenen aufzunehmen. Da dies illegal ist, kommt er erneut in Haft. Diesmal muss er für weitere fünf Jahre nicht ins Lager, sondern wird zusammen mit Schwerverbrechern ins Gefängnis gesperrt, die ihn misshandeln und getötet hätten, wenn nicht zufällig ein Wärter dazugekommen wäre.

Nach seiner Entlassung 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, kann er heimlich in Moskau Kontakt zu Jefimow aufnehmen und dieser erreicht, dass der gesundheitlich schwer angeschlagene Hubert mit seiner Familie Kasachstan verlassen und auf die Krim umziehen darf. Eine Rückkehr nach Deutschland wird ihm nicht erlaubt. Die Welt befindet sich im Kalten Krieg. Man will den antikommunistischen westdeutschen Politikern und Medien keine Gelegenheit geben, die Leiden Huberts propagandistisch auszuschlachten. Eine Ausreise wird nur in die DDR erlaubt, als aber die Bürokratie erfährt, dass er beabsichtigt, von dort nach Westdeutschland zu fliehen, wird die Erlaubnis zurückgezogen. Stattdessen wird ein Besuch der Mutter Huberts auf der Krim organisiert. Der Vater ist inzwischen gestorben. So darf Maria L´Hoste, die zusammen mit ihrem aus dem KZ Dachau entlassenen Sohn Kurt wieder im Saarland lebt, nach 25 Jahren ihren Sohn wiedersehen.

Nach ihrer Abreise versucht Hubert weiterhin, die Sowjetunion zu verlassen. Seine Ehe ist unter den großen Belastungen zerrüttet. Er hat den Plan, mit einem Boot über das Schwarze Meer zu fliehen. Aber im Sommer 1959 erkrankt er schwer an einem Blinddarmdurchbruch und stirbt. Er wird auf einem kleinen Friedhof in Malorechenskoye begraben und erhält einen Obelisken mit Sowjetstern als Grabstein.

All dies wird mit großem Einfühlungsvermögen geschildert. Der Autor bemüht sich, die einzelnen Abschnitte der Lebensgeschichte Huberts in den jeweiligen politischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen, was ihm aber nur teilweise gelingt. Das liegt vor allem an seinem mangelnden Verständnis des Stalinismus und der anderen politischen Tendenzen, die damals das Geschehen in Deutschland und der Sowjetunion bestimmten. Er betrachtet die Ereignisse weitgehend aus der Sicht seines Protagonisten, der als passives Opfer in die Mühlen des Schicksals geriet, ohne es zu verstehen oder beeinflussen zu können.

So setzt sich Brenner nicht kritisch mit der Politik der KPD auseinander, die unter dem verheerenden Einfluss Stalins stand, als Johann L’Hoste im Saarland zu ihren führenden Aktivisten zählte und Hubert den Jungen Pionieren beitrat. Schon die Machtübernahme der Nazis in Deutschland war eine direkte Folge der katastrophalen Politik der KPD, die sich einer Einheitsfront mit der SPD gegen Hitler strikt widersetzte, obwohl beide Parteien zusammen weit mehr Unterstützung als die Nazis hatten. Ihre feige und ohnmächtige Politik versteckte die KPD hinter fatalistischen Parolen („Nach Hitler kommen wir“) und ultralinken Angriffen auf die SPD, die sie als Zwillingsschwester der Nazis und sozialfaschistisch beschimpfte. Die Trotzkisten, die für eine Einheitsfront eintraten, verfolgte sie unerbittlich.

Auch die Haltung der KPD in der Saarfrage war von derselben Mischung aus passivem Fatalismus und ultralinken Phrasen geprägt. (1) Obwohl Hitler seit Januar 1933 an der Macht und die KPD in Deutschland verboten war, trat die Saar-KPD noch eineinhalb Jahre lang für den Anschluss ans Reich ein. Sie verbrämte das mit der radikalen Parole „Die rote Saar in einem roten Rätedeutschland.“ Erst im August 1934 änderte sie ihre Haltung. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits viele Mitglieder und Anhänger demoralisiert, was mit dazu beitrug, dass sich die Saarländer 1935 mehrheitlich für den Anschluss entschieden.

