Quentin Tarantinos Django Unchained

Buch und Regie Quentin Tarantino

 

Wie wir früher einmal hinsichtlich Quentin Tarantino bemerkten, kann selbst eine unernste Handlung (oder ein unernster Film) ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. In seinem neuen Werk Django Unchained, in welchem er die amerikanische Vergangenheit schildert, behandelt der Regisseur und Drehbuchautor die Wahrheit mit Geringschätzung. Indem er die Sklaverei, zumindest implizit, als die Ursünde der Nation darstellt und Rassismus als irgendwie dem Charakter der amerikanischen Bevölkerung innewohnend, bringt sich Tarantino außerdem mit zahlreichen „linken“ Kritikern in Einklang, denen Steven Spielberg und Tony Kushner einen äußerst unbequemen Lincoln vorsetzten, der ihnen großes Unbehagen bereitet hat.

Django Unchained

Wie die Bemühung um historische Faktentreue in Django Unchained im Allgemeinen aussieht, kann bereits am Einleitungstitel ermessen werden: Es wird erklärt, der Film beginne im Jahr 1858, „zwei Jahre vor dem Bürgerkrieg“, der tatsächlich aber erst 1861 ausbrach.

Dr. King Schultz (Christoph Waltz), ein deutschstämmiger Kopfgeldjäger, befreit den Sklaven Django (Jamie Foxx), der sich auf einem Transport durch Texas befindet, von seinen Besitzern. Schultz braucht Django, weil dieser drei Brüder wiedererkennen kann, auf die von der Regierung eine hohe Belohnung ausgesetzt worden ist. Im Austausch für die Partnerschaft des Sklaven bei der Verfolgung weiterer gesuchter Männer hilft Schultz Django dabei, dessen Frau Broomhilda (Kerry Washington) von einer Plantage in Mississippi zu befreien, deren Besitzer Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) ist.

Nach anfänglichem Unbehagen, ausgelöst durch die kaltblütige Erschießung eines Mannes (die verfolgten Personen werden „tot oder lebendig gesucht“), findet Django Geschmack an der Arbeit. Schließlich finden die beiden ihren Weg nach Candieland, der besagten Plantage. Dieser steht ein monströser Aufseher vor, der sich einen Spaß daraus macht, Sklaven auf Leben und Tod miteinander kämpfen zu lassen. Später befiehlt er, einen geflohenen Sklaven vor den Augen seiner Gäste von Hunden zerfleischen zu lassen.

Schultz und Django geben vor, einen der siegreichen schwarzen Gladiatoren kaufen zu wollen, wobei Broomhilda lediglich als nachträgliche Einkaufsidee ausgegeben wird, doch Candies Obersklave und Scherge Stephen (Samuel L. Jackson) kommt bald dahinter, dass die Frau in Wirklichkeit Djangos Frau ist. Der aufgebrachte Candie setzt daraufhin den für sie geforderten Betrag beträchtlich in die Höhe und besteht außerdem zur Besiegelung des Deals auf einem Handschlag mit Schultz.

Durch diese letzte Demütigung bis zum Äußersten getrieben, erschießt der Kopfgeldjäger Candie und wird seinerseits von einem der Spießgesellen Candies erschossen. Es folgt ein Massengemetzel und endet damit, dass Django Rache an allen überlebenden Bewohnern Candielands nimmt, darunter auch an Candies unbewaffneter Schwester.

Django Unchained ist ein miserables Werk, unglaubwürdig und nicht überzeugend vom Anfang bis zum Schluss (im Gegensatz zu den besten „Spaghettiwestern“, die Tarantino zu bewundern behauptet). Besonders grotesk sind die Szenen in Candieland. Schultz‘ und Djangos fadenscheiniger Vorwand, die Plantage aufzusuchen (und ihr plötzliches Interesse an der Sklavin), wo Djangos Leben zu jedem Augenblick bedroht ist, kann nicht einmal ein Kind täuschen. Der Reaktion des Plantagenbesitzers, der jetzt wahrscheinlich weiß, dass er mit Django einen entlaufenen Sklaven in Händen hat, und lediglich eine höhere Preissumme für Broomhilda (zusätzlich zu dem lächerlichen Handschlag) verlangt, fehlt jede psychologische oder soziale Logik. Die vier Hauptdarsteller (Foxx, Waltz, DiCaprio, Jackson), allesamt talentierte Persönlichkeiten, versuchen angestrengt, den Handlungssequenzen irgendeinen Sinn zu verleihen.

