Europas Regierende schüren einwandererfeindlichen Chauvinismus

Mitgliedschaft in der Europäischen Union sollte für Bürger jedes Mitgliedslandes eigentlich bedeuten, dass sie sich in der ganzen EU frei bewegen können und vor nationalistischer Diskriminierung geschützt sind.

Den Bürgern Bulgariens und Rumäniens werden diese Rechte jedoch von den großen europäischen Mächten massiv vorenthalten.

Die EU hat die Entscheidung, die visafreie Schengenzone auf Bulgarien und Rumänien auszudehnen, verschoben. Beide Länder sind EU-Mitglieder und haben der Europäischen Kommission zufolge ihre Vertragsverpflichtungen erfüllt. Nach einer zweijährigen Verschiebung wären ihre Bürger ab 2014 endgültig berechtigt, ohne Beschränkungen überall in der Europäischen Union zu arbeiten. Aber ein Treffen der Innen- und Justizminister verschob die Entscheidung vergangene Woche, weil der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich sagte, er werde gegen die Mitgliedschaft dieser beiden Länder im Schengenraum sein Veto einlegen.

Friedrich fragte verächtlich: “Bedeutet Freizügigkeit in Europa, dass wir damit rechnen müssen, dass Leute irgendwo in Europa eines Tages glauben, in Deutschland von der Sozialhilfe besser leben zu können als in ihren eigenen Ländern, und dann nach Deutschland kommen?“

„Wer nur wegen der Sozialhilfe kommt und so die Freizügigkeit missbraucht, der muss daran effektiv gehindert werden”, betonte er.

Deutschland steht damit keineswegs allein. Die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, der Niederlande und Österreichs haben sich ähnlich geäußert. Ihre Haltung entlarvt die Behauptung einer fortschrittlichen und „harmonisierenden“ Mission, mit der die EU seit der Zeit, als die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten zusammenbrachen, in ganz Europa hausieren geht.

In den 1990er Jahren lockte die europäische Bourgeoisie die osteuropäischen Länder mit dem Versprechen wirtschaftlicher Blüte und politischer Stabilität in die EU als einer angeblichen Union gleichberechtigter Staaten.

Daraufhin wurden die Volkswirtschaften dieser Länder geplündert, als die EU weitgehende Privatisierungen und die Zerstörung umfangreicher sozialer Sicherungen forderte. Das wurde mit der Notwendigkeit „struktureller Anpassungen“ gerechtfertigt, um sich voll in den europäischen Club zu integrieren.

Auch als viele osteuropäische Länder in die EU aufgenommen wurden (Bulgarien und Rumänien wurden 2007 aufgenommen), hörten die Schmerzen nicht auf. Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Unsicherheit nahmen zu. Bulgarien und Rumänien sind die beiden ärmsten Länder der EU. Die Hälfte ihrer Bevölkerung ist von Armutsrisiko bedroht.

Die EU gibt zu, dass die herrschenden Eliten Bulgariens und Rumäniens alle Bedingungen erfüllt haben. Aber sie argumentiert sadistisch, dass gerade der „Erfolg“ ihrer Politik der verbrannten Erde bedeute, dass ihren Bevölkerungen das Recht als EU-Bürger nicht zugestanden werden könne. Wegen der Verarmung, in die sie getrieben wurden, sind sie unwillkommen.

Der Vorsitzende des bulgarischen Thinktanks Centre for Liberal Studies, Iwan Krastew, sagte der Financial Times: „Die Vorstellung war, dass der Übergang schmerzhaft sein werde, dass wir leiden müssten. Aber jetzt [mit der EU-Mitgliedschaft] erwarteten wir ein völlig anderes Leben. Wir erwarteten, wenn schon nicht wie die Deutschen zu leben, aber wenigstens so wie die Griechen. Aber so kam es nie.“

Seine Erklärung fast die Zeitenwende zusammen, die in den Klassenbeziehungen in Europa stattgefunden hat. Mehr als ein Jahrzehnt lang kämpften die osteuropäischen Länder darum, „wie die Griechen“ zu leben. Aber statt in ein Europa der Prosperität einzutreten, waren sie einem Europa der Austerität beigetreten.

