Ägyptisches Regime schürt sektiererische Gewalt

Im Lauf der vergangenen Woche wurden bei religiös motivierten Zusammenstößen in Ägypten mindestens sieben Menschen getötet. Am Freitag kam es in Al-Khosous nördlich der Hauptstadt Kairo zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen fünf koptische Christen und ein Moslem umkamen.

Am Samstag gingen die Gewalttätigkeiten weiter, als trauernde Christen bei der Beerdigung der koptischen Opfer in der St. Markus-Kathedrale im Kairoer Stadtteil Abbasia angegriffen wurden.

Medien und Augenzeugen machen die herrschende Muslimbruderschaft und den US-gestützten Präsidenten Mohammed Mursi für die Zusammenstöße verantwortlich. Mursi und die herrschenden Islamisten sind zutiefst unbeliebt und versuchen, die wachsende soziale und politische Unzufriedenheit in reaktionäre und sektiererische Bahnen zu lenken.

Der junge Kopte Hani Sobhi, der an der Beerdigung teilnahm, erklärte, die Trauernden in der St. Markus-Kathedrale seien von bewaffneten Schlägern angegriffen wurden, als sie Parolen gegen das Regime riefen: „In der Kathedrale riefen wir: ‚Nieder mit der Herrschaft der Muslimbrüder,‘ und das wurde live im Fernsehen übertragen. Am Ausgang [der Kathedrale] warteten sie auf uns."

Weitere Augenzeugen berichten, die anwesenden Polizeikräfte hätten sich auf die Seite der Angreifer gestellt und mit Tränengas auf die Trauernden geschossen. Ein junger Kopte sagte: „Die Polizei schoss mit Tränengas auf uns... Sie unterstützten die Schläger.“

Kopten und Muslime, die an der Beerdigung teilnahmen, gaben Mursi die Schuld an der Gewalt. Ein Verletzter in der Kirche sagte der Zeitung Egypt Independent, er wolle den Präsidenten fragen: „Warum tun Sie dem ägyptischen Volk das an? Wir wollen, dass sie verschwinden. Moslems und Christen wollen, dass sie verschwinden.“

Auch die Einwohner von Al-Khosous glauben, dass das Regime hinter den sektiererischen Zusammenstößen steckt. Die Konflikte waren ausgebrochen, nachdem der Imam der Hoda Al-Nabwi-Moschee laut christlichen und muslimischen Zeugen die Moslems dazu aufgerufen hatte, bewaffnet zu der Kirche zu ziehen, in der die Beerdigung stattfand.

Ein weiterer Augenzeuge namens Milad Saad sagte Ahram Online: „Die Polizei hat bei den Gewalttätigkeiten eine aktive Rolle gespielt. Sie stand anfangs 100 Meter von der Kirche entfernt, zu deren Zerstörung der Scheich aufgerufen hatte. Sie räumten alle Seitenstraßen und stellten sich weit von der Kirche entfernt auf, damit die Christen mittendrin stecken würden, falls die Gewalt zwischen Moslems und Christen eskalieren sollte.“

Bischof Suriel Yonan von der örtlichen Mar Girgis-Kirche erklärte, der Konflikt habe zwischen einem Christen und einem Muslim begonnen. Dabei sei ein Muslim namens Mohammed Mahmoud getötet worden. Es sei bei diesem Streit nicht um religiöse, sondern um private Dinge gegangen. Er beschrieb die darauffolgenden Zusammenstöße als „Kollektivbestrafung“ und fügte hinzu, „jemand“ profitiere davon, sektiererische Gewalt zu schüren.

Einwohner von Al-Khosous berichteten, dass Scharfschützen zwei Tage lang von Hausdächern auf Fußgänger geschossen hätten. Eine erste forensische Untersuchung, die das Gouvernement Qalyubia veröffentlichte, kam zu dem Ergebnis, dass vier Kopten durch Geschosse aus automatischen Waffen getötet worden sind. Marsouq Atteya wurde ins Gesicht geschossen, Morkos Kamal ins Herz, Victor Manqarios in den Kopf, Essam Zakhary in Gesicht und Schultern.

Yonan erklärte: „Alle wissen, dass die Leute in Al-Khosous arm sind. Wer hat hier so viel Geld, dass er es für Kugeln ausgeben kann? An einem Tag wurden zwischen ein Uhr nachts und sieben Uhr morgens mehr als 2000 Schuss abgegeben – das hätte fast 50.000 Ägyptische Pfund gekostet [etwa 5.570 Euro]. Wer hat das bezahlt?“

Er fügte hinzu: „Jemand gibt so viel Geld aus, um Feindschaft zwischen Muslimen und Christen zu schüren und Extremisten die Möglichkeit zu geben, sie zu manipulieren.“

Der koptische Patriarch Tawadros II griff Mursi am Dienstag in einem Interview mit dem privaten Nachrichtensender ONTV an. Er kritisierte das Vorgehen der Sicherheitskräfte und Mursi selbst und behauptete, der Tränengaseinsatz der Polizei auf dem Grundstück der Kathedrale hätte „alle roten Linien überschritten.“

Die St. Markus-Kathedrale gilt als wichtigstes Gotteshaus der Koptischen Kirche in Ägypten und beherbergt auch den Patriarchen.

