Dresden: Prozess gegen Jugendpfarrer König ausgesetzt

Nach sieben Verhandlungstagen hat das Dresdener Amtsgericht den Prozess gegen Lothar König auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem aus Jena stammenden Jugendpfarrer schweren Landfriedensbruch, versuchte Strafvereitlung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor. Er soll 2011 bei den jährlich am 19. Februar stattfindenden Anti-Nazi-Protesten in Dresden Demonstranten zu Gewalt gegen die Polizei angestachelt zu haben.

Die Aussetzung des Verfahrens erfolgte auf Antrag der Verteidigung. Sie wirft der Polizei vor, eine „Fälscherwerkstatt“ betrieben und Beweismittel unterdrückt zu haben.

Ein vorgeladener Polizeibeamter hatte beiläufig zugegeben, dass die Polizei über 200 Stunden Videomaterial von der Demonstration besitzt und daraus gezielt strafrelevante Szenen herausgefiltert hat. Der offiziellen Prozessakte legte sie dann nur einen Ausschnitt von zwei Stunden bei.

Als die Verteidigung begann, das vorenthaltene Material zu sichten, fand sie bereits nach zwei Stunden Aufzeichnungen, die König entlasten. Nun will sie das gesamte Material selbst anschauen, da auf die Polizei „kein Verlass“ sei. Aufgrund des Umfangs der vorenthaltenen Aufzeichnungen ist dies parallel zur Verhandlung nicht zu leisten. Deshalb stimmte das Gericht der Aussetzung des Verfahrens zu.

Die 200 Stunden zurückgehaltenes Videomaterial sind nur die Spitze eines Eisbergs. Im Prozess gegen König kam es immer wieder zu Falschaussagen und Beweismittelfälschung. Der bisherige Prozessverlauf und seine Vorgeschichte zeigen, dass es sich dabei nicht einfach um Übereifer oder Schlamperei eines sonst ordentlich funktionierenden Rechtsstaats handelt, sondern um eine Art Schauprozess. Zumindest Teilen der sächsischen Behörden geht es darum, jeden Widerstand gegen die jährlichen Neo-Nazi-Märsche in Dresden zu kriminalisieren.

Das Verfahren gegen König ist der Höhepunkt einer breiten Kampagne der Dresdner Staatsanwaltschaft gegen Nazi-Gegner in einem Bundesland, das als Zentrum der rechtsradikalen Szene gilt. Sachsen ist eine Hochburg der rechtsextremen NPD, die seit neun Jahren im sächsischen Landtag sitzt. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), der für mindestens neun rassistische Morde und zahlreiche Banküberfälle verantwortlich gemacht wird, operierte jahrelang unbehelligt aus dem sächsischen Zwickau.

Während der Anti-Nazi-Demonstration, wegen der König angeklagt ist, hatte die Polizei illegal über eine Million Mobilfunkdaten gesammelt und gegen Tausende Nazi-Gegner Strafverfahren eingeleitet. Sondereinsatzkommandos aus Sachsen stürmten teilweise ohne Genehmigung und mit brachialen Mitteln Wohnungen von Verdächtigen und durchsuchten sie. Darunter war auch das Büro von König im thüringischen Jena. Ohne Absprache mit den thüringischen Behörden beschlagnahmten sächsische Polizisten dort Computer, CDs und selbst den VW-Bus, der vor dem Haus geparkt war.

Selbst der Spiegel kommentiertedamals das massive Vorgehen der Polizei und Justiz gegen Anti-Nazi-Demonstranten mit den Worten: „Tatsächlich scheint es, als würden sächsische Behörden und Justiz mit aller Härte Bürger verfolgen, die sich gegen Neonazis stellen, die Rechtsextremisten aber gewähren lassen.“

Jan Hille, ein Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft, verglich derartige Kritik mit Meinungsmache „aus der rechtsextremen Ecke oder von Querulanten“.

Der fast 60-jährige König engagiert sich seit langem auf Demonstrationen gegen Nazis und Rechtsradikale. Wie jedes Jahr begleitete er auch am 19. Februar 2011 mit seinem umgebauten VW-Bus mit Lautsprechern („Lauti“) etwa 20.000 Demonstranten, die sich etwa 3.000 Neonazis entgegen stellten.

Im Verlauf der Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten, bei denen laut Polizeiangaben 118 Polizisten schwer verletzt wurden. In Wirklichkeit wurden jedoch nur acht Polizisten für kurze Zeit dienstunfähig geschrieben; die meisten hatten sich lediglich leicht verletzt, als sie gegen Demonstranten vorgingen.

Die Staatsanwaltschaft wirft König vor, Demonstranten durch angebliche Äußerungen oder seine bloße Anwesenheit zur Gewalt gegen Polizisten angestiftet zu haben. Mit seinem „Lauti“ habe er als „Kommunikationsstelle und Koordinator für gewalttätige Aktionen“ fungiert und „aus seinem Fahrzeug heraus Personen des linken Spektrums zu Gewalttätigkeiten aufgerufen“.

Über Königs Lautsprecherwagen sei gerufen worden: „Deckt die Bullen mit Steinen ein“. Des Weiteren habe König versucht, mit seinem VW-Bus ein Einsatzfahrzeug der Polizei von der Straße zu drängen.

