Wohnungsnot und Luxussanierung in Frankfurt

In den alten Frankfurter Arbeitervierteln geht die Angst vor Vertreibung um. Im Gallusviertel und im Ostend schreitet die private Luxussanierung voran, während der soziale Wohnungsbau auf der Strecke bleibt.

Sämtliche Parteien im Römer unterstützen den Kurs des Planungsdezernenten Olaf Cunitz (Die Grünen), auch wenn sie im Wahlkampf pro forma gegeneinander auftreten. Die Stadt wird von einer CDU-Grünen Koalition regiert; Oberbürgermeister ist der Sozialdemokrat Peter Feldmann.

Im Gallusviertel hat Planungsdezernent Cunitz fünf große Flächen, die seit Jahren brach lagen, an private Investoren und Baufirmen vergeben. Rund 2.100 neue Wohnungen und Appartements entstehen hier. Der größte Teil der Menschen, die derzeit in Frankfurt händeringend eine Wohnung suchen, wird sich die teuren Wohnungen allerdings nicht leisten können.

Es ist abzusehen, dass sich in der Umgebung der „hochwertigen“ neuen Immobilien ein enormer Druck auf die Mieten im Wohnungsbestand ergeben wird. Diese Entwicklung wird noch verstärkt durch den Bau des Europaviertels, eines gigantischen Neubauviertels, das direkt an das Gallus angrenzt.

Während ein großer Teil der Neubauten aus Eigentumswohnungen bestehen wird, gibt es keine neuen Sozialwohnungen. Für den dringend benötigten sozialen Wohnungsbau wurde keine der Flächen erschlossen. Auch im Europaviertel wurde der ganze Boden an private, profitorientierte Immobiliengruppen vergeben.

Selbst die Areale, auf denen die stadteigene Wohnbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding baut, sind nicht für den sozialen Wohnungsbau bestimmt. Die ABG Frankfurt Holding GmbH, die alle früheren, teilweise genossenschaftlich organisierten Frankfurter Wohnbaugesellschaften (Hellerhof, ABG, Frankfurter Aufbau, Mibau) geschluckt hat, orientiert sich wie die Privaten stark am obersten Marktsegment und baut streng nach Profitkriterien.

Die Lage am Wohnungsmarkt wird für die weniger Begüterten immer prekärer. Auch im Ostendviertel, wo die neuen Türme der Europäischen Zentralbank in den Himmel ragen, sind die Mieten schon erheblich teurer geworden. Bei Neuvermietungen schon bestehender Wohnungen wird, selbst wenn sie nicht saniert werden, im Durchschnitt generell eine um dreißig Prozent höhere Miete verlangt.

Diese Mieterhöhungen sind für Rentner und Menschen mit geringem Einkommen unbezahlbar, denn gleichzeitig wird ja das Leben in der Stadt ständig teurer. Die schwarz-grüne Stadtregierung (Magistrat) verwirklicht seit Februar ein historisches Sparpaket. Die Gebühren für Kitas, Karten für Freibäder, Parks, Palmengarten und Stadttheater bis hin zu den Parkgebühren steigen im Preis, während die Finanzierung von Bildungsmaterialien in Schulen und Kindergärten und die sozialen Dienstleistungen gekürzt werden.

Auch die Obdachlosigkeit steigt. In Frankfurt leben 2.450 registrierte Personen ohne feste Wohnung, wobei die Plätze für Obdachlose maximal für 1.450 Menschen ausreichen. Über neunzig Prozent der Räumungsklagen erfolgen wegen Mietschulden. Gleichzeitig stehen in der Stadt über zwei Millionen Quadratmeter Büroraum leer.

Die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen ist von 2002 bis 2012 von 160.000 auf 120.000 Einheiten gesunken, während die Zahl der Eigentumswohnungen ständig steigt. Jährlich fallen zusätzliche 2.600 Wohnungen aus der Sozialbindung. In ganz Deutschland ist die Zahl der Sozialwohnungen von sechs Millionen auf 1,6 Millionen gesunken.

Besonders betroffen sind Familien mit Migrationshintergrund, von denen in Hessen zehn Prozent mit weniger als 1.300 Euro monatlich auskommen müssen. Die Eurokrise treibt zahlreiche Menschen aus Süd- und Osteuropa, z.B. Spanien, Griechenland, Polen, Rumänien oder Bulgarien, in das Rhein-Main-Gebiet, weil sie hoffen, hier ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu finden.

Planungsdezernent Olaf Cunitz verteidigte sein Konzept in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Er sagte, im Vergleich mit den Mieten in den am meisten angesagten Reichenvierteln sei ein Mietpreis von etwa dreizehn Euro pro Quadratmeter im Gallusviertel „zwar hoch, aber kein Luxus“. Gerade weil dies ein Stadtteil „mit sozialen Problemen“ sei, habe er dieses Stadterneuerungsprogramm gestartet, so Cunitz.

