Perspektive

Folter in Griechenland: Die EU zeigt ihr wahres Gesicht

Mit ihrem Blitzbesuch in Athen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich gemacht, dass die Europäische Union ihre Angriffe auf die sozialen Rechte und Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung in ganz Europa weiter verschärfen wird.

Durch 7.000 Polizisten von der griechischen Bevölkerung abgeschirmt, raste Merkel am Dienstag in Athen durch menschenleer geräumte Straßen, um Ministerpräsident Andonis Samaras den Rücken zu stärken, damit er in seiner Sparpolitik nicht nachlässt. Anschließend traf sie sich mit Unternehmern, die sich dank der mittlerweile in Griechenland geltenden Hungerlöhne ein gutes Geschäft versprechen.

In der französischen Nationalversammlung verabschiedete am selben Tag eine große Koalition aus der regierenden Sozialistischen Partei, der konservativen UMP und der zentristischen MoDem den Fiskalpakt, den Merkel noch mit dem inzwischen abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy ausgehandelt hatte. Obwohl sein Nachfolger François Hollande die Wahl nicht zuletzt dank seines Versprechens gewonnen hatte, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, wurde daran nicht ein Komma geändert. Er verpflichtet die Regierung, das Haushaltsdefizit durch radikale Einsparungen bei den Sozialausgaben zu senken.

Griechenland gilt als Modell für ganz Europa, seit es im April 2010 erstmalig Hilfskredite der EU beantragte. Die Lohnkürzungen, die Massenentlassungen und die Zerschlagung der Sozialsysteme, die verschiedene griechische Regierungen seither auf Anordnung der Troika durchgeführt haben, dienen als Vorlage für alle anderen Länder des Kontinents. Und obwohl dieser Kurs Griechenland in die tiefste Rezession seiner Geschichte gestürzt, breite Bevölkerungsschichten in Armut und Arbeitslosigkeit geworfen und die Staatsschulden trotz Einsparungen auf neue Rekordhöhen getrieben hat, wird er weiter verschärft und mittels des Fiskalpakts auf ganz Europa ausgedehnt.

Es ist offensichtlich, dass es dabei nur vordergründig um den Abbau von Schulden und um den Zusammenhalt der Eurozone geht. Die EU, die europäischen Regierungen und die Finanzaristokratie, die hinter ihnen steht, geben keine Ruhe, bis sie den Lebensstandard der europäischen Arbeiter auf jenen der Foxconn-Arbeiter in China oder der Bergarbeiter in Südafrika gesenkt haben.

Schon jetzt findet inmitten der Krise an der Spitze der Gesellschaft eine obszöne Bereicherung statt. Griechische Millionäre, die ihr Geld in der Schweiz in Sicherheit gebracht haben, werden nicht belangt, obwohl die griechischen Finanzminister seit zwei Jahren über entsprechende Daten verfügen. Die Milliarden aus den Eurorettungsfonds EFSF und ESM fließen direkt auf die Konten der Banken und von dort in die Taschen der Reichen, während die Arbeiter systematisch ausgeplündert und erniedrigt werden.

Griechenland ist nicht nur bei den sozialen Angriffen europäischer Vorreiter, sondern auch bei den politischen Angriffen auf die Arbeiterklasse.

Bisher hatten sich die Regierungen vor allem auf die Gewerkschaften und pseudolinke Organisationen wie die Koalition der Alternativen Linken (SYRIZA) gestützt, um den Widerstand der Arbeiterklasse in Schach zu halten. Die Gewerkschaften haben sorgfältig dosierte Proteste organisiert um Dampf abzulassen, und dabei eng mit der jeweiligen Regierung zusammengearbeitet. Syriza hat die Illusion verbreitet, die Europäische Union lasse sich reformieren und zu einer Politik im Interesse der Arbeiter bewegen, falls ihr nur genügend Wähler ihre Stimme geben, um eine Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Europäische Union zu unterbinden.

Doch diese Methoden allein reichen nicht mehr aus. So lautete eines der wichtigsten Wahlversprechen von Syriza-Chef Alexis Tsipras, er werde in enger Zusammenarbeit mit dem neu gewählten französischen Präsidenten Hollande den Kurs der EU verändern. Das war schon damals eine durchsichtige Lüge, doch spätestens die Verabschiedung des Fiskalpakts in Paris hat sie endgültig als Hirngespinst entlarvt.

Nun greift die griechische Regierung wieder zu Mitteln, mit denen die herrschende Klasse Europas schon in den 1930er Jahren gegen die Arbeiterklasse vorging – zu faschistischem Terror und autoritären Herrschaftsformen. Sie mobilisiert die rückständigsten Schichten der Gesellschaft, um Arbeiter einzuschüchtern und zu unterdrücken.

Die schwere Misshandlung von Demonstranten, die gegen die faschistische Partei Chrysi Avgi protestierten, durch die griechische Polizei ist in dieser Hinsicht ein Warnsignal für ganz Europa. Die Szenen, die sich in den Athener Gefängnissen abspielten, erinnern an die Folterpraxis in Abu Ghraib und waren in Europa zuletzt unter den faschistischen Diktaturen in Griechenland, Spanien und Portugal zu beobachten.

Die griechische Regierung hat die Chrysi Avgi in den letzten Monaten systematisch aufgebaut, ihre brutalen Attacken auf Migranten und politische Gegner gedeckt und sie durch die eigene Jagd auf Flüchtlinge und Migranten gestärkt. Die Polizei ist eng mit der faschistischen Partei verbunden.

All dies wird von den Vertretern der EU stillschweigend gebilligt. Während sich die deutsche Presse über die Hakenkreuze ereifert, mit denen einige Demonstranten Merkel empfingen, sind ihr die wirklichen Faschisten in Griechenland kaum eine Zeile wert. Der Grund ist, dass sich alle europäischen Regierungen darauf vorbereiten, sozialen Widerstand gewaltsam zu ersticken. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich die bisherige Rechtsprechung über den Haufen geworfen und den Einsatz der Bundeswehr im Innern für zulässig erklärt.

Der soziale Kahlschlag in Europa lässt sich mit Demokratie nicht mehr vereinbaren. Je stärker sich die Klassengegensätze in Europa zuspitzen, desto offener wenden sich die herrschenden Eliten autoritären Formen der Herrschaft zu. Was mit der Hatz auf Migranten begonnen hat und sich in Griechenland mit der Folter politischer Gegner fortsetzt, wird sich gegen die gesamte europäische Arbeiterklasse richten.

Deswegen ist die Verteidigung demokratischer Rechte untrennbar mit dem Kampf gegen die EU-Institutionen und ihre Politik der sozialen Konterrevolution verbunden. Wie in den Schicksalsjahren des 20. Jahrhunderts steht Europa wieder vor der Frage, ob die herrschende Elite, um ihren Reichtum zu sichern, den Kontinent mit Diktatur und Krieg überzieht oder die Arbeiterklasse die Macht übernimmt und der EU der Banken und Konzerne die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegenstellt.

Dies erfordert zuallererst, dass sich Arbeiter und Jugendliche von den Gewerkschaften und pseudolinken Gruppen lösen, die alles daran setzen, sie den EU-Institutionen und dem bürgerlichen Staat unterzuordnen und so den Faschisten den Weg bahnen. Notwendig ist eine unabhängige Bewegung von unten und vor allem der Aufbau einer neuen internationalen Arbeiterpartei – des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Loading