Der reaktionäre Nationalismus der „Alternative für Deutschland“

Kommentar

Die Gründung der Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“ wird allgemein als Angriff auf die Europapolitik der Bundesregierung dargestellt. Regierungssprecher Steffen Seibert und andere Vertreter der Regierungskoalition haben die neue Partei deshalb scharf kritisiert. Tatsächlich besteht dieser Gegensatz aber nur an der Oberfläche. Die Entstehung einer rechten Anti-Euro-Partei in Deutschland ist die logische Konsequenz aus der Europapolitik der Bundesregierung, die auch von der SPD, den Grünen und der Linkspartei unterstützt wird.

Die herrschenden Eliten Deutschlands haben die Integration Europas unter dem Dach der Brüsseler Institutionen jahrzehntelang nahezu einhellig befürwortet. Nach Kriegsende half ihnen die Versöhnung mit Frankreich, ihre Kriegsverbrechen unter den Teppich zu kehren. Das wirtschaftliche Wachstum, das durch den Wegfall der Binnengrenzen beschleunigt wurde, erleichterte den sozialen Kompromiss.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs profitierte die deutsche Exportindustrie dann stark von der EU-Osterweiterung und der Einführung des Euro. Osteuropa mit seinen niedrigen Löhnen diente ihr als verlängerte Werkbank, während die gemeinsame Währung den Wechselkurs für die deutsche Wirtschaft senkte und ihr den Zugang zum Weltmarkt und die Vorherrschaft über Europa erleichterte.

Mit der 2008 einsetzenden Finanz- und Wirtschaftskrise änderte sich das. Zwischen Oktober 2008 und Dezember 2011 wandten die europäischen Regierungen insgesamt 1,6 Billionen Euro auf, um marode Banken zu retten. Seither besteht die deutsche Regierung in enger Zusammenarbeit mit der EU darauf, diese Gelder auf Kosten von Sozialausgaben und Löhnen zurückzuholen. In Griechenland hat sie ein Exempel statuiert und den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten durch fünf Sparprogramme auf Dritte-Welt-Niveau gesenkt. Zypern hat sie über Nacht die wirtschaftliche Grundlage entzogen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm wiederholt bis zur letzten Sekunde hinausgezögert, um maximalen Druck auf notleidende Regierungen auszuüben. Dabei handelt es sich bei den vergebenen Geldern lediglich um Kredite und Garantien, an denen Deutschland kräftig verdient. Mit der Verschärfung der Rezession, die durch die Austeritätspolitik verursacht wurde, wächst nun die Gefahr, dass ein vom Rettungsschirm abhängiges Land Pleite geht und die Schulden auf den deutschen Haushalt zurückfallen.

Darauf reagiert die Alternative für Deutschland.

Sie stimmt voll mit Merkels Austeritätspolitik überein und will diese weiter verschärfen. In ihrem Programm fordert sie, „die Schuldenbremse zu achten und die Schuldenberge abzubauen“. Die Steuern für Reiche will sie durch „eine drastische Vereinfachung des Steuerrechts in Anlehnung an das Kirchhof’sche Steuermodell“ reduzieren und damit den Sparzwang zusätzlich verschärfen. Die Europäische Union will sie beibehalten und – unter Berufung auf den britischen Regierungschef David Camerons – „durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung verschlanken“.

Gleichzeitig will die AfD verhindern, dass der deutsche Fiskus in irgendeiner Weise durch schwächere EU-Mitglieder belastet wird. Daher ihre Forderung nach der Wiedereinführung nationaler Währungen sowie ihre Ablehnung einer Transferunion und von staatlich finanzierten Rettungsfonds.

Hatte Bundeskanzler Helmut Kohl in den neunziger Jahren noch das Scheckbuch gezückt und den deutschen EU-Beitrag erhöht, um Differenzen zwischen EU-Mitgliedern zu überbrücken, beharrt die AfD nun auf dem uneingeschränkten Vorrang nationaler Eigeninteressen. Sie formuliert damit einen Standpunkt, der in den herrschenden Eliten zunehmend an Unterstützung gewinnt und sich auch im rücksichtslosen Auftreten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gegenüber Griechenland und Zypern widerspiegelt.

Die AfD spricht dabei gezielt konservative Mittelschichten an, die nach der Beschlagnahmung zyprischer Konten um ihre Ersparnisse oder deren Entwertung durch Inflation fürchten. Einer der wenigen Forderungen, die sich im Programm der AfD neben Währungs- und Steuerfragen finden, ist der „Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft“ – ein Schlagwort für rechtskonservative Schichten.

Im Gegensatz zu anderen Anti-Euro-Parteien, wie dem französischen Front National, hält sich die AfD vorläufig mit rechtspopulistischen Parolen zurück und bemüht sich, als seriöse Partei des gebildeten Bürgertums aufzutreten. Doch das ist nur die Oberfläche. Kratzt man daran, liegen rechtsextreme Standpunkte dicht darunter. So, wenn das Programm fordert: „Eine ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden“.

Ein Korrespondent der Zeit beschrieb anschaulich den Kontrast zwischen der zur Schau getragenen Wohlanständigkeit und der populistischen Stimmung der Delegierten auf dem Gründungsparteitag. Während sie im Saal als „Bürgertum mit Lesebrille und Bundfaltenhose“ auftraten, wetterten sie auf den Fluren gegen Political Correctness, die Homo-Ehe und „kriminelle osteuropäische Banden“. Die Rede von Parteiführer Bernd Lucke, einem Hamburger Wirtschaftsprofessor, kommentierte die Zeit mit den Worten: „Das Wort Volk ist gefühlt das häufigste in seiner Rede.“

Während die AfD die Blütezeit der D-Mark in der Adenauer-Ära beschwört, drängt sie in Wirklichkeit zu den Zuständen der 1930er Jahre zurück. Damals nahmen die nationalen Interessen in Europa überhand und entluden sich schließlich im zweiten blutigen Weltgemetzel innerhalb von 25 Jahren. Die AfD mag in ihrem Programm noch so sehr ein europäisches Zusammenleben „in Freundschaft und guter Nachbarschaft“ beschwören, die Zunahme nationaler Spannungen und Konflikte ist die unausweichliche Folge ihrer Politik.

Die AfD profitiert davon, dass die SPD, die Grünen und die Linkspartei die reaktionäre Politik der EU uneingeschränkt unterstützen. Obwohl sie in der Opposition sind, haben SPD und Grüne im Bundestag stets für die Europapolitik der Regierung Merkel gestimmt.

Nur eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse kann der AfD Einhalt gebieten. Sie muss deren reaktionären Nationalismus ebenso zurückweisen wie die Europäische Union und den Euro. Letztere verkörpern nicht die „Einheit Europas“, sondern das Diktat des Finanzkapitals über Europa. Sie sind zum wichtigsten Werkzeug einer sozialen Konterrevolution geworden, die den Lebensstandard der europäischen Arbeiterklasse um Jahrzehnte zurückwirft.

Die einzige fortschrittliche Alternative zur Europäischen Union ist der Aufbau Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa. Er setzt voraus, dass sich die Arbeiterklasse in ganz Europa zusammenschließt und Arbeiterregierungen an die Macht bringt, die das wirtschaftliche Leben auf sozialistischer Grundlage reorganisieren, so dass es den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht den Profitinteressen des Kapitals dient.

Dafür kämpfen die Partei für Soziale Gleichheit und das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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