Die Gewalt im Film ist hirnverbrannt und sinnlos. Sie stellt den Film in die Nähe – vielleicht als eine Unterkategorie – des pornographisch-sadistischen Genres. Die Kritiker reagierten im Großen und Ganzen enthusiastisch auf die zur Schau gestellte Brutalität. Die Washington Post schreibt, in Django Unchained habe “Tarantino sich auf seine übliche Rückzugsposition begeben, die darin besteht, alles und jeden, der sich in Sichtweite befindet, unter Feuer zu nehmen und in ein schmutziges Blutmeer zu tränken (…). Eine ansteckende und zügellose Furchtlosigkeit geht von Django Unchained aus, die es zu einem enormen Vergnügen macht, ihn zu sehen.“ Der Rezensent der Los Angeles Times ergießt sich folgendermaßen: “In Django wird Tarantino zu einem von seinen Ketten befreiten Menschen, der seinen verständlichsten, provozierendsten, faszinierendsten, schreckenerregendsten, amüsantesten, beschwingtesten, verletzendsten und durch und durch unterhaltendsten Film bislang produziert hat.“ Was soll man von Menschen halten, die solchen Stoff unterhaltend finden…?

Mit zwei und einer dreiviertel Stunde Spielzeit finde ich Django Unchained beinahe unerträglich. (Ich gestehe, dass ich zum Selbstschutz irgendwann in der Mitte des Films für acht oder zehn Minuten aus dem Kino ging.) Nebenbei gesagt: Ich habe nicht bemerkt, dass die Zuschauer, zumeist im Schulalter, die mit mir gemeinsam die Vorstellung besucht hatten, von dem Dargebotenen sonderlich begeistert waren. Zweifellos band man ihnen den Bären auf, und vielleicht glauben sie es sogar selbst, dass Tarantino „Nonkonformist“ sei und man seine Filme nicht verpassen dürfe. Doch die jetzige Erfahrung dürfte wieder etwas Neues bringen.

Tarantino, ein beklagenswert unausgebildeter Künstler, legt den Drehpunkt der Geschichte auf inkonsequente oder gekünstelte Begebenheiten, die keines der vermeintlichen Anliegen des Films stützen. Diese verschiedenen Begebenheiten sind nichts weiter als eine ungeschickte Vorbereitung auf das finale Massaker, das eigentliche Anliegen des Films, auf das hin sich alles unvermeidlich entwickelt. Vergebens wartet man auf die Entwicklung einer ernsthaften Handlung in den unterschiedlichen Szenen. Die Charaktere sind nichts als Karikaturen und Stereotype (kein Südstaatler hat menschliche Züge an sich), die ein ordentlicher Hollywoodhandwerker und Regisseur vergangener Tage nicht auf die Leinwand zu bringen gewagt hätte.

Wenn Django Unchained nicht grotesk ist, so ist er einfach böswillig. Selbst wenn man die Psychotiker und besessenen Rassisten, die das Treiben dominieren, zur Seite nimmt, bleibt fast jede Figur ein Dreckskerl. Schultz tötet Menschen für Geld, obwohl er eingesteht, die Sklaverei zu verachten. Als Django, die Kopfgeldjagd nicht gewöhnt, zögert, sein erstes Opfer zu erschießen, drängt Schultz ihn, indem er ihn daran erinnert, dass der Mann vor ihm, der gemeinsam mit seinem Sohn harmlos ein Feld umpflügt, früher Postkutschen ausraubte und Menschen tötete – und damit ein legitimer Hinrichtungskandidat ist. Auf diese Weise projiziert Tarantino „gezielte Tötungen“ zurück in die Zeit vor dem Sezessionskrieg.

Später, in einem kritischen Moment des Films (den Tarantino mit einer der seltenen Nahaufnahmen unterlegt), erinnert Django Schultz an diesen Moment, und behauptet, die Welt sei ein schmutziger Ort und niemand könne seine Hände sauber halten. Wo haben wir von solchen Dingen in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren schon einmal gehört? Ist sich Tarantino darüber im Klaren, was er da sagt und tut und wessen Agenda er damit zu Glaubwürdigkeit verhilft?

