Im Machtkampf mit Russland:

Europa droht Zypern mit Bankrott

Die Europäische Zentralbank beauftragte Zypern am Mittwoch, bis kommenden Montag den Eigenanteil von 5,8 Milliarden Euro aufzutreiben, um den zehn Milliarden Dollar schweren Bailout von der Europäischen Union zu erhalten. Andernfalls werde die Zentralbank die bankrotten zypriotischen Banken nicht länger stützen, und der Regierung drohe der Staatsbankrott.

Vergangene Nacht verabschiedete das zypriotische Parlament Notstandsmaßnahmen wie Kapitalkontrollen, um den plötzlichen Abfluss von Geld aus Zypern zu verhindern. Tausende Sparer versammelten sich zu Massenprotesten, und viele versuchten, so viel Geld wie möglich an Geldautomaten abzuheben.

Am Mittwoch hatte das Parlament mit 36 Stimmen bei 19 Enthaltungen die Bedingungen des EU Bailouts zurückgewiesen, der einen Beitrag Zyperns von 5,8 Milliarden Euro verlangte. Das Geld sollte zuerst durch eine Sondersteuer auf alle Bankguthaben in Zypern aufgebracht werden, sowohl von kleinen Sparern wie auch von den Besitzern großer Bankguthaben. Letztere kommen vor allem aus Russland und Großbritannien und nutzen die Insel als offshore-Finanzhaus.

Die Beschäftigten der zypriotischen Banken fürchten um ihre Arbeitsplätze und protestierten gestern vor dem Parlament in Nikosia. Sie lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auf Plakaten griffen sie Bundeskanzlerin Merkel an und nannten sie faschistisch, weil die deutsche Regierung die entscheidende Rolle bei der Forderung spielt, als Voraussetzung für den Bailout die Bankguthaben in Zypern teilweise zu enteignen.

Die Regierung gab gestern auch die Einrichtung eines so genannten Nationalen Solidaritätsfonds bekannt. Dieser soll Gelder von den nationalen Rentenfonds und der zypriotischen Kirche einsammeln und Spenden privater Bürger eintreiben, um die Finanzierung des Banken-Bailouts zu unterstützen.

Zentralbankchef Panicos Demetriades gab bekannt, die Laiki Bank solle restrukturiert und mit der Bank von Zypern verschmolzen werden. Diese beiden größten privaten Banken des Landes haben schwer unter der Wirtschaftskrise und der Sparpolitik der EU in Griechenland gelitten. Wenn sie die Zahlungsunfähigkeit vermeiden wollen, sind sie auf Hilfsgelder der Zentralbank angewiesen. Weil der Euro die Währung Zyperns ist, kann die EZB die Zentralbank anweisen, die so genannte Emergency Lending Assistance (ELA) für die privaten Banken des Landes zu stoppen.

Zyperns Finanzminister Michalis Sarris und Energieminister George Lakkotrypis weilten beide gestern in Moskau, um die Unterstützung Russland zu gewinnen. Zypern soll Russland ein Teileigentum am zypriotischen Finanzsektor, Zugang zu Gasvorkommen vor der Südküste Zyperns und die Nutzung des Hafens Limassol als Marinestützpunkt angeboten haben.

Der einzige Zugang zum Mittelmeer, den die russische Marine bisher hat, ist der Hafen Tartus in Syrien. USA und EU führen zurzeit einen Stellvertreterkrieg gegen den von Russland unterstützten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.

Der stellvertretende russische Ministerpräsident Arkadi Dworkowitsch warnte, der Plan der EU, Geld von Einlegern bei den Banken in Zypern zu konfiszieren, werde das Vertrauen in das globale Bankensystem untergraben. „Wenn so etwas in Zypern möglich ist, dann ist es überall möglich. (…) Das bedeutet, dass man sein Geld nirgendwo mehr deponieren kann, und dass das Bankensystem aufgehört hat zu funktionieren.“

Große russische Banken, wie die Alfa Bank und die VTB, könnten hohe Summen verlieren, wenn die Banken in Zypern kollabieren oder ihnen der Zugang zu ihrem Geld in Zypern durch Kapitalkontrollen verwehrt wird.

