Mietspekulation verschärft Wohnungsnot

Anfang August meldete die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) einen drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit in Deutschland. Während 2010 etwa 260.000 Menschen wohnungslos waren, schätzt die BAGW die bundesweite Zahl der Wohnungslosen für das Jahr 2012 auf 284.000 (eine Zunahme um fünfzehn Prozent). Bis zum Jahr 2016 erwartet sie eine weitere Zunahme um 33 Prozent auf 380.000 Menschen.

Als wohnungslos gelten nicht nur obdachlos auf der Straße lebende Menschen, sondern auch jene, die entweder bei Verwandten, Bekannten oder in Einrichtungen leben, weil sie keine eigene Wohnung mehr haben. Elf Prozent aller Wohnungslosen sind Kinder und Jugendliche, 140.000 der Betroffenen werden von der frei-gemeinnützigen Wohnungslosenhilfe betreut. Die Straßenobdachlosigkeit selbst nahm laut Schätzung des Verbandes zwischen 2010 und 2012 von 22.000 auf 24.000 Personen zu.

Als Ursachen für den Anstieg nennt der Verband extrem gestiegene Mietpreise, zunehmende Verarmung durch Dauerarbeitslosigkeit, starke Ausdehnung von Niedriglöhnen, mangelnden bezahlbaren Wohnraum sowie sozialpolitische Fehlentscheidungen bei Hartz IV, besonders bei jugendlichen Erwachsenen. Daneben nähmen Kommunen und Landkreise gesetzliche Möglichkeiten zu Verhinderung von Wohnungsnot nicht wahr.

Zusätzlich zu den Wohnungslosen lebten 2012 etwa 130.000 Menschen in „bedrohten Wohnverhältnissen“; ihnen droht der Verlust ihrer Wohnung. Der Verband nennt für dasselbe Jahr 25.000 Zwangsräumungen und zirka 40.000 „kalte“ Wohnungsverluste. Unter letzterem versteht er das Verlassen der Wohnung ohne Räumungsverfahren wegen einer angedrohten Zwangsräumung.

Die entwürdigenden Schikanierungsmethoden, mit denen langjährige Mieter aus ihren Wohnungen vertrieben werden, waren am 12. August Thema eines aufschlussreichen Berichts der ARD-Sendung Report Mainz. Wohnraum ist besonders in Ballungsgebieten zu einem gewinnträchtigen Spekulationsobjekt für Investoren geworden.

Um Schulden abzubauen, haben Kommunen und Länder in den vergangenen Jahren im Großmaßstab jahrzehntealte Sozialwohnungen an Mietspekulanten verkauft. Um den Wert der erworbenen Objekte zu steigern, vergraulen die neuen Besitzer systematisch die alteingesessenen Mieter, die bisher eine günstige Sozialmiete zahlten. Die alten Wohnungen sollen modernisiert und zu Luxuspreisen verkauft oder zu deutlich angezogenen Mieten neu vermietet werden.

Während sich viele Bewohner aus Angst vor unbezahlbaren Mieten eine neue Wohnung suchen, erhalten Unternehmen in ihrem skrupellosen Kampf gegen die ausharrenden Alt-Mieter Rückendeckung von Politik und Justiz.

Report Mainz berichtete exemplarisch über Fälle in Berlin und Hamburg. Altmietern wurden Fenster zugemauert, Hausflure und Kellerzugänge mit Bauschutt verdreckt, Aufzüge herausgerissen oder gar Kamine zugebaut. Daneben wurden sie monatelang unerträglichem Baulärm ausgesetzt.

Ein mit versteckter Kamera gefilmter Firmenvertreter prahlt offen mit seinem Repertoire an perfiden Methoden, mit denen er hartnäckige Fälle aus dem Weg räumt. Im Notfall könne juristischer Druck auf die finanzschwachen Mieter ausgeübt werden, ohne dass sie gegenhalten könnten, nur der „Anschein von Sozialverträglichkeit“ müsse gewahrt bleiben.