Griechenland ist das Labor der EU. Hier nutzt die europäische Bourgeoisie die globale kapitalistische Wirtschaftskrise, um die Schocktherapie, die sie in Osteuropa getestet hat, auf ganz Europa auszudehnen. Nach fünf Jahren brutaler Sparpolitik beträgt die Arbeitslosigkeit in Griechenland mehr als 25 Prozent, und die Jugendarbeitslosigkeit sechzig Prozent; Suppenküchen sind für Zehntausende inzwischen fester Bestandteil ihres Alltags. Das Gesundheitswesen und das Bildungswesen kommen zum Stillstand.

Anstatt Bulgarien und Rumänien “aufzuwerten”, werden die Bedingungen auf dem Kontinent nach unten angepasst. Maßstab sind nicht bloß die Bedingungen in Osteuropa, sondern in China.

Die Haltung der europäischen Großmächte zu Bulgarien und Rumänien ist nicht nur von Großmachtarroganz geprägt. Auch Klassenhass spielt eine Rolle. In beiden Ländern gibt es immer wieder große Massenbewegungen gegen die von der EU diktierte Sparpolitik, und mehrere Regierungen, welche diese Politik durchzusetzen versuchten, wurden zu Fall gebracht. Im April letzten Jahres stürzte die Regierung in Rumänien, und erst im letzten Monat die in Bulgarien.

Zur Strafe wird die arbeitende Bevölkerung dieser Länder jetzt als Sozialschmarotzer hingestellt und praktisch in Geiselhaft genommen, während das Finanzkapital alle Freiheit genießt, Europa auszuplündern.

Derweil wird ein übler Propagandafeldzug gegen “Sozialhilfetourismus” losgetreten, um von den wirklichen Ursachen steigender Arbeitslosigkeit und fallender Löhne abzulenken. Sie liegt in der Politik der Regierungen, die von den wirklichen Parasiten in der Gesellschaft diktiert wird: der Finanzoligarchie.

Die von der Neuen Demokratie geführte Regierung in Griechenland lässt Massenrazzien gegen Einwanderer und andere rassistische Maßnahmen durchführen und übernimmt damit die Politik der faschistischen Goldenen Morgenröte.

Die gleiche Tendenz ist in ganz Westeuropa zu beobachten, wobei die sozialdemokratischen Parteien immer stärker eine führende Rolle spielen.

Sören Link, der sozialdemokratische Bürgermeister von Duisburg, entfesselte eine schmutzige rassistische Kampagne gegen osteuropäische Einwanderer. Er beklagte öffentlich, dass sie Mittel beanspruchten, die für „die Einheimischen“ fehlten.

In Frankreich setzt die sozialistische Regierung von François Hollande die Politik des gaullistischen Präsidenten Nicolas Sarkozy fort und veranstaltet Razzien in Einwandererlagern und organisiert Massenabschiebungen, wie sie von der Nationalen Front gefordert werden.

In Großbritannien fordert die Labour Party “maximale Kontrollen” osteuropäischer Zuwanderer unter der Parole “britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter”, die ebenfalls von der faschistischen British National Party übernommen wurde.

Im Visier solcher Maßnahmen sind dabei die sozialen Rechte der ganzen Arbeiterklasse. Die Forderung, Einwanderern Sozialleistungen zu verweigern, darunter auch Gesundheitsversorgung und das Recht auf eine Wohnung, wird benutzt, um zu erklären, dass Sozialleistungen nicht mehr bezahlbar sind und abgeschafft gehören.

Die politische Verantwortung für diese reaktionäre Offensive liegt bei den pseudolinken Gruppen wie Syriza in Griechenland, die zwar vorgeblich Kürzungen und Rassismus ablehnt, aber das Profitsystem verteidigt, das die Quelle von beidem ist. Ferner verteidigt sie die EU, die der wichtigste Mechanismus ist, mittels dessen der Angriff der herrschenden Elite koordiniert und durchgesetzt wird.

Arbeiter und Jugendliche müssen sich aktiv gegen einwandererfeindlichen Chauvinismus wenden. Gegen die Methode des Teile und Herrsche der Wirtschaft müssen sie die Verteidigung von eingewanderten Arbeitern ins Zentrum einer europaweiten Revolte gegen die Sparpolitik der EU und ihrer Mitgliedsregierungen stellen. Sie müssen für eine Regierung der Arbeiterklasse und die sozialistische Vereinigung des Kontinents kämpfen.

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