Perspektive

Große Koalition für Austerität in Italien

Die Bildung einer Großen Koalition in Italien unter Führung der Demokratischen Partei (PD) von Premierminister Enrico Letta und von Silvio Berlusconis Volk der Freiheit (PdL) zeigt, wie stark die globale Finanzoligarchie das politische Leben bereits dominiert.

Die neue Regierung wird offiziell als Koalition der “Linken” mit der “Rechten” bezeichnet, was nur die Tatsache unterstreicht, dass solche Begriffe für die Definition etablierter Parteien jeden tieferen Sinn verloren haben. Die neue Regierung ist ein Austeritäts-Regime, das unter klarer Missachtung des eindeutigen Wählerwillens eingesetzt wird, um einzig und allein die Interessen einer superreichen Schicht von Parasiten durchzusetzen.

Wie schon die vorherige Technokratenregierung des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti, die im November 2011 eingesetzt wurde, wird auch diese Regierung der italienischen Arbeiterklasse rücksichtslos aufgezwungen. Sämtliche italienischen Parteien dienen denselben gesellschaftlichen Interessen.

Die neue Regierung ist ein Ergebnis von Geheimgesprächen und zwielichtigen Manövern hinter dem Rücken der Bevölkerung. Nichts könnte deutlicher zeigen, wie wenig von den demokratischen Prinzipien übrig ist, und wie sehr es sich um eine Diktatur des Finanzkapitals handelt, die von äußerlichen parlamentarischen Gepflogenheiten nur dürftig verhüllt wird.

Letta, der Neffe von Berlusconis Top-Berater Gianni Letta, setzt jetzt Berlusconis juristischen Ränkeschmied Angelino Alfano als stellvertretenden Premier und Innenminister ein und stellt damit sicher, dass der Medienmogul auch weiterhin auf freiem Fuß bleiben kann.

Die Schlüsselposition des Wirtschaftsministers wird von Fabrizio Saccomanni besetzt, dem Direktor der Bank von Italien, den kein Mensch gewählt hat. Er ist das wandelnde Versprechen an Banker und Spekulanten, dass dieselbe Politik, die das Leben von Millionen ruiniert hat, unverzüglich fortgesetzt wird.

Künftige Außenministerin ist die ehemalige Europakommissarin Emma Bonino von den libertären Radikalen Italiens. Sie befürwortet strikt die “freie Marktwirtschaft”, die Privatisierung von Staatsbetrieben, selbst im Gesundheitswesen, und niedrige Steuern für die Reichen.

Besonders die Leute aus Montis Umfeld sind in der neuen Regierung stark vertreten. Mario Mauro von Montis Liste “Bürgerwahl” übernimmt das Verteidigungsministerium. Anna Maria Cancellieri, eine frühere Polizeichefin, die Monti als Innenministerin diente, übernimmt das Justizressort. Das Arbeitsministerium geht auch an eine nicht gewählte Person, Enrico Giovannini, Chef der Statistikbehörde ISTAT.

In den Medien wird Letta als derjenige gefeiert, der das zweimonatige Patt seit den Parlamentswahlen überwunden hat, was in Wirklichkeit ein prinzipienloses Geschacher um Posten und Pöstchen war. Dabei haben sich in den Wahlen vom 24.-25. Februar 55 Prozent der Wähler für Parteien entschieden, die als Kritiker der Austerität und der Europäischen Union aufgetreten waren. Die Liste Monti erhielt nur zehn Prozent der Stimmen. Letta hat es in der Tat geschafft, die Parteien, die hauptsächlich für zwei Jahre brutale Sparpolitik verantwortlich sind, zusammenzubringen, damit dieselbe Politik fortgesetzt werden kann.

Jeder, der eine Alternative zur Austeritätspolitik gesucht hat, wurde frontal mit der Tatsache konfrontiert, dass es eine solche Alternative im italienischen Establishment nicht gibt. Die Demokraten sind ein Zerfallsprodukt der Italienischen Kommunistischen Partei, die einst die größte stalinistische Partei in Westeuropa war. Die Stalinisten und ex-Stalinisten entpuppen sich nun als entscheidender Dreh- und Angelpunkt der bürgerlichen Herrschaft in Italien und als wichtigste Regierungspartei. Sie führen eine offen rechte Organisation, die von Vertretern der Christdemokraten wie Letta geleitet wird, während die rivalisierende stalinistische Fraktion Rifondazione Comunista an ihren fortgesetzten bankrotten Manövern zerbrochen ist.