War der Filmemacher, als er Reservoir Dogs (1992) und Pulp Fiction (1994) drehte, noch in erster Linie befangen und irritierend und zeigte er in Jackie Brown (1997, hautsächlich dank der Präsenz von Pam Grier und Robert Forster) sogar ein verschwommenes Interesse am tatsächlichen menschlichen Leben, so wurde seine Produktion nach dem 11. September 2001 nur unausstehlich.

Tarantino ist so etwas wie ein Kulturhausierer mit kleinem Talent für Nachahmung, das Umarbeiten von Genres und für die Erzeugung gemein-komischer Momente. Unter gesünderen Umständen hätte dem niemand größere Beachtung geschenkt. Der gedankenlose Ton und Zynismus seiner kruden Bestrebungen fällt indessen zusammen mit einer wachsenden Stimmung innerhalb bestimmter Schichten der gehobenen Mittelklasse, die angesichts globaler Bedrohungen und der sozialen Situation in den USA zunehmend weniger Sympathie für demokratische Feinheiten aufbringen. Tarantinos Charaktere repräsentieren in ihrem amüsierten, nonchalanten und straflosen Herumtaumeln von einem sadistischen Akt in den nächsten eine Fantasievariante davon, wie diese Leute (und die Interessen der amerikanischen Elite allgemein) sich wünschen, die Welt lenken zu können.

Für diese Meute darf heute alles durchgehen, wie Zero Dark Thirty, das Folter und Mord in Schutz nehmende Werk der ehemaligen „Avantgardekünstlerin“ Kathryn Bigelow, uns lehrt. Dies bedeutet einfach „schmutzig in einer schmutzigen Welt“ zu sein. Solche Leute werden jedes Verbrechen rechtfertigen.

Tarantino ist kein Dummkopf. Er erkannte nach dem Misserfolg von Death Proof (2007) klar, dass schlichte Verherrlichung gewalttätiger Galgenstricke nicht mehr gefragt ist. Mit Inglourious Basterds (2009) ging er zur Rauferei mit den Nazis über und bekämpfte Faschismus mit Faschismus. Jetzt verfiel er auf dasselbe angesichts der Gegnerschaft gegen Sklaverei.

Klopft man Django Unchained nach Substanziellem ab, wird deutlich, dass die Sklaverei in vollkommen falscher und ahistorischer Weise dargestellt wird. Das Sklavereisystem in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern war ein Bindeglied innerhalb der weltweiten Entwicklung des Kapitalismus. Mit bitterer Ironie stellte Marx fest, dass „die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute“ ein Kennzeichen der „Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära“ (Das Kapital I, MEW, Bd. 23, S. 779) war.

Tarantino seinerseits stellt die Sklaverei und ihre Grausamkeiten so dar, als entspringe sie dem unergründlichen Rassismus der weißen Südstaatenbevölkerung (oder vielleicht aller weißen Amerikaner). Da der Regisseur alles nach dieser seiner Lesart eingerichtet hat, erscheint die Ausrottung dieses kriminellen Gesindels im Kugelhagel als einzige Lösung. Diese ignorante und menschenverachtende Sichtweise geht heutzutage sogar als „radikal“ durch.

Tatsächlich überschneidet sich Django Unchained mit seiner rassenmythologischen Betrachtungsweise der amerikanischen Geschichte an verschiedenen Stellen mit dem Standpunkt mancher „linker“ Kulturkritiker. Und einige dieser Kritiker waren nicht verlegen, dies einzugestehen, besonders nachdem Lincoln in die Kinos gekommen war. (Natürlich ist das Völkchen, das der „Identitätspolitik“ huldigt, für Tarantino uninteressant. Er hat es auf einen viel fetteren, in der globalen Film- und Unterhaltungsindustrie zu findenden, Braten abgesehen.)

In der Nation, einem der Hauptblätter des amerikanischen Linksliberalismus, vergleicht Jon Wiener in seinem Artikel „Django Unchained: Quentin Tarantinos Antwort auf Spielbergs Lincoln” die beiden Filme miteinander und stellt sich auf die Seite Tarantinos. Er schreibt beispielweise:

„In Spielbergs Film machen alte weiße Männer Geschichte und farbige Menschen danken ihnen für die erhaltene Freiheit.