1934 vollzog nicht nur die KPD, sondern die gesamte Kommunistische Internationale einen Schwenk und wandte sich der Volksfront-Politik zu. Im Namen der „Einheit gegen den Faschismus“ arbeiteten die Stalinisten nun mit bürgerlichen Regierungen und Parteien zusammen und erdrosselten jede revolutionäre Initiative der Arbeiterklasse. In Frankreich erstickte die Kommunistische Partei so die mächtige revolutionäre Welle, die das Land 1936 überflutete. In Spanien besiegelte die Volksfront das Schicksal der Revolution und sicherte Francos Sieg. Während die spanische Arbeiterklasse heldenhaft gegen die Faschisten kämpfte und ihr Tausende Freiwillige aus der ganzen Welt zu Hilfe eilten, stützten die Stalinisten die bürgerliche Regierung der Republik, die den Kampf systematisch sabotierte. Der stalinistische Geheimdienst verfolgte und ermordete hinter der Front revolutionäre Arbeiter, die sich dem stalinistischen Diktat nicht fügten. In Moskau wurden gleichzeitig fast alle Führer der Oktoberrevolution in Schauprozessen verurteilt und hingerichtet.

Brenner erwähnt zwar diese Verbrechen, die Bedeutung des spanischen Bürgerkriegs jedoch versteht er überhaupt nicht. Sonst könnte er ihn nicht als „absurden Krieg“ bezeichnen und schreiben: „Man muss die ideologische Latte sehr hoch legen, um zu verstehen, wieso junge Menschen ihr Leben riskierten für ein vergleichsweise unwichtiges politisches Gerangel, wieso Väter und Mütter ihre Kinder im Stich ließen, um in Barcelona, Madrid oder auf den Schlachtfeldern Kataloniens das Böse zu besiegen.“

In Wirklichkeit entschied sich in Spanien die Zukunft Europas, was damals viele Arbeiter verstanden. Nachdem die Faschisten in Italien und Deutschland ihre Herrschaft gefestigt hatten, bot sich hier die letzte Chance, den Vormarsch des Faschismus zu stoppen. Eine Niederlage Francos hätte Mussolinis und Hitlers Stellung stark geschwächt; nach seinem Sieg, den er wesentlich dem stalinistischen Verrat zu verdanken hatte, stand dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr im Wege.

Der Kampf der Linken Opposition, von dem es hervorragende biographische Zeugnisse gibt (2), findet in Brenners Buch keine Erwähnung. Daher erscheinen die Säuberungen und die Hinrichtung der alten Garde der Bolschewiki und zahlloser anderer unschuldiger Menschen wie ein unabwendbares Schicksal, und nicht als Ergebnis der Konterrevolution einer privilegierten Bürokratie gegen die Errungenschaften der Oktoberrevolution und die internationale Arbeiterklasse. Das gilt auch für Huberts eigenes Leben, der ein Opfer des Stalinismus war, aber diesem nichts entgegensetzen konnte, weil er – wie unzählige andere Kommunisten – ohne eigene Schuld von einer politischen Alternative zum Stalinismus abgeschnitten war.

Trotzdem ist Brenners Buch eine sehr lesenswerte Biographie, aus der nachvollziehbar wird, welch traumatische Erfahrungen Arbeiter im 20. Jahrhundert machten und welche verheerende Auswirkungen die konterrevolutionäre stalinistische Politik hatte.

Anmerkungen

1) Eine recht gute Darstellung dazu findet sich in dem Buch von Karl Retzlaw: Spartacus. Ausstieg und Niedergang eines Parteiarbeiters, Frankfurt 1976

2) Beispiele dafür sind die Autobiografien der Ehefrau und der Tochter von Adolf Joffe, Maria Joffe : One long Night, London 1977 und Nadeshda Joffe: Rückblende, Essen 1997

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