Ungarn: Orban verschärft nationalistische Rhetorik

Victor Orban ist für seine rechten, nationalistischen Töne bekannt. Doch was der ungarische Regierungschef in den vergangenen Tagen und Wochen von sich gab, stellt all seine bisherigen Äußerungen in den Schatten.

Anfang Oktober hielt Orban eine Blut- und Bodenrede, mit der er sich ins Lager der äußersten Rechten stellte. Er weihte in der südungarischen Gemeinde Opusztaszer ein Denkmal für den mythischen Vogel „Turul” ein, den er als Symbol der nationalen Identität und als „Urbild“ der Ungarn bezeichnete. „Das Urbild gehört zum Blut und zum Heimatboden“, fügte er wörtlich hinzu.

Der Kult um das Greif-artige Fabelwesen hatte zuletzt unter dem Pfeilkreuzler-Regime geblüht, das in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs eine faschistische Diktatur errichtet und Zehntausende Juden ermordet hatte.

Orban übernahm in Opusztaszer nicht nur die Symbolik, sondern auch die inhaltlichen Forderungen der äußersten Rechten. „Dieses Denkmal will uns sagen, dass es nur ein einziges Vaterland gibt, und zwar jenes, welches dazu fähig ist, alle Ungarn diesseits und jenseits der Trianon-Grenzen in einer einzigen Gemeinschaft zu vereinigen“, erklärte er.

Bisher war die Forderung nach einer Revision der 1921 im Vertrag von Trianon festgelegten ungarischen Grenzen nur von der neofaschistischen Partei Jobbik offen vertreten worden. Sie fordert ein Großungarn, das auch die ungarisch besiedelten Regionen der Nachbarländer umfasst.

Die nationalistischen Tiraden des Regierungschefs sind Wasser auf die Mühlen der Ultrarechten. Vergangene Woche zogen rund tausend Rechtsextremisten mit Fackeln durch eine Roma-Siedlung in der ostungarischen Stadt Miskolc. Jobbik hatte zu dem Marsch aufgerufen, und unter den Teilnehmern befanden sich auch zahlreiche uniformierte Mitglieder der paramilitärischen Ungarischen Garde.

Orban reagiert mit seiner nationalistischen Agitation auf den Niedergang seiner Partei Fidesz und auf die wachsende Opposition gegen das Spardiktat, das seine Regierung in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) durchsetzt.

Hatte der Fidesz bei den Wahlen 2010 noch die absolute Mehrheit erzielt, so würden heute den neuesten Umfragen zufolge nur noch 16 bis 19 Prozent der Wähler für ihn stimmen. Damit steht er nur noch knapp vor den oppositionellen Sozialisten, die auf 14 Prozent kommen. Auch Jobbik hat seit den Wahlen 2010 über die Hälfte der Wähler verloren und kommt nur noch auf 7 Prozent. Laut der Umfrage des Instituts Ipsos würden rund 52 Prozent der Ungarn überhaupt nicht mehr wählen gehen.

Vor kurzem verlor der Fidesz auch zwei Nachwahlen auf Bezirks- und Gemeindeebene. In Sopron, einer westungarischen Hochburg von Fidesz, siegte der sozialistische Herausforderer mit 46 Prozent der Stimmen. Zuvor war der Fidesz-Kandidat in Dunafoldvar, einer Gemeinde südlich von Budapest, einem unabhängigen Kandidaten unterlegen, der ebenfalls von den Sozialisten unterstützt wurde.

Mit der zunehmenden sozialen Krise im Land wächst die Wut auf die Regierung. Laut dem Statistischen Zentralamt in Budapest ist die Zahl der Beschäftigten in der Wirtschaft mittlerweile zum neunten Male in Folge gesunken. Allein im August betrug der Rückgang 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. In der ungarischen Privatwirtschaft ging die Zahl der Stellen in einem Jahr um 45.500 zurück

Die offizielle Arbeitslosenquote ist zwar gesunken, aber das ist eine Folge kommunaler Beschäftigungsprogramme, die Arbeitslose zwingen, praktisch umsonst zu arbeiten. Sie werden durch Steuergelder finanziert, und der gesetzliche Mindestlohn wurde für sie eigens aufgehoben. Sozialhilfeempfänger, Langzeitarbeitslose sowie Frührentner müssen 40 Stunden pro Woche arbeiten, um die extrem niedrigen Sozialleistungen um maximal 70 Euro pro Monat aufzubessern. Lehnen sie die Arbeit ab, werden sämtliche Leistungen komplett gestrichen.

