Aserbaidschan: Massenproteste gegen Oligarchen-Familie

In der aserbaidschanischen Kleinstadt Ismailly, die rund 200 Kilometer westlich von der Hauptstadt Baku liegt, sind am Mittwoch vergangener Woche Massenproteste gegen den Gouverneur der Region, Nisami Alakbarow, und seine Oligarchen-Familie ausgebrochen.

Nisami Alakbarow ist der Bruder des Arbeits- und Sozialministers des Landes, Fisuli Alakbarow. Die Alakbarows gehören zu den reichsten und einflussreichsten Familien Aserbaidschans. Polizei und Militär gehen seit Donnerstag brutal gegen die Protestierenden vor. In Ismailly und den angrenzenden Regionen ist der Ausnahmezustand erklärt worden.

Die Proteste brachen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag aus. Laut den Anwohnern der Stadt hatten der Sohn von Nisami Alakbarow, Elchan, und der Sohn des Arbeitsministers, Vugar, in angetrunkenem Zustand mit ihrem Hummer ein Taxi gerammt. Nach dem Unfall sollen sie ausgestiegen sein und den Taxifahrer unflätig beschimpf und verprügelt haben. Anwohner kamen dem Taxifahrer zu Hilfe. Schließlich gingen zwei bis viertausend Menschen auf die Straße und forderten den Rücktritt des Gouverneurs. Insgesamt hat die Stadt rund 15.000 Einwohner.

Die Demonstranten in Ismailly zündeten den Hummer, einen Toyota Land Cruiser, zwei Motorräder und eine Villa der Alakbarows sowie das Hotel Tschyrag an, das ebenfalls der Familie gehört. Auch Läden der Alakbarows in der Stadt sollen zerstört und angezündet worden sein. Die Proteste, die gegen 23 Uhr nachts begonnen hatten, endeten um 3 Uhr morgens.

Die Regierung leugnete zunächst, dass der Sohn des Arbeitsministers, Vugar Alakbarow, an dem Vorfall beteiligt gewesen sei. Ein anonymer Demonstrant erklärte daraufhin gegenüber der Internetzeitung Eurasianet.Org am Telefon: „Wir sind keine Idioten und veranstalten keinen Pogrom, wenn er [Vugar Alakbarow] nicht da wäre. Vugar ist in der Region berüchtigt und er hat den Taxifahrer dort geprügelt.“

Außerdem sagte er: „Die Menschen sind unzufrieden mit der Korruption und den Hindernissen, die von der lokalen Regierung für Bauern und Unternehmer errichtet werden. Wir haben Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption und das Klima von Angst satt.“

Die Alakbarow-Familie hat offenbar einen Großteil der Wälder und des Ackerlands in der Region um Ismailly, die größtenteils von der Landwirtschaft lebt, in Besitz genommen und hindert so die lokalen Bauern und Kleinunternehmer daran, ihrem Gewerbe nachzugehen.

Am Donnerstag wurde in Ismailly eine Ausgangssperre verhängt. Truppen des Innenministeriums wurden in die Stadt geschickt und blockierten alle Wege, die nach Ismailly führen. Die Internetclubs der Stadt wurden geschlossen und das Internet wird massiv durch die Behörden zensiert. In sozialen Netzwerken werden Beiträge, die Sympathie mit den Protesten ausdrücken, gelöscht. Auch die Verbreitung von Videoaufnahmen der Unruhen auf Youtube versucht die Regierung zu verhindern. Dennoch haben sich bereits Zehntausende Videos über die Unruhen in Ismailly angesehen.

Laut der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Turan wurde in den benachbarten Regionen Agsu, Gabale und Geitschaje der Notzustand verhängt und die Polizeipräsenz auf den Straßen erhöht. Dort soll es am Donnerstag ebenfalls zu Protesten gegen die lokalen Regierungen gekommen sein.

Auch in Ismailly setzten sich am Donnerstag die Proteste gegen den Gouverneur fort. Am Abend kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der Polizei und hunderten Demonstranten. Die Polizei setzte Tränengasgranaten und Gummikugeln gegen die protestierende Bevölkerung ein. Die Demonstranten warfen mit Steinen auf die Polizei.

