Der Fabrikeinsturz in Bangladesch und das Profitstreben

Beim Einsturz des achtstöckigen Rana Plaza-Fabrikgebäudes in Bangladesch kamen in der letzten Woche mehr als 300 Menschen ums Leben, hauptsächlich Beschäftigte von Textilbetrieben. Die Tragödie ist einer der schwersten Industrieunfälle der Welt. Es wird nicht der letzte sein, denn die internationalen Konzerne streben nach immer größeren Profiten, indem sie ihre Arbeitskräfte in solchen „Sweatshops“ unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausbeuten

Der Rana Plaza-Komplex war eines der typischen mehrstöckigen Gebäude, die im Laufe der massiven Expansion der Textilindustrie in Bangladesch – der zweitgrößten nach China – in die Höhe geschossen sind, ohne auch nur auf die ohnehin beschränkten Sicherheits- und Bauvorschriften des Landes Rücksicht zu nehmen. Er beherbergte fünf Textilfabriken, mit Tausenden Beschäftigten, und zahlreiche Geschäfte. Der Besitzer, ein Lokalpolitiker, der Verbindungen zur Awami League hat, hatte nur die Genehmigung für den Bau von fünf Stockwerken gehabt.

Am Dienstag war das Gebäude kurzfristig geräumt worden, als Arbeiter große Risse entdeckt hatten. Aber der Besitzer Sohel Rana erklärte trotz der Warnungen, das Gebäude sei sicher. Fabrikmanager, die entschlossen waren, ihre Zeitpläne einzuhalten, zwangen die Beschäftigten, wieder an die Arbeit zu gehen. Das Gebäude stürzte am Mittwochmorgen plötzlich ein. Mehr als drei Tage später waren Rettungskräfte immer noch damit beschäftigt, Leichen und Überlebende aus dem instabilen Trümmerhaufen zu bergen.

Wie schon bei früheren Katastrophen beeilten sich auch diesmal die Regierung von Bangladesch, Wirtschaftsverbände und die internationalen Bekleidungskonzerne, die von den billigen Arbeitskräften im Land profitieren, den politischen und wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen.

Premierministerin Scheich Hasina Wajed setzte Polizei und Militär, sowie Einheiten des berüchtigten Rapid Action Bataillon zur Rettung ein, um die Wut der Arbeiter einzudämmen. Hunderttausende von Textilarbeitern demonstrierten am Donnerstag und Freitag in Dhaka und anderen Industriegebieten.

Die Premierministerin gab dem Besitzer des Gebäudes die Schuld am Einsturz und erklärte, er werde bestraft werden. Gleichzeitig stellte sie jedoch klar, dass nichts unternommen werde, um ähnliche Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Sie gab zu, dass 90 Prozent der Gebäude im Land nicht nach den offiziellen Bauvorschriften gebaut worden seien, tat das aber mit der Bemerkung ab: „Sollen wir etwa jetzt sofort alle Gebäude abreißen?“

Der Verband der Textilfabrikanten und Exporteure (BGMEA) von Bangladesch entzog den Unternehmen, die in Rana Plaza produziert hatten, die Mitgliedschaft und forderte, die Verantwortlichen für den Einsturz vor Gericht zu stellen. Die Arbeitgeberverbände wissen jedoch genauso gut wie die Regierung, dass in der gesamten Industrie derart unsichere Bedingungen herrschen.

Im letzten November starben bei dem bis dahin schlimmsten Fabrikbrand in einem Textilwerk des Unternehmens Tazreen im Industriegebiet Ashulia 112 Menschen. Vorgesetzte hatten die Beschäftigten wieder an die Arbeit zurück geschickt, nachdem bereits Feueralarm ausgelöst worden war, sodass die Arbeiter in den oberen Geschossen gefangen waren. Seit 2005 sind etwa 700 Arbeiter bei Fabrikbränden ums Leben gekommen. Bei Einstürzen von Textilwerken starben zwischen 2005 und 2010 79 Menschen.

Die größte Sorge der Regierung und der Arbeitgeber ist es, sicherzustellen, dass die tausenden von Textilwerken, die für etwa 80 Prozent der Exporte Bangladeschs verantwortlich sind, weiterhin in Gang gehalten werden. Sie gehen davon aus, dass jede Lohnerhöhung (der Durchschnittslohn liegt bei 37 US-Dollar im Monat) oder Verbesserung der entsetzlichen Bedingungen, unter denen Millionen von Textilarbeitern leiden, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes beeinträchtigen könnte.