Die Ausdehnung der reaktionären EU-Sparpolitik auf Zypern führt dazu, dass zypriotische Arbeiter und Rentner ausgeplündert werden. Gleichzeitig wird Zypern in den Konflikt zwischen der Nato und Russland im östlichen Mittelmeer hineingezogen. Diese Konfrontation nimmt nicht nur die Form des blutigen Stellvertreterkriegs des amerikanischen und europäischen Imperialismus in Syrien an, sondern er äußert sich jetzt auch darin, dass der europäische Kapitalismus versucht, das Finanzsystem Zyperns zu zerstören.

EU-Politiker versuchen, ihren Angriff auf Zypern als populäre Maßnahme hinzustellen: als ein Versuch, die auf Zypern gebunkerten Milliardenvermögen russischer Oligarchen zu besteuern. Das ist ein zynischer Betrug. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew gab dieser Kampagne möglicherweise ungewollt Nahrung, als er der EU absurderweise vorwarf, ihr Bailout erinnere ihn an „Entscheidungen sowjetischer Behörden“.

Die Plünderung Zyperns hat nichts mit der Enteignung von Kapitalisten im Interesse der Arbeiterklasse zu tun. Während Arbeiter ihre Ersparnisse und Renten verlieren, versucht die EU, Geld und Geschäfte mit aller Macht von Zypern und Russland auf die reichsten und mächtigsten Teile des Finanzkapitals zu übertragen.

EU-Vertreter haben klar gemacht, dass der Finanzsektor Zyperns deutlich verkleinert werden müsse. Am Dienstag sagte Finanzminister Schäuble, das zypriotische Bankensystem sei schlicht „nicht zu halten“. Er sagte: „Zyperns Bankensektor ist viel zu groß, und das Geschäftsmodell ist bankrott. Daran ist niemand außerhalb Zyperns schuld.“

Finanzkommentatoren haben erklärt, dass die Zypernkrise Unternehmen, die ihre Bankgeschäfte heute in Zypern abwickeln, dazu zwinge, ihre Finanzangelegenheiten in größere westeuropäische Länder zu verlagern. Die Banken derselben Länder haben großen Bedarf an zusätzlichen Bareinlagen, denn auch sie sind von dem Wirtschaftsabschwung getroffen, den die scharfen Kürzungsmaßnahmen auf dem ganzen Kontinent zur Folge haben.

Die Moscow Times zitierte den Finanzier Michael Pugh, der schon in Russland und Zypern gearbeitet hat: “Es ist schwer zu glauben, dass die EU und der IWF wirklich gedacht haben, die Deckelung der Einlagen werde die Lage stabilisieren. (…) Sie haben Zypern wie einen alten Teppich angefasst, ihn ordentlich ausgeschüttelt und damit bestimmt Geschäfte in stabilere westeuropäische Rechtssysteme getrieben.“

Bei einer Telefonkonferenz der Arbeitsgruppe der stellvertretenden Finanzminister der Eurogruppe am Mittwochabend mit dem Thema Zypern ging es hoch her. Der stellvertretende Finanzminister Zyperns nahm erst gar nicht teil, und andere Teilnehmer bezeichneten sie als „chaotisch“.

Teilnehmer fragten, ob ein Finanzkollaps Zyperns die ganze Eurozone treffen werde, oder ob es möglich sei, die Verluste “einzugrenzen”. Andere diskutierten offen, ob der Zusammenbruch des zypriotischen Bankensystems Nikosia zwingen werde, den Euro zu verlassen, was der Zentralbank ermögliche, Geld zu drucken, aber dann nicht mehr Euros, sondern das zypriotische Pfund.

Ein Teilnehmer soll gewarnt haben, Investoren könnten die Risiken unterschätzen, die sich aus den scharfen internationalen Spannungen ergeben, die die Zypernkrise antreiben: „Die Märkte gehen davon aus, dass wir eine Lösung finden und dass wir das Geld aufbringen. Aber es könnte passieren, dass das nicht gelingt.“

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