König hat all diese Vorwürfe von Anfang an zurückgewiesen. Zahlreiche Aufnahmen und Zeugenaussagen bescheinigen, dass er auf der Demonstration um Deeskalation bemüht war, obwohl die Polizei immer wieder versuchte, den Protestierenden den Weg zu versperren. Es ist bereits abzusehen dass das neue Videomaterial dieses Bild untermauern und obendrein die offizielle Darstellung von „gewaltbereiten Demonstranten“ und um „Deeskalation bemühte Polizisten“ Lügen strafen wird.

In dem Bemühen, König zu überführen, haben sich Staatsanwaltschaft und Polizei in Falschaussagen und Widersprüche verstrickt und der Verteidigung Beweismaterial vorenthalten. So fand die Verteidigung nur wenige Tage vor Prozessauftakt beim Einblick in die Originalakten eine lose Ansammlung von über 170 Blättern und eine CD mit Videomitschnitten, von der sie bis dahin keinerlei Kenntnisse hatte. Der Prozessbeginn wurde daraufhin kurzfristig verschoben.

Während des Prozess kam es dann mehrmals zu ähnlichen Vorfällen: Die Verteidigung erhielt nur durch Zufall oder durch Zeugenaussagen Kenntnis von ihr bis dahin unbekannten Unterlagen.

Vier Bundespolizisten, deren Aussagen König belasten, hatten rund zwei Monate nach den Ereignissen nahezu gleich lautende Berichte geschrieben. Trotz ihrer unglaubwürdigen Behauptung, sie hätten die Berichte frei und selbstständig verfasst, wurden sie weder unter Eid vernommen noch vor den Konsequenzen einer offensichtlichen Falschaussage gewarnt.

Ein Video der Verteidigung, das vom Dach von Königs Lautsprecherwagen gefilmt wurde, zeigt, wie brutal die Polizei vorging und wie dreist sie im Zeugenstand den Tathergang verfälschte. Es dokumentiert, wie Polizeibeamte mit Schlagstöcken einen Jugendlichen verprügeln, dem König angeblich zur Flucht verholfen haben soll. Wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit sah sich die Staatsanwaltschaft nach zwei Jahren schließlich genötigt, ein Verfahren wegen „Körperverletzung im Amt“ gegen die beiden Beamten einzuleiten.

Deren Vorgesetzter, Mannschaftsführer Alexander E., war im Prozess gegen König im Zeugenstand und konnte sich an keine Schlagstöcke erinnern. Konfrontiert mit dem Video der Straftat lachte er. Auf Nachfragen der Verteidigung reagierte er erst ausweichend und dann barsch: „Seien sie mal ruhig!“. Obwohl er 23 Tage nach den Vorfällen noch zu Protokoll gegeben hatte, es nicht genau zu wissen, beharrte er nun darauf, dass aus dem Lautsprecherwagen von König„definitiv“ der Aufruf gekommen sei: „Deckt die Bullen mit Steinen ein!“

Königs Unschuld ist mit jedem Prozesstag deutlicher und das Verfahren zu einer schlechten Farce geworden. „Legt man die Anklageschrift zugrunde, müssen die Aufnahmen aus einem Paralleluniversum stammen“, kommentierte die taz. „Vor Gericht läuft das dann immer so ab: Der Verteidiger befragt Polizisten, und die sind sich mit ihrer Aussage ganz sicher. Das Video wird gezeigt. Die Polizisten sagen dann: Da ist meine Erinnerung anders.“

Trotz der Beweise zu seinen Gunsten sieht König den Ausgang des Prozesses pessimistisch. Bereits am Anfang hatte er in einem Interview gesagt, „bei diesem Filz“ – gemeint waren die Behörden – werde es in der ersten Instanz zu einer Verurteilung kommen.

Der Vorsitzende Richter Ullrich Stein hat angedeutet, dass nicht nur die konkreten Tatvorwürfe, sondern Königs Verhalten während des gesamten Tages bei der Urteilsfindung ausschlaggebend sein werde. Befürchtungen, dass er König verurteilt, sind nicht unbegründet.

Nur wenige Monate vor Prozessbeginn hatte dasselbe Gericht den nicht vorbestraften Tim H. wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Beleidigung zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Auch in diesem Fall waren weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft in der Lage, konkrete Taten oder auch nur eine allgemeine Tatbeteiligung des Angeklagten nachzuweisen. (siehe: „Dresden: drastisches Urteil gegen Neo-Nazigegner”)

Vier Bürgerrechtsorganisationen – die Humanistische Union, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen – haben das Verfahren gegen König schon zum Auftakt in einer Erklärung als „politischen Prozess“ gebrandmarkt.

Inzwischen haben auch zwanzig Anwälte, die im Münchener NSU-Prozess Angehörige der Mordopfer vertreten, in einer gemeinsamen Presseerklärung ihre Solidarität mit Lothar König bekundet und das Verfahren kritisiert: „Alles was wir über das Verfahren bisher wissen, ist, dass die Anklage auf Unwahrheiten und Unterstellungen seitens Polizei und Staatsanwaltschaft basiert. Deshalb hat es für uns den Anschein, dass Lothar König eigentlich sein antifaschistisches Engagement vorgeworfen wird. … Wir fordern die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen Lothar König.“

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