Die internationalen Bekleidungskonzerne haben viel Erfahrung in Schadensbegrenzung. Sie vergießen ein paar Krokodilstränen und streiten jede Zusammenarbeit mit den Zulieferern im Rana Plaza-Komplex in Vergangenheit oder Zukunft ab. Darauf folgen leere Versprechungen, künftig bessere Bedingungen zu schaffen. In den Trümmern wurden Aufkleber von Wal-Mart, dem größten Einzelhandelsunternehmen der Welt, gefunden, außerdem von der spanischen Kette El Corte Ingles und PC Penney. Webseiten der Fabriken in dem Gebäude deuteten auch darauf hin, dass sie das deutsche Unternehmen KiK, C&A, Benetton UK, Mango aus Spanien, Trimark aus Kanada, Premark in Irland und weitere Unternehmen beliefert haben.

Die Bekundungen dieser Unternehmen, sie seien über die Katastrophe „schockiert“, sind besonders zynisch. Alle diese Konzerne wissen sehr gut, dass Kleidung nur unter Ausbeutungsbedingungen zu den Preisen produziert werden kann, die sie fordern. Sie operieren durch ein komplexes System von Mittelsmännern und Unterhändlern. Sie selbst distanzieren sich vom tatsächlichen Produktionsprozess. Viele haben zwar ein komplexes System von Fabrikinspektionen eingeführt. Das dient aber nicht dazu, Sicherheit und Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern um ihr Gesicht zu wahren und ihr Image und ihre Markennamen zu schützen.

Angesichts der Tragödie erklären Regierungen, Medien, Gewerkschaften und verschiedene nichtstaatliche Organisationen auf die eine oder andere Weise, dass etwas getan werden müsse. Dadurch soll die Illusion gewahrt werden, dass die internationalen Konzerne und die Regierung von Bangladesch durch Druck dazu gebracht werden könnten, den Sicherheitsstandard und die Lebensbedingungen der Textilarbeitskräfte zu verbessern. In Wirklichkeit wird die Regierung nichts tun, was ihre Exporte oder Profite gefährden könnte. Angesichts des zunehmenden Zusammenbruchs des Weltkapitalismus werden sich die Sicherheitsstandards eher verschlechtern als verbessern.

Der gleiche Prozess findet auf der ganzen Welt statt. Letzten September wurden fast 300 Arbeiter beim schlimmsten Fabrikbrand der Welt getötet, als die Fabrik Ali Enterprises im pakistanischen Karachi in Flammen aufging. In China werden jedes Jahr tausende von Arbeitern durch Explosionen und Einstürze in Bergwerken getötet, die wegen mangelhafter Sicherheit berüchtigt sind – Ende letzten Monats wurden 34 Menschen bei zwei Explosionen im Kohlebergwerk Babao getötet. Weitere 83 starben bei einem Erdrutsch in einem Kupferbergwerk in Tibet.

Gesundheit und Leben von Arbeitern werden ständig dem Profitstreben geopfert, nicht nur in den Sweatshops von Asien, Afrika und Lateinamerika, sondern auch in den kapitalistischen Industrienationen. Erst vor einer Woche wurden bei der Explosion einer Düngemittelfabrik in Texas vierzehn Menschen getötet und weitere 200 verletzt. Im April 2010 starben elf Arbeiter bei einer Explosion auf der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko, die zur schwersten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA führte.

Diese Tragödien sind Verbrechen, die ihren Ursprung im Profitsystem haben. Die globalisierte Produktion wäre in der Lage, allen Menschen auf der Welt einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Unter dem Kapitalismus führt sie jedoch nur zu enormen Profiten für einige wenige Reiche und zunehmender Verelendung der arbeitenden Bevölkerung der ganzen Welt.

Die einzige Lösung ist ein gemeinsamer Kampf der internationalen Arbeiterklasse zur Abschaffung dieser veralteten und reaktionären Gesellschaftsordnung und der Errichtung einer rationalen sozialistischen Planwirtschaft, um die drängenden sozialen Bedürfnisse der ganzen Menschheit zu befriedigen.

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