Gleichzeitig verarmt die ungarische Bevölkerung immer stärker. Das durchschnittlich verfügbare Jahreseinkommen ist innerhalb eines Jahres von 5.036 Euro auf 4.884 Euro gesunken. Der Anteil der nach UN-Maßstäben „in Armut lebenden” Menschen stieg auf 1,5 Millionen, das sind rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Weitere 30 Prozent gelten als „akut armutsgefährdet“.

Zwischen den noblen Vierteln der Hauptstadt und dem Rest des Landes hat sich eine extreme Kluft aufgetan. In den Budapester Vororten und dem 1. und 2. Bezirk der Hauptstadt liegt das Durchschnittseinkommen 130 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Besonders prekär ist die Lage in den bettelarmen Provinzen im Süden und Osten.

Der rapide soziale Niedergang ist auf die Sparpolitik der Regierung und des Internationalen Währungsfond (IWF) zurückzuführen. Gegenwärtig verhandeln Regierungsvertreter mit dem IWF über die Ausweitung der Kreditlinie mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro. Orban lässt keinen Zweifel daran, dass er weitere Sparauflagen des IWF akzeptieren wird, um die Gelder zu erhalten. Ungarn befindet sich inmitten einer Rezession und die Wirtschaftsprognosen fallen sehr düster aus.

Das hindert Orban allerdings nicht daran, sich in einer durchsichtigen innenpolitischen Kampagne gegen den IWF und die „Schuldensklaverei” auszusprechen. Seit Anfang Oktober schaltet die Regierung in den Tageszeitungen Inserate, in denen sie verspricht, Forderungen des IWF nicht nachzugeben.

Am 23. Oktober, dem Jahrestag des Ungarnaufstandes von 1956, demonstrierten die Anhänger des Regierungschefs unter dem Motto „Wir sind keine Schuldsklaven“ gegen die „Diktate“ der EU und des IWF. Organisator des so genannten Friedensmarsches war der regierungsfreundliche Industrielle und Zeitungsherausgeber Gábor Széles. Die Fidesz-geführte Budapester Stadtverwaltung hat kürzlich Teile des städtischen Busverkehrs an das private Verkehrsunternehmen VT Transmann ausgegliedert, das Széles gehört.

Nach Angaben der Medien beteiligten sich rund 150.000 Menschen an der regierungsfreundlichen Demonstration. Wie schon häufig zuvor wurden Fidesz-Anhänger aus dem ganzen Land in Bussen nach Budapest gebracht. Teilweise sollen auch „Aufwandsentschädigungen“ an die Teilnehmer gezahlt worden sein.

Etwa 100.000 Menschen beteiligten sich an einer Gegendemonstration der außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen MILLA („Eine Million für die Pressefreiheit“) und der gewerkschaftlich orientierten Bewegung Szolidaritas. Redner war hier Gordon Bajnai, der in den Jahren 2009 und 2010 eine Übergangsregierung angeführt hatte. In seiner Rede kündigte er seine Rückkehr in die Politik an.

Zuvor hatte bereits Ex-Regierungschef Ferenc Gyurcsany, Vorsitzender der oppositionellen Demokratischen Koalition (DK), dafür plädiert, Bajnai solle der gemeinsame Spitzenkandidat der Opposition bei den Parlamentswahlen 2014 sein.

Deutlicher könnte er nicht zeigen, dass die derzeitige Opposition gegen Orban keine Alternative für die ungarische Bevölkerung darstellt. Bajnai hatte als Chef einer Regierung, die vorrangig aus Technokraten bestand, die ersten Hilfszahlungen des IWF ausgehandelte und im Gegenzug ein rigoroses Sparpaket beschlossen. Einige seiner damaligen Minister hat der Manager heute in seinem Institut „Heimat und Fortschritt“ um sich versammelt. 

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