Mehrere Menschen wurden verletzt, ein Demonstrant soll im Krankenhaus seinen Wunden erlegen sein. Aufgebrachte Einwohner beschwerten sich außerdem, dass viele Kleinkinder in den Häusern unter dem massiven Einsatz von Tränengas leiden. Ein dreijähriges Mädchen ist offenbar am Tränengas erstickt. Nach unterschiedlichen Angaben wurden zwischen 20 und 100 Menschen verhaftet. Anwohner berichten, dass die Gefangenen von der Polizei gefoltert werden.

Die Wut über die massive soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Armut ist im ganzen Land enorm. Im März 2012 war es in der Region Guba, die nördlich an die Region Ismailly angrenzt, zu ähnlichen Protesten gekommen. Damals gingen über 10.000 Menschen auf die Straße und zwangen so den lokalen Gouverneur, Rauf Habibow, zum Rücktritt.

Wie in den anderen Ex-Sowjetrepubliken ist der Großteil der Bevölkerung in Aserbaidschan durch den Zusammenbruch der UdSSR und die kapitalistische Restauration in bittere Armut gestürzt worden. Die Industrie- und Agrarproduktion sind dramatisch zurückgegangen, während die soziale Infrastruktur vollkommen zusammengebrochen ist.

Dank den reichen Öl- und Gasvorkommen in Aserbaidschan, das am Kaspischen Meer gelegen ist, hat die Wirtschaft des Landes seit Ende der 1990er Jahre einen massiven Boom erlebt. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich seit 2000 verachtfacht. Doch der durch den Rohstoffexport gewonnene Reichtum floss hauptsächlich in die Taschen einiger weniger Oligarchen, während ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung von schlecht bezahlten Jobs leben muss. Reiche verdienen in Aserbaidschan rund 50 Mal so viel wie Arme.

Aufgrund der hohen Abhängigkeit von Rohstoffexporten und dem Ölpreis auf dem Weltmarkt wurde Aserbaidschan von der Weltwirtschaftskrise 2008 schwer getroffen. Das Wirtschaftswachstum ging zwischen 2007 und 2010 von 25 Prozent auf 5,7 Prozent zurück. Im Jahr 2011 lag es bei 0,1 und 2012 bei rund 3 Prozent.

Die Arbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Angaben bei rund 5 Prozent, unter Jugendlichen bei 11 Prozent. Allerdings wird nur etwa jeder vierte Arbeitslose überhaupt registriert. In landwirtschaftlich geprägten Regionen wie Ismailly sind Armut und Arbeitslosigkeit besonders akut. Im Jahr 2010 lebten schätzungsweise 42 Prozent der Landbevölkerung in Armut, in vielen Regionen lag die Rate bei über 50 Prozent. Der Nordwesten des Landes, wo auch Ismailly gelegen ist, gehört zu den ärmsten Regionen Aserbaidschans.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Krieg mit Armenien um die Region Nagorno-Karabach, der von 1988 bis 1994 währte und 20 bis 40.000 Menschen das Leben kostete, verwandelten außerdem rund eine Millionen der neun Millionen Einwohner des Landes in interne Flüchtlinge, die größtenteils in extrem armen Verhältnissen leben. Der Nagorno-Karabach-Konflikt mit Armenien schwelt seit dem Ende des Krieges weiter und wird von den Regierungen beider Länder angeheizt, um von den sozialen Spannungen abzulenken.

Aserbaidschan wird seit 1993 von der Alijew-Familie und einer Reihe weiterer korrupter Oligarchen-Familien, darunter den Alakbarows, regiert. Derzeitiger Präsident ist Ilham Alijew, der 2003 seinen Vater Heidar ablöste. Die Alijew-Familie kontrolliert enorme Reichtümer und einen Großteil der aserbaidschanischen Wirtschaft.

Laut einem Bericht der Washington Post erwarb der damals 11-jährige Sohn des Präsidenten im Jahr 2009 eine Villa in Dubai im Wert von 44 Millionen US-Dollar – eine Summe für die ein durchschnittlich verdienender Arbeiter in Aserbaidschan rund 10.000 Jahre arbeiten müsste. Der Westen unterstützt das autoritäre Alijew-Regime, da Aserbaidschan ein wichtiger Rohstofflieferant für die EU und ein strategischer Verbündeten der USA und Israels gegen Russland und den Iran ist. 

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