Spanien: Widerstand gegen Zwangsräumung von Wohnungen

Die Sparmaßnahmen der spanischen Regierung haben keinen Bereich des Lebens ausgelassen. Neben Armut, Arbeitslosigkeit und privater Überschuldung ist auch die Zwangsräumung von Eigentumswohnungen und Häusern zum Massenphänomen geworden.

Drei Selbstmorde innerhalb eines Monats haben deutlich gemacht, wie brutal Regierung und Banken dabei vorgehen. In Barakaldo, einer Stadt im Baskenland, sind nach dem Selbstmord von Amaya Egaña (53) vor zwei Wochen spontane Proteste ausgebrochen. Der Zorn richtete sich vor allem gegen die Banken, die die Räumungen veranlassen.

Momentan finden rund 200 bis 300 Zwangsräumungen pro Tag statt. Die Menschen werden durch Polizei und Gerichtsvollzieher auf die Straße gesetzt. Knapp 180.000 Räumungen werden vorbereitet.

Seit dem Ausbruch der Krise 2008 wuchs die Zahl der überschuldeten Hausbesitzer auf rund 400.000, Tendenz steigend. Andererseits stehen mittlerweile bereits 800.000 Wohneinheiten leer. Die Süddeutsche Zeitung spricht unter Berufung auf die Madrider Wirtschaftspresse sogar von 1,3 Millionen leeren Wohnungen.

In den vergangenen Jahren hatten sich viele Spanier zu günstigen Krediten Häuser und Wohnungen gekauft. Da der Wert der Grundstücke mit den Jahren stieg, konnten selbst Geringverdiener Kredite erhalten. Sie bürgten mit der Immobilie selbst und mit ihrem Einkommen. Laut Süddeutscher Zeitung besaßen zeitweise 86 Prozent der Spanier Wohneigentum. Nach dem Platzen der Immobilienblase verloren die Häuser, Wohnungen und Grundstücke zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres Werts, so dass die Schulden selbst bei Verkauf nicht getilgt werden.

Laut einem spanischen Gesetz aus dem Jahr 1909 haftet ein Schuldner auch nach dem Verlust einer Immobilie mit seinen privaten Einkünften für die Hypothek. Er muss die Kredite also auch dann noch zurückzahlen, wenn er seine Wohnung oder sein Haus längst verloren hat.

Viele Spanier können ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen, weil die Kürzungsmaßnahmen der Regierung zu grassierender Arbeitslosigkeit und Armut geführt haben. Der Abstand zwischen geringen und hohen Einkommen hat sich in den letzten Jahren vervierfacht. Heute verdienen über 20 Millionen Spanier, das sind 43 Prozent der Bevölkerung, weniger als 12.000 Euro brutto jährlich. Die Arbeitslosigkeit ist auf das Rekordniveau von 26 Prozent gestiegen. Laut Rotem Kreuz lebt jedes vierte Kind in Armut.

Regierungschef Mariano Rajoy (PP) ist sich der sozialen Sprengkraft der Zwangsräumungen bewusst. Einen Tag nach dem Generalstreik und den landesweiten Protesten vom 14. November gaben Regierung und Banken ein Moratorium in Arbeit, das die Lage zumindest oberflächlich beruhigen soll.

Der Gesetzesentwurf sieht bei besonders prekärer Lage ein Aussetzen der Zwangsräumungen für zwei Jahre vor. Doch die Richtlinien sind so eng gefasst, dass ein Großteil der Betroffenen davon ausgenommen bleibt und die große Not nicht gelindert wird. Das Gesetz wird zudem nicht rückwirkend in Kraft treten. Unangetastet bleibt auch der Umstand, dass die Schulden nach der Zwangsräumung erhalten bleiben und die Zinsen oft exorbitant in die Höhe schießen, wenn Schuldner mit den Hypothekenraten in Verzug geraten. Entsprechend heftig wird der Gesetzesentwurf von der Bevölkerung abgelehnt.

Die Sozialisten versuchen diesen Unmut mit radikalen Phrasen aufzufangen. Der PSOE-Vorsitzende Alfredo Pérez Rubalcaba machte sich marktschreierisch die Forderung zu eigen, niemand dürfe mehr sein Haus verlieren, nur weil er nicht mehr zahlen könne. Dabei hatten die Sozialisten in ihrer siebenjährigen Regierungszeit keinen einzigen Versuch unternommen, das Gesetz zu ändern. Vielmehr haben sie selbst die aktuelle Katastrophe eingeleitet, indem sie die Gehälter im öffentlichen Dienst kürzten, die Renten senkten, das Kindergeld strichen und zahlreiche andere soziale Kürzungen vornahmen.

Angesichts der akuten Notlage großer Bevölkerungsschichten sind vielerorts lokale Initiativen entstanden, die sich bemühen, Gerichtsvollziehern und Polizisten den Weg zu gefährdeten Wohnungen zu blockieren.

Ein Zusammenschluss von Betroffenen ist die Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), die auf ihrer Website ein Recht auf Wohnraum fordert und anstehende Zwangsräumungen veröffentlicht. Ihre Perspektive ist allerdings äußerst beschränkt. Der Schwerpunkt liegt auf Gesetzesänderungen, die vor einer unverhältnismäßigen Steigerung der Hypothekenraten schützen und die Verantwortlichkeiten gerechter verteilen sollen.

Die PAH appelliert außerdem an die politischen Parteien und an die Regierung, bezahlbare Sozialwohnungen zur Verfügung zu stellen, um die Wohnungskrise zu lösen. Sie hofft, mit Unterschriftenaktionen und Blockaden die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und so Unterstützung zu erhalten. Pseudolinke Gruppen und Teile der Indignados-Bewegung unterstützen sie dabei.

Die Regierung Rajoy gab sich nach den massiven Protesten und dem 24-stündigen Generalstreik vom 14. November unbeeindruckt und hält weiterhin an ihren Sparmaßnahmen fest. Sie kann sich in relativer Sicherheit wähnen, weil die PSOE, die Gewerkschaften und die pseudolinken Gruppen um sie herum alles tun, um den Widerstand zu kontrollieren und politisch zu entschärfen.

So jubelte die pablistische Izquierda Anticapitalista nach der Ankündigung des Moratoriums zur Wohnungsfrage in einem Artikel, dies sei der Beweis, was sozialer Druck erreichen könne. Sie bezeichnete den Generalstreik als vollen Erfolg, obwohl er nichts verändert hat. Je mehr sich die Krise zuspitzt und die Arbeiter mit den Gewerkschaften und der PSOE brechen, desto massiver schüren die Izquierda Anticapitalista und andere pseudolinke Organisationen Illusionen in sie.

Loading