Ägypten:

Tausende demonstrieren gegen Verbot der Muslimbruderschaft

In Ägypten gingen am Freitag Tausende gegen die Militärherrschaft auf die Straße. Demonstrationen fanden in Kairo, Port Said, Assiut, Alexandria, Mansura und anderen Städten statt.

Die Demonstranten hielten Transparente, skandierten Parolen gegen die Militärjunta von General Abdel Fatah al-Sisi und protestierten gegen den Militärputsch vom 3. Juli, als der ehemalige islamistische Präsident Mohamed Mursi und die islamistische Muslimbruderschaft (MB) gestürzt wurden.

Zu den Protesten aufgerufen hatte das Nationale Bündnis zur Unterstützung der Legitimität, eine Koalition von islamistischen Parteien unter Führung der Muslimbrüder. Die Proteste waren zwar eindeutig von Mursi-Anhängern dominiert, aber auch Jugendliche und Studenten, die keine Anhänger der Bruderschaft sind, beteiligten sich daran, weil sie eine neue Militärdiktatur ablehnen.

In Ägypten begann letzte Woche das neue Schuljahr, und an mehreren Universitäten und Schulen kam es zu Protesten gegen die Junta. Im ganzen Land wurde eine unbekannte Anzahl von Studenten verhaftet. Die Junta bedient sich der gleichen Terrortaktik wie die Mubarak-Diktatur. Sie hat den Sicherheitskräften an den Universitäten Anfang des Monats die Vollmacht übertragen, Studenten zu verhaften.

In der Stadt El-Menufia im Nildelta wurde laut der staatlichen Tageszeitung Al-Ahram die siebzehnjährige Schülerin Sarah Adel Ibrahim den Behörden übergeben, nachdem sie „Nieder mit der Militärherrschaft“ an die Mauern einer Schule geschrieben hatte.

Unter Berufung auf eine Quelle aus dem Sicherheitsapparat berichteten die Medien, in der Küstenstadt Marsa Matruh seien zwei Schüler festgenommen worden, weil sie Flugblätter verteilt hätten, auf denen Militär und Polizei als Mörder bezeichnet wurden.

In mindestens zwei Städten wurden die Demonstranten am Freitag von Schlägern angegriffen, die auf der Seite des Militärs und der Sicherheitskräfte stehen. In Mansura im Nildelta schossen Sicherheitskräfte mit Tränengas auf einen Trauerzug. Zu Grabe getragen wurde Safwat Khalil, ein bekanntes Mitglied der Muslimbrüder, das vor kurzem in Polizeigewahrsam gestorben war. Als die Trauernden in die Suezkanal-Straße einbogen, erhoben sie laute Proteste und forderten den Sturz des Putschistenführers al-Sisi und die Wiedereinsetzung von Mursi. Die Polizei nahm mindestens fünf Demonstranten fest.

Auch aus dem Stadtteil Al-Asafra im Osten von Alexandria, wo hunderte von Demonstranten Parolen gegen das Militär riefen, wurden Zusammenstöße gemeldet. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menschenmassen auseinanderzutreiben.

Die Proteste sind eine Reaktion auf das Verbot der Muslimbruderschaft und ihres NGOs am Montag durch ein ägyptisches Gericht. Die Entscheidung hat die größte islamistische Gruppe in Ägypten ihres Rechtsstatus beraubt. Das Verbot des vorsitzenden Richters am Kairoer Sondergericht, Mohamed al-Sayed, bezieht sich auf „die Organisation der Muslimbruderschaft und ihre nichtstaatlichen Organisationen sowie alle Aktivitäten, an denen sie teilnimmt, und alle Organisationen, die aus ihr hervorgehen“.

Al-Sayed erklärte außerdem, die Übergangsregierung werde ein unabhängiges Komitee einsetzen, um die Geldmittel der Bruderschaft zu verwalten, bis ein endgültiges Urteil gefällt werde. Wie aus der Bruderschaft verlautete, will sie innerhalb von zehn Tagen Berufung einlegen.

Obwohl die Regierung, die die Unterstützung des ägyptischen Militärs genießt, versprochen hat, sie werde die MB nicht auflösen, bis nicht alle Prozesse gegen ihre verhafteten Mitglieder ausgeräumt sind, nutzt sie das Urteil, um ihr Vorgehen gegen die MB zu verschärfen. Am Dienstagabend stürmte die Polizei das Hauptquartier der Zeitung der Muslimbrüder Freiheit und Gerechtigkeit und schloss es. Bereits letzte Woche haben ägyptische Staatsanwälte im Rahmen von kriminalistischen Ermittlungen gegen die MB die Gelder führender Muslimbrüder und anderer bekannter Islamisten eingefroren.

