Europäische Wirtschaft schrumpft – die Aktienkurse steigen

Am 6. März wurden Zahlen veröffentlicht, die unterstreichen, dass sich die Rezession in Europa verschärft. Am selben Tag stiegen die europäischen Aktienmärkte auf den höchsten Stand seit August 2008.

Am Mittwoch veröffentlichte die Statistikbehörde der EU Zahlen, die bestätigen, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Eurozone im letzten Quartal des Jahres 2012 um 0,6 Prozent gesunken ist. Das BIP der Eurozone schrumpfte 2012 durchgängig, aber die 0,6 Prozent waren der höchste Einbruch pro Quartal, was darauf hinweist, dass sich die Schrumpfung der europäischen Wirtschaft beschleunigt.

Der Rückgang am Ende des Jahres 2012 ist der stärkste seit dem ersten Quartal 2009, d.h. dem dramatischen Rückgang, der unmittelbar nach dem internationalen Crash des Finanzsystems von 2008 zu verzeichnen war.

Am stärksten ausgeprägt war die wirtschaftliche Kontraktion in den Ländern, die die volle Wucht der Sparpolitik der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds zu spüren bekommen haben.

Das BIP Italiens, der drittgrößten Wirtschaft der Eurozone, schrumpfte im vierten Quartal um 0,9 Prozent. Separate Zahlen aus dem Italienischen Nationalen Statistischen Institut offenbarten, dass die italienische Wirtschaft im Jahr 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 2,4 Prozent schrumpfte. Dies war für das Land die schlechteste Quote seit 2009 und das neunte Mal in elf Jahren, dass Italiens Wachstum hinter dem der Europäischen Union als Ganzes zurückblieb.

Mit einem Rückgang der Wirtschaft im Jahr 2012 um 1,4 Prozent, war Spanien das Land mit dem zweitschärfsten Einbruch innerhalb eines Jahres seit 1970, als Diktator Francisco Franco dort noch an der Macht war. Auch hier war der Einbruch im vierten Quartal am stärksten ausgeprägt (0,8 Prozent) und es wird erwartet, dass die spanische Wirtschaft im Jahr 2013 voraussichtlich weiter schrumpfen wird. Der Einzelhandel im Land geht seit 30 Monaten in Folge zurück, was auf den Einbruch bei der Binnennachfrage als Folge der schmerzhaften Ausgabenkürzungen und der steigenden Arbeitslosigkeit zurückgeht.

Die irische Wirtschaft bewegt sich laut Prognosen der Regierung in diesem Jahr auf einen Konjunkturrückgang von fünf Prozent zu, weil das Baugewerbe und die Konsumausgaben schrumpfen. Die Arbeitslosigkeit in Irland befindet sich auf einem Fünfzehn-Jahres-Hoch und es wird erwartet, dass das Haushaltsdefizit des Landes voraussichtlich auf mehr als das Dreifache der Höchstgrenze der Europäischen Union steigt.

Die britische Wirtschaft schrumpfte in den letzten drei Monaten des Jahres 2012 um drei Prozent und wird voraussichtlich in diesem Jahr in die dritte Rezession innerhalb der letzten vier Jahre rutschen.

Spitzenreiter unter den europäischen Nationen mit einem schrumpfenden BIP bleibt Griechenland, das sich jetzt im sechsten Jahr der Rezession befindet. Die Wirtschaft ist in den letzten sechs Jahren um mehr als zwanzig Prozent eingebrochen und wird voraussichtlich in diesem Jahr um weitere 4,5 Prozent schrumpfen. Auf der Grundlage seiner wirtschaftlichen Daten stufte ein führendes Investment-Unternehmen Griechenland kürzlich von einem Schwellenland zu einem Entwicklungsland herab.

Die griechische Arbeitslosenquote von siebenundzwanzig Prozent ist die höchste in der EU mit einer geschätzten Jugendarbeitslosigkeit von zweiundsechzig Prozent. EU und IWF drängen die griechische Regierung derzeit dazu, in diesem Jahr weitere 25.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor zu streichen, um ihrem Ziel, bis 2015 an die 150.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu entlassen, näher zu kommen.

Die Rezession ist jedoch nicht auf kleinere, periphere EU Länder beschränkt. Einer der deutlichsten Indikatoren für das Ausmaß der Rezession in Europa war der Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität im vergangenen Jahr in den beiden größten Volkswirtschaften des Kontinents, Deutschland und Frankreich. Entgegen allen offiziellen Erwartungen schrumpfte die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal 2012 um 0,6 Prozent und die französische um 0,3 Prozent.