In Tarantinos [Film] geht ein farbiger Revolverheld mit mörderischer Rachsucht auf den weißen Sklavenbesitzer los (…).

Spielberg sagt, die Geschichte in Lincoln sei wahr. Tarantino sagt, die Geschichte in Django Unchained sei ‚sehr nahe dran. Wenn überhaupt, so halte ich tatsächlich einiges von dem extremeren Stoff noch zurück.‘”

“Spielbergs Film dokumentiert ‚Lauterkeit und Ernsthaftigkeit‘ des Regisseurs.” (Hendrik Hertzberg, The New Yorker)

“Tarantinos [Film] weist die Handschrift des Filmemachers auf, die sich in theatralischer Rokokosprache, seinem eigenwilligen Humor und seinem Spürsinn äußert, sich Genrekonventionen zu eigen zu machen und zu untergraben.“ (Christopher Wallenberg, Boston Globe )

Nebenbei sei erwähnt, dass die wiederholte Identifikation von Selbstjustiz und persönlicher Rache mit dem Kampf gegen Sklaverei in fast jeder positiven Besprechung von Django Unchained selbst einen reaktionären kleinbürgerlichen Standpunkt kennzeichnet. Die soziale Revolution ist kein Racheakt.

Im Artikel „Django Unchained ist ein besserer Film über die Sklaverei als Lincoln”, erschienen im Esquire-Magazin, spricht Stephen Marche sogar noch offener. Er bemerkt: „Seine Körperlichkeit macht Django Unchained so notwendig. Wenn Sie Lincoln sehen, könnten Sie glauben, die amerikanische Sklaverei wäre eine Frage von Verhandlungen und Politik gewesen, eine Frage der Gesetzlichkeit, und dass die Weißen nur ihren Denkfehler korrigieren mussten, der darin bestand, Personen als Eigentum zu kategorisieren. (…) Django Unchained weiß, dass Amerikas Beziehung zur Sklaverei nicht über bloße Rechtsinstitutionen ging; es war eine körperliche Reaktion auf schwarzes Fleisch – eine machtvolle und grauenerregende Mixtur aus Erniedrigung und Begehren.“

Diese Schichten werden vom Rassenvorurteil verzehrt. Selbst angesichts der sich bösartig verbreiternden Kluft zwischen der Handvoll an der Spitze in Amerika und der arbeitenden Bevölkerung kann die kleinbürgerliche Linke nur Schwarz und Weiß erkennen, sowohl in der Gegenwart als auch der Vergangenheit.

Es schmerzt diese Elemente endlos, dass zwischen fünfzehn und zwanzig Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten Lincoln gesehen haben und dies, allen Berichten zufolge, sogar mit großem Interesse.

Das Werk hat verschiedene künstlerische und historische Schwächen, doch dies ist nicht der Grund, weshalb die semi-anarchistischen, selbstbezogenen „linken“ Medien ihn angreifen. Beispielweise verspotten sie mit „Steven Spielbergs weißen Männern der Demokratie“ auch die 300.000 bis 400.000 weißen Soldaten des Nordens, die im Bürgerkrieg starben (was etwa drei bis vier Millionen Amerikanern heutzutage entspricht).

Wohlhabend, konservativ und selbstzufrieden, verachten und fürchten diese Leute die „große Masse“ Amerikas in all ihren Hautfarben. Die Verunglimpfung der Bevölkerung und Verleumdung ihrer revolutionären Traditionen ist Bestandteil der Bestrebungen dieser „Linken“, einer sozialen Erhebung in den Vereinigten Staaten vorzubeugen. Eine der verabscheuungswürdigsten Aufgaben, die sich die amerikanische „Linke“ gegenwärtig selbst gestellt hat, besteht darin, nachzuweisen, dass die amerikanische Bevölkerung immer schon engstirnig, gewalttätig – wenn nicht mörderisch – und selbstverständlich unfähig war, auf rationale und progressive soziale Bedürfnisse einzugehen.

Tarantinos Django Unchained stößt faulige und pestartige Dünste aus – ebenso wie die soziale Schicht, die von ihnen angezogen wird.

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