Italien vor der Wahl

Am kommenden Sonntag und Montag finden in Italien die mit Spannung erwarteten Parlamentswahlen statt.

Das Land befindet sich sozial im freien Fall. Die Wirtschaftsleistung ist seit 2008 um sieben Prozent geschrumpft. Die Arbeitslosenrate ist im selben Zeitraum von 6,5 auf 11,2 Prozent gestiegen, unter Jugendlichen sogar auf 37 Prozent. Allein im vergangenen Jahr verloren eine halbe Million ihre Arbeit. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt auf dem Niveau von 1993. Die Konsumausgaben pro Familie sind in den letzten zwölf Monaten um durchschnittlich 1.391 Euro zurückgegangen.

Trotz dieser sozialen Katastrophe findet sich unter den mehreren Dutzend Parteien und Listenverbindungen auf dem Wahlzettel nicht eine, die ernsthaft die sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt. Eine breite Front, die vom Mitte-Links-Bündnis von Pier Luigi Bersani, einem ehemaligen Funktionär der Kommunistischen Partei, bis zum Mitte-Rechts-Bündnis des amtierenden Regierungschefs Mario Monti reicht, will den Sparkurs fortsetzen, der für den sozialen Niedergang verantwortlicht ist.

Da sich niemand diesem Kurs von links widersetzt, profitiert davon das rechte Lager um Silvio Berlusconi, der während acht der letzten zwölf Jahre an der Spitze der italienischen Regierung stand.

Der 76-jährige Multimilliardär, gegen den mehrere Strafverfahren wegen Wirtschafts- und Sexualdelikten laufen, attackiert im Wahlkampf die Europäische Union und die deutsche Regierung. Er verspricht, deren Spardiktat zu brechen und unter Monti beschlossene Steuererhöhungen rückgängig zu machen.

In den letzten Umfragen hatte Berlusconi gegenüber dem führenden Bersani deutlich zugelegt. Weil in den letzten beiden Wochen vor den Wahlen aber keine Umfragen mehr erlaubt sind, lässt sich nur schwer voraussagen, ob Berlusconi seinen erheblichen Rückstand tatsächlich aufholen kann.

Die bloße Möglichkeit einer solchen Entwicklung hat in ganz Europa Panik ausgelöst. Europäische Regierungen mischen sich offen in den italienischen Wahlkampf ein, und die Sprecher internationaler Banken drohen mit Konsequenzen, sollte Berlusconi die Wahl tatsächlich gewinnen oder in einer der beiden Parlamentskammern eine Blockademehrheit erreichen.

„So viel Einklang herrschte in Europa lange nicht mehr. Konservative und Progressive, Nord- und Südländer, alle eint die Angst vor der Rückkehr Berlusconis“, kommentiert dies die Süddeutsche Zeitung.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die italienischen Wähler gewarnt, „nicht den Fehler zu wiederholen, Berlusconi zu wählen“. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sie ermahnt, für einen proeuropäischen Kurs und die Fortführung von Montis Sparkurs zu stimmen. Und der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz (SPD) hat dazu aufgerufen, Berlusconi keine weitere Chance zu geben.

Der Volkswirt der Schweizer Großbank UBS Martin Lück hat gedroht, Italien werde im Falle eines Comebacks Berlusconis „an den Märkten brutal abgestraft“. Die horrenden Zinssätze für Staatsanleihen, die unter Monti von 7,5 auf 4,4 Prozent gefallen sind, würden zurückkehren.

Auch der Chefvolkswirt des Versicherungskonzerns Allianz, Michael Heise, hat auf die Fortsetzung von Montis Reformkurs gedrängt. Die immer noch sehr hohen Lohnstückkosten müssten weiter gesenkt werden, forderte er. Nur so – d.h. auf Kosten der Arbeiter – könne sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone aus ihrer Rezession befreien.