Obwohl Mursi öffentlich die Gewalt gegen die Kirche verurteilt, versucht seine Regierung, sektiererische Spannungen anzufachen. Am Sonntag gab der Innenminister in einer Stellungnahme den Kopten die Schuld an den Auseinandersetzungen und behauptete, einige der Trauernden hätten begonnen, in dem Gebiet Autos zu beschädigen. Das hätte zu Zusammenstößen mit den Einwohnern geführt.

Mohamed Soudan, der Sekretär für außenpolitische Fragen der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FJP), des politischen Arms der Muslimbrüder, gab ebenfalls den koptischen Trauernden die Schuld und behauptete, die Christen hätten „etwas vor“ und würden in ihren Kirchen Waffen verstecken.

Die herrschende Elite Ägyptens versucht seit den Massenaufständen der Arbeiterklasse gegen den ehemaligen Diktator Hosni Mubarak im Januar 2011 immer entschlossener, sektiererische Gewalt zu schüren. Erst vor wenigen Wochen wurden bei einem Bombenanschlag auf die koptische Kirche al-Qiddissin in Alexandria 23 Menschen getötet und Dutzende verletzt.

Seit Mubaraks Sturz versucht die Militärjunta, sektiererische Gewalt zu nutzen, um die Arbeiterklasse zu spalten und die revolutionäre Massenbewegung, die das Land ergriff, zu desorientieren. Im Oktober 2011 ging das ägyptische Militär mit Panzern gegen eine überwiegend koptische Demonstration vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehsenders Maspero in Kairo vor. Dabei wurden 28 Demonstranten getötet und hunderte verletzt.

Seit Mursi und die Muslimbrüder an der Macht sind, haben die Angriffe auf koptische Kirchen und koptisches Eigentum zugenommen.

Die jüngste sektiererische Gewalt findet vor dem Hintergrund des größten Eisenbahnerstreiks seit 1986 statt. Am Sonntag und am Montag stand das gesamte ägyptische Transportsystem still, weil tausende von Eisenbahnarbeitern im ganzen Land für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streikten.

Angesichts der massiven Arbeitskämpfe versucht die ägyptische Bourgeoisie, die Arbeiterklasse nach religiösen Gesichtspunkten zu spalten, um so einen Vorwand für ein noch brutaleres Vorgehen gegen jeden politischen oder sozialen Widerstand zu schaffen.

Am Montag begann die ägyptische Regierung, das Militär einzusetzen, um den Eisenbahnerstreik zu brechen. Die Arbeiter erhielten Briefe von der Zentralen Behörde für öffentliche Mobilisierung und Statistiken (CAPMAS), die von den Streitkräften unterstützt wird. Darin werden sie der Behörde unterstellt und zurück an die Arbeit beordert.

Das Mursi-Regime verlässt sich bei seiner konterrevolutionären Offensive gegen die ägyptische Arbeiterklasse auf liberale und pseudolinke Oppositionsgruppen und die angeblich unabhängigen Gewerkschaften. Mohamed Abdel Sattar, der Vorsitzende der Unabhängigen Eisenbahnergewerkschaft, erklärte seine stillschweigende Unterstützung für das Vorgehen des Militärs. Er äußerte sich öffentlich gegen den Streik und erklärte: „Wir glauben, dass es andere Lösungen gibt als einen Streik. Wir sollten uns stattdessen zusammensetzen und verhandeln.“

Die Nationale Rettungsfront (NSF) – eine Koalition aus liberalen und pseudolinken Parteien unter Führung des nasseristischen Politikers Hamdin Sabahi und des ehemaligen UN-Beauftragten Mohamed ElBaradei – erklärte ebenfalls ihre Bereitschaft, mit den Islamisten und dem Militär zusammenzuarbeiten. ElBaradei rief Mursi Anfang der Woche bei einer NSF-Konferenz zu einem Prozess der „nationalen Versöhnung“ auf.

ElBaradei warnte: „Der Staat befindet sich im Zustand der Auflösung. Er bricht politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und in Sicherheitsfragen auseinander, und wir haben nicht mehr viel Zeit, um etwas dagegen zu tun.“

Inzwischen verstärkt der US-Imperialismus – der enge Beziehungen zu den Islamisten, dem ägyptischen Militär, der NSF und den unabhängigen Gewerkschaften unterhält – seine Unterstützung für die herrschende Klasse Ägyptens. Laut offiziellen Dokumenten, die der ägyptischen Tageszeitung Al Masry Al Youm zugespielt wurden, traf am Sonntag im Hafen Abadeya in Suez eine Schiffsladung mit 140.000 amerikanischen Tränengasbehältern ein.

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