Großbritannien:

Kampf gegen “Schlafzimmersteuer”: ein politischer Betrug

Am 1. April verabschiedete die britische Regierung Sparmaßnahmen, die in ihrer Gesamtheit den schwersten Angriff auf den Sozialstaat seit der Großen Depression der 1930er Jahre darstellen. Sie werden sich auf Millionen arbeitender Menschen auswirken.

Schon der Health and Social Care Act soll das staatliche Gesundheitssystem National Health Service zerschlagen und für das Privatkapital öffnen. Hinzu kommen nun die jüngsten Maßnahmen, welche Gemeindesteuernachlässe für 3,7 Millionen besonders bedürftige Familien kürzen, spezielle Familienzuwendungen vermindern und Krisenkredite und Hilfen bei der Kinderbetreuung abschaffen. Die Beihilfe für die Behindertenbetreuung wird abgeschafft und durch eine „Personal Independence Payment“ ersetzt, wobei eine halbe Million Menschen ihren Anspruch darauf verlieren.

Um eine Prozesswelle zu verhindern, schafft die konservativ/liberaldemokratische Koalition außerdem die Prozesskostenhilfe ab.

Eine weitere reaktionäre Maßnahme ist die so genannte „Schlafzimmersteuer“. Hierbei handelt es sich um eine Leistungskürzung für Wohngeldempfänger, die in Sozialwohnungen leben und angeblich mehr Zimmer haben, als sie brauchen. Empfängern mit einem nach diesen Maßstäben „überzähligen“ Zimmer droht der Verlust von vierzehn Prozent des Wohngeldes, Empfängern mit zwei überzähligen Zimmern der Verlust von einem Viertel des Wohngeldes.

Protest gegen die „Schlafzimmersteuer“ in Glasgow

Solche Strafmaßnahmen werden unweigerlich zu Zwangsräumungen, Obdachlosigkeit und einem starken Anstieg der Armut unter der schwächsten Bevölkerung führen. Bis zu 660.000 Menschen sollen davon betroffen sein. Alleine in Liverpool und der unmittelbaren Umgebung werden 30.000 Menschen bis zu tausend Pfund im Jahr verlieren, 7000 davon wohnen in Behindertenwohnungen.

Die „Steuer“ ist auch ein Angriff auf den sozialen Wohnungsbau der Kommunen und Wohnungsgesellschaften. Sie wird Einwohner in privat vermietete Unterkünfte treiben, wo es keine Zimmerbegrenzungen gibt, die Mietkosten aber allgemein höher sind. Die Financial Times schrieb, der britische Finanzdienstleister Prudential habe als Einstieg in den privaten Wohnungsmarkt 500 Wohnhäuser gekauft.

Gleichzeitig werden die Wohngeldzahlungen künftig direkt an die Mieter ausbezahlt, statt wie bisher an die Wohnungsgesellschaften. Das wird die finanzielle Grundlage des sozialen Wohnungsbaus weiter untergraben, da viele Mieter ihre Mieten nicht zahlen können und in Rückstand geraten.

Am 30. März, zwei Tage vor Einführung der Maßnahmen, fanden in ganz Großbritannien Demonstrationen und Proteste statt. Die Kundgebungsreden konzentrierten sich jedoch meist nur auf die „Schlafzimmersteuer“. Die größten Demonstrationen fanden in London, Edinburgh und Glasgow statt, bei letzterer zogen gerade mal fünftausend Menschen auf den George Square im Stadtzentrum.

Die geringe Größe und der verspätete und beschränkte Charakter der Proteste zeigen, dass die Gewerkschaften an dem historischen Angriff auf die soziale Stellung der britischen Arbeiterklasse beteiligt sind. Die Gewerkschaften haben nicht nur nicht vor diesen Maßnahmen gewarnt, als sie vorbereitet wurden, – geschweige denn dagegen mobilisiert –, sie sind sogar direkt an ihrer Umsetzung beteiligt.