Das erlaubt es Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die bei den Februarwahlen 25 Prozent der Stimmen erhielt, die Opposition gegen die neue Regierung zu dominieren. Dies, obwohl Grillo den konservativen Charakter seiner politischen und wirtschaftlichen Agenda nur dürftig mit seiner polternden Rhethorik verhüllt.

Laut Grillo kommen die jüngste Regierungsbildung und die Wiederwahl des 87-jährigen Stalinisten Giorgio Napolitano zum Staatspräsidenten einem “Staatsstreich” gleich. Seine eigene Bewegung bezeichnet er als Pendant zur französischen Revolution, nur ohne Guillotine. Dennoch decken sich seine Schimpftiraden gegen Korruption und Vetternwirtschaft durchaus mit den Forderungen einer Schicht der italienischen und globalen Finanzaristokratie.

Grillo verriet mehr als beabsichtigt, als er in einem BILD-Interview scherzte: „Ich hätte auch gern ehrliche, kompetente und professionelle Leute auf den richtigen Positionen. Insofern würde ich mich über eine deutsche Invasion in Italien freuen.“

Die scharfen Einschnitte, welche die EU und der Internationale Währungsfonds verlangen, erweisen sich für Italien als ebenso verheerend wie für Griechenland, Portugal, Spanien und Irland. Selbst der Unternehmerverband Confindustria beschreibt die Folgen des Sparprogramms als “verheerende Schäden, vergleichbar mit einem Krieg”, und sieht Italien vor dem “vollkommenen Kreditnotstand”.

In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben schon 31.000 Unternehmen Konkurs angemeldet. Die italienische Wirtschaft ist seit 2007 um fast sieben Prozent geschrumpft, im letzten Jahr allein um 2,4 Prozent. Die Staatsverschuldung ist von 121 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 127 Prozent gestiegen. Sie wird wahrscheinlich noch weiter steigen, weil in Italien und Europa eine weitere Rezession droht.

Die sozialen Auswirkungen sind verheerend. Die Arbeitslosigkeit beträgt 11,6 Prozent und unter Jugendlichen 37,8 Prozent. In Städten wie Neapel und anderen benachteiligten Regionen Süditaliens liegt sie über fünfzig Prozent.

Die italienische Arbeiterklasse macht die gleichen Erfahrungen wie ihre Brüder und Schwestern im übrigen Europa und auf der ganzen Welt. Die Arbeiter haben sich eindeutig gegen eine Politik ausgesprochen, die Millionen in Armut und Arbeitslosigkeit stößt. Trotzdem werden ihnen technokratische und rechte Regierungen aufgezwungen, die den Angriff auf ihren Lebensstandard noch verstärken.

Niemand setzt sich für fortschrittliche Sozialreformen ein oder gar für weitgehende wirtschaftliche und soziale Maßnahmen, wie sie notwendig wären, um die Krise zu bewältigen. Die herrschende Klasse hat alle möglichen Organisationen, um dafür zu sorgen, dass ihre Forderungen auf den Buchstaben genau erfüllt werden: die EU, den IWF, die Europäische Zentralbank und die zahllosen gleichgeschalteten Regierungen, die unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit genau das tun, was die Superreichen ihnen sagen.

Und was haben die Arbeiter? Gewerkschaften, die jede Opposition sabotieren und praktisch als verlängerter Arm der Konzerne und Staaten arbeiten. Und alte, degenerierte sozialdemokratische Parteien, die nicht mehr von der konservativen Rechten zu unterscheiden sind.

Die pseudolinken Gruppen wie Sinistra Critica in Italien, Syriza in Griechenland, der Linke Block in Portugal etc. organisieren routinemäßige Proteste gegen Austeritätspolitik, und gleichzeitig unterstützen sie die EU und sorgen dafür, dass die Proteste unter dem Einfluss der Gewerkschaften bleiben.

Die Verteidigung sozialer und demokratischer Rechte erfordert nicht mehr und nicht weniger als die Reorganisation der Wirtschaft und der Gesellschaft durch den Aufbau von Arbeiterregierungen und die Schaffung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Die großen Konzerne und Banken müssen in Staatshand übergehen und unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden. Die Produktion muss entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft, nicht zugunsten der Profitinteressen und des obszönen Reichtums einiger Weniger organisiert werden.

Die Aufgabe, die sich jetzt stellt, ist der Aufbau einer neuen revolutionären Führung der Arbeiterklasse, d.h. des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Nur so kann eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse vorbereitet werden, und nur so kann sich die wachsende Unzufriedenheit der Arbeitermassen über ein verkommenes politisches Establishment und über die ganze gescheiterte Gesellschaftsordnung Gehör verschaffen.

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