Eine Anhebung des durchschnittlichen Mietpreises auf das von Cunitz angesprochene Niveau von dreizehn Euro pro Quadratmeter wäre für das Gallusviertel eine echte Katastrophe. Hier leben bisher zahlreiche Rentner, junge Arbeiterfamilien, Arbeitslose, Studenten, Jugendliche und Migranten, die dadurch vertrieben würden.

Auch Cunitz’ Botschaft an die Studenten bringt seinen Zynismus zum Ausdruck. Zum Semesterbeginn sind tausende Studenten auf Wohnungssuche. Im Asta-Gebäude müssen erneut, wie schon in den letzten Jahren, Notlager eingerichtet werden. Nach Zahlen des Asta Frankfurt bietet das Studentenwerk bei einer Studentenzahl von 60.000 nur 1.850 Wohnheimplätze, d.h. nicht einmal für drei Prozent; zählt man die kirchlichen Heime hinzu, gibt es Plätze für maximal sieben Prozent der Studierenden. Der Bundesdurchschnitt liegt bei elf Prozent.

Das Land Hessen hat aufgehört, Studentenwohnheime zu fördern, und vergibt nur noch verbilligte Darlehen an die Studentenwerke. Auch in Darmstadt, Marburg, Gießen und allen Universitätsstandorten wird die Lage immer schlimmer.

In dieser Situation hat Cunitz versprochen, die Stadt sorge dafür, dass im Gallusviertel „mehrere hundert hochwertige Studentenappartements“ entstehen, mit Tiefgaragenplatz, Dachterrasse, Sportraum und Concierge am Eingang, – für mindestens fünfhundert Euro im Monat. Das muss für die große Mehrheit der Studenten wie blanker Hohn klingen. Andere „Full-Service-Appartements“, die im Gallus entstehen, könnten als Eigentum oder Kapitalanlage erworben werden.

Es ist völlig klar, dass das Wohnbauprogramm, das hier verfolgt wird, eine ganz bestimmte Bevölkerungsschicht anziehen soll, während der große Teil der arbeitenden Bevölkerung außen vor bleibt.

Als in den 1980er Jahren viele Frankfurter Fabriken geschlossen wurden, begannen Frankfurter Stadtviertel wie das Gallus zu verfallen. So machten damals die Adlerwerke, Messer-Griesheim, VDM, VDO und andere Werke dicht. Heute versteht die Stadt unter „Aufwertung von Wohnraum“ in erster Linie das Anziehen reicher Schichten und die Verdrängung der Armen.

Die Misere ist nicht auf Frankfurt am Main begrenzt. In Hessen klafft die soziale Polarisierung immer stärker auseinander: Während die Zahl der Einkommensmillionäre auf 1.400 gestiegen ist, müssen über 400.000 Menschen von Hartz IV leben.

Die rechte Politik der Grünen ist Ausdruck ihrer sozialen Basis. Sie sind seit langem zur Partei der wohlhabenden Mittelschichten geworden, für die schnieke „hochwertige“ Studentenappartements ab 500 Euro im Monat „teuer, aber kein Luxus sind“. Ihre Koalition im Frankfurter Stadtparlament mit der CDU ist kein Zufall. So hatten sie schon die Polizeiübergriffe auf Blockupy-Demonstrationen mitgetragen und gezeigt, auf welcher Seite sie stehen.

Doch auch die Partei Die Linke ist keine Alternative, sondern stimmt mit dem Kurs des Grünen Baudezernenten überein. Die Linke ist Teil der gemeinsamen Front aller im Landtag vertretenen Parteien gegen die arbeitende Bevölkerung. Genauso wie alle andern hat auch sie keine Antwort auf die Wohnungsmisere. Das zeigte sich auf einer Podiumsdiskussion am 20. August, als Vertreter aller Landtagsparteien zur Wohnungsfrage Stellung nahmen.

Ulrich Wilken, Abgeordneter der Linken im hessischen Landtag, schloss sich den vom Vertreter des Mieterbundes erhobenen und von CDU, SPD, und Grünen unterstützten marktwirtschaftlichen Konzepten an. Fast wortgleich mit den anderen Parteienvertretern erklärte Wilken: „Bezahlbarer Wohnraum wird nur gebaut, wenn er steuerlich begünstigt wird.“ Es müsse finanzielle Anreize auch für private Bauherren geben, damit Mietwohnungen gebaut würden, „auch wenn es uns lieber wäre, Genossenschaften zu fördern“.

Von einer sozialistischen Perspektive ist Die Linke so weit entfernt wie CDU, Grüne oder SPD. In der Praxis unterstützt und organisiert Die Linke sogar den Verkauf kommunaler Wohnungen an Spekulanten, wie in großem Stil in Dresden und Berlin geschehen.

Im Gegensatz dazu besteht die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) darauf, dass eine anständige, bezahlbare Wohnung ein soziales Grundrecht ist. Mit dem Bau von Wohnungen darf kein Profit gemacht werden. Die großen Bau- und Immobilienkonzerne müssen entschädigungslos enteignet und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter und der Mieter gestellt werden. Es müssen Milliarden in den Bau von guten, preiswerten Wohnungen gesteckt werden. Das Geld dafür muss durch eine entsprechende Besteuerung der Reichen aufgebracht werden.

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