Ohne die aktive Unterstützung durch Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wie Unison, PCS, Unite und GMB könnten die Maßnahmen der Regierung keinen einzigen Tag überdauern. Aber die Führung dieser Organisationen hat zu keiner Zeit auch nur gedroht, diese Kürzungen zu behindern, ganz zu schweigen davon, sie aufzuhalten.

Tatsächlich versuchen die Gewerkschaften über ihre Verteidiger in den ex-linken Parteien, die Aufmerksamkeit von den zentralen politischen Fragen abzulenken, indem sie die „Schlafzimmersteuer“ zum Hauptziel ihres Widerstandes erklären.

Die Ex-Linken beschränken den Widerstand gegen den Sozialabbau auf lokale Kampagnen gegen diese „Schlafzimmersteuer“, wobei sie Druck auf die Wohnungsgesellschaften ausüben, damit diese die Mieter nicht aus ihren Wohnungen werfen. Diese Taktik ermöglicht es den Pseudolinken nicht nur, die Gewerkschaften aus der Schusslinie zu nehmen, sondern sie geben damit auch der Labour Party und der Scottish National Party (SNP) die Möglichkeit, sich als Austeritätsgegner darzustellen.

In Schottland werden die Proteste gegen die Steuer ausgenutzt, um für ein „Ja“ im Referendum zur Unabhängigkeit Schottlands zu werben, das mittlerweile auf den 18. September 2014 angesetzt wurde.

Diese Perspektive zeigte sich bei der Demonstration in Glasgow. Sprecher stellten die Steuer als das Werk englischer Tory-Schnösel dar, die, wie es der Sprecher der SNP-Kampagne gegen die Steuer erklärte, für eine Regierung sprechen, die „in Schottland kein Mandat hat“.

Dave Sherry von der Socialist Workers Party verglich die Schlafzimmersteuer mit der Kopfsteuer, welche die konservative Regierung unter Margaret Thatcher 1989-90 eingeführt hatte. Sherry behauptete, die Kopfsteuer sei an „massiven Demonstrationen und massiven Verweigerungskampagnen gescheitert“, und dies habe Thatcher aus der Regierung gedrängt. „Wir können das gleiche mit der Schlafzimmersteuer machen.“

Der ehemalige Vorsitzende der Scottish Socialist Party, Tommy Sheridan, äußerte sich bei einem Treffen seiner Solidarity Party in ähnlicher Weise und forderte die SNP auf, den schottischen Housing Act von 2001 zu ändern und Mietrückstände als normale Schulden zu klassifizieren. Damit wäre die Gefahr einer Zwangsräumung aus der Welt. Am 16. April soll dem schottischen Parlament eine entsprechende Petition vorgelegt werden.

Sheridan erwähnte in seiner zwanzigminütigen Rede keine einzige Maßnahme, die auch außerhalb Schottlands umgesetzt wird. Er fuhr fort: „Unsere Forderung an [den schottischen First Minister] Alex Salmond und die SNP-Regierung lautet: Treten Sie aus der Reihe. Stellen Sie sich an die Spitze dieser Kampagne.“

In Wirklichkeit zwingt die soziale Konterrevolution von David Camerons Regierung die Arbeiter dazu, den schottischen Separatismus abzulehnen und mit der Labour Party und den Gewerkschaften zu brechen. Wie sich bereits in Griechenland, Zypern, Irland und Europa gezeigt hat, führt die Finanzoligarchie einen beispiellosen Feldzug gegen den Sozialstaat in jeglicher Form, den sie schon immer verabscheut hat.

Sollen diese Angriffe zurückgeschlagen werden, muss die gesamte britische Arbeiterklasse gemeinsam mobilisiert werden. In allen Gebieten, Büros, Fabriken, Schulen und Krankenhäusern müssen Aktionskomitees gegründet werden, um für eine Arbeiterregierung auf sozialistischer Grundlage zu kämpfen.

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