Der Einbruch der deutschen Wirtschaft spiegelt in erster Linie den Zusammenbruch der Verbrauchernachfrage in Europa nach deutschen Exporten wider. Die Rezession breitet sich nicht nur von der Peripherie zum Kern Europas aus, sie trifft auch zunehmend große Schlüsselindustriezweige. Als Reaktion auf den Einbruch der Autonachfrage in Europa, intensivieren die großen Auto- und auch Stahlkonzerne ihre Pläne für Werksstilllegungen, Arbeitsplatzvernichtung und drastische Rationalisierung der Produktion.

Die fortschreitende Erkrankung der europäischen Wirtschaft, verbunden mit wachsender politischer Instabilität in Griechenland, Italien, Portugal und Spanien treibt wieder einmal den Kaufpreis für die Staatsanleihen dieser Länder in die Höhe, bläht damit ihre Verschuldung auf und droht zu einem erneuten Ausbruch der Krise der Euro-Zone zu führen.

Wie oben erwähnt, stiegen am gleichen Tag, an dem Zahlen den desaströsen Zustand der europäischen Wirtschaft belegten, auf dem ganzen Kontinent die Kurse an den Aktienmärkten auf ein ähnlich hohes Niveau wie vor dem Bankenkrach von 2008. Der französische CAC 40 stieg um 2,1 Prozent, der deutsche Aktienindex DAX um 2,4 Prozent, und der britische FTSE 100 gewann 1,4 Prozent.

Der Anstieg auf den europäischen Finanzmärkten fiel mit dem Tag zusammen, an dem der Dow Jones Industrial Average seinen bisherigen Höchststand, der im Jahr 2007 lag, durchbrach.

Der Irish Independent stellte fest, dass die Indizes auf allen achtzehn westeuropäischen Märkten mit Ausnahme von Griechenland stiegen und begann seinen Bericht über die Orgie auf dem Aktienmarkt mit dem Satz: “Es war ein Tag für Märkte, der die Investoren trunken vor Freude gemacht haben muss.”

Der Boom an den europäischen Aktienmärkten wird von Finanzkommentatoren oft als Anzeichen für ihre “Entkoppelung” vom Zustand der Realwirtschaft beschrieben. In der Tat basierten die Blasenwerte sowohl der europäischen als auch der US-Börsen auf dem gleichen Prozess: Es findet eine massive Umverteilung des Reichtums von der öffentlichen Hand zu den Banken und Konzernen statt. Der Lebensstandard für Millionen von Arbeitnehmern wird durch Sparprogramme zerschlagen und Milliarden werden in die Tresore der Banken umgeleitet.

Die schwedische Wirtschaftsjournalistin Ylva Elvis Nilsson beschreibt das Ausmaß dieses Prozesses. Sie betont, dass die Größe des europäischen Bankensektors im vergangenen Jahrzehnt um mehr als fünfundachtzig Prozent gewachsen sei, und im Jahr 2011 schätzungsweise einen Wert von fünfundvierzig Billionen Euro hatte. Das entspricht 350 Prozent des gesamten EU-BIP.

Der Zustand der europäischen Wirtschaft war das Hauptthema bei dem jüngsten Gipfel der Nachrichtenagentur Reuters über die Zukunft der Euro-Zone Ende letzten Monats. Im Namen der Europäischen Kommission betonte ihr Präsident Jose Manuel Barroso, dass Sparmaßnahmen intensiviert werden müssten. Angesichts des Ergebnisses der Wahl in Italien, bei der es ein massives Votum gegen Sparmaßnahmen und gegen die EU gab, rief er die europäischen Staats-und Regierungschefs auf, ihren Kurs beizubehalten und “dem Populismus nicht nachzugeben”.

Barroso machte deutlich, dass die EU-Elite entschlossen ist, sowohl die wachsende soziale Katastrophe in Europa als auch die Ergebnisse von Wahlen zu ignorieren, um die Austeritätspolitik weiter voranzutreiben. Er stellte die Frage: “Sollen wir unsere Wirtschaftspolitik an kurzfristigen wahltaktischen Überlegungen ausrichten oder an dem, was getan werden muss, um Europa wieder auf den Weg zu nachhaltigem Wachstum zu bringen?” Seine Antwort war: “Für mich ist die Antwort klar”.

Barrosos Mantra der Sparpolitik wurde erwartungsgemäß vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble wiederholt, der auf der gleichen Konferenz sprach. Schäuble erklärte, es werde Rückschläge geben, aber: “Wir müssen diesen Weg fortsetzen.”

Ein weiterer Redner auf der Konferenz warnte, dass der wahrscheinlichste “Rückschlag” eine wachsenden Flut von Volksaufständen gegen die europäische Elite sein werde. Der angehende Chef des deutschen Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, sagte auf der Konferenz: “Es gibt wirklich ein aktuelles plausibles Szenario für einen Zerfall der Währungsunion. Es kann sehr gut sein, dass die Bevölkerung in diesen Ländern an einem gewissen Punkt sagen wird: ‘Wir glauben nicht, dass die Dinge besser werden.’ ”

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