Im italienischen Wahlkampf dient die Angst vor einer Rückkehr Berlusconis als einigende Klammer, um alle Parteien hinter Montis Sparkurs zu sammeln. Vor allem pseudolinke Organisationen wie Rifondazione Comunista und andere aus ihr hervorgegangene Parteien spielen hier eine entscheidende Rolle.

Die von Rifondazione abgespaltene Partei Sinistra Ecologia Libertà (SEL) des Präsidenten der Region Apulien, Nichi Vendola, hat sich dem Mitte-Links-Bündnis Bersanis angeschlossen und damit offen zur Fortsetzung von Montis Sparkurs bekannt.

Rifondazione selbst hat sich Rivoluzione Civile angeschlossen, einem Bündnis liberaler und grüner Parteien unter Führung des ehemaligen Anti-Mafia-Staatsanwalts Antonio Ingraio. Dessen zentraler Programmpunkt ist der Kampf gegen Korruption und Kriminalität – und damit gegen Berlusconi –, während die soziale Frage kaum eine Rolle spielt. (Siehe: „Rifondazione Comunista im bürgerlichen Lager“)

Sinistra Critica, eine weitere Abspaltung von Rifondazione, die dem pablistischen Vereinigten Sekretariat angehört, übt völlige Enthaltsamkeit. Nachdem sie 2008 noch knapp 170.000 Stimmen erhalten hatte, beteiligt sie sich in diesem Jahr nicht an der Wahl und ruft auch nicht zur Stimmabgabe für andere Parteien auf. Sie begründet dies damit, dass „heute“ – unter den Bedingungen der tiefsten sozialen Krise seit 70 Jahren – „die politischen und organisatorischen Voraussetzungen … für ein breites antikapitalistisches Bündnis nicht existieren“.

Neben Berlusconi hat die Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento Cinque Stelle, M5S) des Komikers Beppe Grillo von der wachsenden Unzufriedenheit mit dem Sparkurs Montis und der EU profitiert. Während die Wahlveranstaltungen der anderen Parteien kaum Aufmerksamkeit finden, strömen Zehntausende zu den Wahlversammlungen Grillos auf offenen Plätzen. Vor allem unter der jüngeren Generation findet er Anklang.

Grillos Programm konzentriert sich auf heftige Attacken gegen Korruption und die politische Klasse an sich, die er in heftiger und oft obszöner Weise beschimpft. Er greift die Europäische Union an und vertritt einen bunt gemischten Katalog von Forderungen, die von Umweltfragen über den Schutz der nationalen Industrie bis zu Steuersenkungen reichen.

Grillo hat es stets abgelehnt, einen klaren Standpunkt zu Klassenfragen zu beziehen. Er besteht darauf, dass seine Bewegung weder rechts noch links sei – und bewegt sich dabei immer weiter nach rechts. Seine politischen Äußerungen gleichen immer mehr denen eines beliebigen rechten Populisten. (Siehe: „Beppe Grillos unaufhaltsamer Weg nach rechts“)

Die italienischen Wahlen zeigen ein grundlegendes politisches Problem, das überall in Europa existiert. Während sich die gesellschaftlichen Gegensätze zuspitzen und die Wut über den Sparkurs wächst, schließen sich alle Parteien, einschließlich der pseudolinken wie Rifondazione, hinter der herrschenden Klasse zusammen.

Unabhängig wie die Wahl am Montag ausgeht, wird sie nur ein Stadium in der Verschärfung des Klassenkampfs sein. Gewinnen Bersani oder eine Koalition von Bersani und Monti, werden die Angriffe auf die Arbeiterklasse verstärkt weiter gehen und die nächste politische Krise und soziale Explosion vorbereiten. Geht Berlusconi als Überraschungssieger aus der Wahl hervor oder kommt es zu einem Patt, rechnen Experten mit einer heftigen Reaktion der Finanzmärkte in ganz Europa.

In beiden Fällen besteht die wichtigste Aufgabe darin, die Arbeiterklasse durch den Aufbau einer neuen revolutionären Partei auf die kommenden Klassenkämpfe vorzubereiten.

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