Seit dem Putsch am 3. Juli sind schon nahezu alle Führungsmitglieder der Muslimbrüder verhaftet und eingesperrt worden, darunter der oberste Führer Mohamed Badie, sein Stellvertreter, der Multimillionär und Financier der MB, Kheirat al-Shater, und Mursi selbst. Allen drohen Anklagen, auf denen die Todesstrafe steht. Die Junta hat seit ihrer Machtergreifung Massenmorde und Verhaftungen von tausenden von Demonstranten und Muslimbrüdern organisiert.

Durch ein Verbot der Muslimbrüder würde der Status der Gruppe sogar noch tiefer sinken, als er unter der Mubarak-Diktatur war. Damals war sie zwar offiziell verboten, wurde jedoch als Mittel eingesetzt, um die Opposition gegen das Regime unter Kontrolle zu halten. Das gutbetuchte liberale und pseudolinke Milieu in Ägypten, das die neue soziale Basis der Militärherrschaft darstellt, begrüßt das Verbot enthusiastisch.

Die meisten der liberalen und pseudolinken Gruppen, die zuerst dabei geholfen hatten, die Massenproteste der Arbeiterklasse gegen Mursi und die Muslimbrüder vor dem Putsch am 3. Juli vor den Karren des Militärs zu spannen, sind heute aggressive Befürworter des Polizeistaats, mit dessen Hilfe Al-Sisi in erster Linie die Arbeiterklasse, die wichtigste Kraft der ägyptischen Revolution, niederhalten will.

Eingeleitet hat den Prozess gegen die Muslimbrüder die National-Progressive Unionistische Sammlungspartei (Tagammu), die offizielle, staatlich sanktionierte „linke“ Oppositionspartei unter der Mubarak-Diktatur. Laut einem Bericht des Egypt Independent erklärte der Generalsekretär von Tagammu, der ehemalige Stalinist Refaat al-Saeed, das Urteil sei „die Krönung der 35 Jahre andauernden Versuche der Partei, politische Aktivitäten auf religiöser Grundlage zu verbieten“. Die gleiche Argumentationslinie vertreten auch Myriaden von liberalen und „linken“ Organisationen. Ahmed Bahaa Eddin Shaaban, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Ägyptens, die eng mit der deutschen Linkspartei verbündet ist, bezeichnete das Urteil als „historisch“ und zeitgemäß.

Marget Azer, Generalsekretär der Partei der Freien Ägypter, die im April 2011 der Multimilliardär Naguib Sawiris gegründet hatte und bis heute finanziert, erklärte, das Urteil bedeute das Ende der Muslimbrüder und aller terroristischen Organisationen.

Der Vizechef der Partei der Demokratischen Front, Hamdi al-Fakharany, forderte dazu auf, die Muslimbruderschaft zur Terrororganisation zu erklären, da sie den öffentlichen Frieden in Ägypten störe und Chaos und Terrorismus verbreiten wolle: „Das Urteil zum Verbot der Muslimbruderschaft ist der Beginn, der Gruppe weltweit ein Ende zu setzen, nicht nur in Ägypten.“ Die Tatsache, dass die liberalen und pseudolinken bessergestellten Kleinbürger dazu beitragen, die Muslimbrüder de facto zu als vogelfrei zu erklären, zeigt erneut die wachsende Krise der Militärherrschaft in Ägypten. Die Junta und ihre kleinbürgerlichen Anhängsel haben der arbeitenden Bevölkerung nichts anderes als Unterdrückung und Armut anzubieten. Sie fürchten eine neue Explosion der Massen, die sich nicht nur gegen die Islamisten richten würde, sondern auch gegen das Militär und seine liberalen und pseudolinken Unterstützer.

Als der ägyptische Übergangs-Premierminister Hasem el-Beblawi das leere Versprechen abgab, im nächsten Jahr den Mindestlohn von 700 ägyptischen Pfund (65 Euro) auf 1200 (110 Euro) anzuheben, meldete sich der neue Präsident des Ägyptischen Bunds Unabhängiger Gewerkschaften (EFITU), Malek Bayumi, besorgt zu Wort. Die EFITU arbeitet eng mit der Junta zusammen, um Streiks und Proteste zu unterdrücken, und fürchtet den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse.

Bayumi erklärte: „Ich warne die Regierung (...). Sie muss auf die Arbeiter achtgeben, andernfalls wird es eine dritte Revolution geben: in den Fabriken, in der Regierung, überall.“

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