Mit dem neuen Mietrecht, das am 1. Mai dieses Jahres verabschiedet wurde, hat die schwarz-gelbe Regierung die Stellung der Vermieter entschieden gestärkt. Sanierungsmaßnahmen können jetzt durchgeführt werden, ohne dass Mieter aufgrund der Lärm- und Schmutzbelästigung eine Mietminderung verlangen können. Nach der Modernisierung dürfen bis zu elf Prozent jährlich auf die Miete umgelegt werden, bei Neuvermietungen gibt es keine Mietpreisbremse. Daneben werden Zwangsräumungen erleichtert. Diese Gesetzesänderung wird von Investoren in großem Stile dazu benutzt, ihre Objekte umgehend in Luxuswohnungen zu verwandeln.

Report Mainz besuchte im Juni die Jahreshauptversammlung des Haus- und Grundbesitzerverbandes, der das neue Mietrecht euphorisch als „unser Gesetz“ bezeichnet und Peter Ramsauer (CSU), den Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, als Gastredner einlud. Dieser machte keinen Hehl daraus, dass die Regierung auf Seiten der Immobilienbesitzer steht.

Der Bericht entlarvte auch die zynische Rolle der Linkspartei, die sich als Anwältin der Mieter ausgibt, während sie den Verkauf kommunaler Wohnungen an Spekulanten unterstützt. Das Reporterteam besuchte eine von aufgebrachten Mietern organisierte Veranstaltung in Berlin, auf der Gregor Gysi (Die Linke) versuchte, den Wohnungsverkauf unter dem rot-roten Senat im Jahr 2004 zu rechtfertigen.

Die Reportage befasste sich auch mit der Rolle von Regine Paschke, Richterin am Berliner Landgericht. Der Berliner Tagesspiegel hatte bereits im März dieses Jahres berichtet, Frau Paschke schreibe für eine Grundeigentümerzeitschrift und gebe Vermietern Seminare, die „sehr gut bezahlt“ würden. Das Fernsehteam begleitete dann eine Gruppe von Mietern, die vor einem Berliner Amtsgericht gegen Schikanen ihrer Vermieter klagten und in allen Punkten Recht bekamen. Richterin Paschke hob diese Urteile dann in zweiter Instanz wieder auf.

Im Bundestagswahlkampf versuchen einige Parteien aus der Wohnungsnot Kapital zu schlagen, ohne ernsthaft etwas dagegen zu unternehmen.

Während die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP das am 1. Mai verabschiedete neue Mietrecht gemeinsam mit der Immobilienlobby als großen Erfolg feiern, weichen die Vorschläge der SPD nur marginal davon ab. Die Sozialdemokraten wollen die maximale Erhöhung von 15 Prozent in bestehenden Mietverträgen auf vier statt bisher drei Jahre ausdehnen. Außerdem soll die Miete in neuen Verträgen nicht mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Alle Erfahrungen zeigen, dass die SPD selbst diese bescheidene Forderung wieder fallen lässt, sobald die Wahllokale geschlossen sind.

Die Grünen, die Partei der Spitzenverdiener in Deutschland, wollen das Problem „gemeinsam lösen“, das heißt im Interesse der wohlhabenden Schichten und unter deren Regie. Die Erleichterung von Modernisierungen, die den Investoren als Vorwand für gewaltige Mieterhöhungen dienen, wird von den Grünen vorbehaltlos unterstützt und soll ausgebaut werden.

Die Linkspartei spielt sich heuchlerisch als Anwalt der kleinen Leute auf. Mit hohlen Phrasen gaukelt sie vor, man könne die herrschende Klasse dazu bewegen, Gesetze im Interesse finanzschwacher Mieter zu erlassen. Sie beweist damit ihre Diensteifrigkeit den Herrschenden gegenüber. Niemand sollte sich von diesen Lügen blenden lassen – diese Partei der Ex-Stalinisten und Gewerkschaftsbürokraten hat, sobald sie Regierungsmacht übernahm, stets unmissverständlich bewiesen, auf wessen Seite sie steht. In Berlin, Dresden und zahlreichen anderen Kommunal- und Landesregierungen hat sie dafür gesorgt, dass öffentliche Wohnungen privatisiert wurden.

Loading