Spannungen über Regierungsbildung

Vor dem Beginn der offiziellen Sondierungsgespräche zur Bildung einer neuen Regierung werden scharfe Spannungen innerhalb der herrschenden Klasse sichtbar. Am Freitag treffen sich die Unionsparteien CDU und CSU mit führenden Vertretern der SPD. Ende der nächsten Woche sollen dann Gespräche mit den Grünen folgen.

Eine schnelle Einigung auf eine neue Regierung ist nicht in Sicht. Die ddeutsche Zeitung schrieb am Mittwoch von einer „vertrackten Dreiecksgeschichte“, die vom wachsenden Misstrauen zwischen den Parteien geprägt sei. Die Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles, hatte bereits Anfang der Woche angedeutet, dass sich die Regierungsbildung „im Zweifel“ bis Dezember oder Januar hinziehen könne.

Die Konflikte und Spannungen über die Bildung einer neuen Regierung bestehen nicht nur zwischen den Parteien, sondern ziehen sich auch durch diese hindurch. In allen Parteien gibt es führende Stimmen, die sich für eine schwarz-grüne oder eine Große Koalition aussprechen und die jeweils andere Variante ablehnen.

Während die Medien die Spannungen vor allem als Streitereien um Posten und mögliche Weichenstellungen für zukünftige Wahlen werten, stehen dahinter politische Fragen.

Ziel der herrschenden Klasse ist es, eine Regierung zu installieren, die stabil genug ist, unpopuläre Maßnahmen gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen. Heftige soziale Angriffe wie in Südeuropa und eine aggressivere Außenpolitik Deutschlands stehen dabei im Mittelpunkt.

Nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Angela Merkel bislang vor allem in Südeuropa auf einen massiven sozialen Kahlschlag gedrängt hat, fordern die Finanz- und Wirtschaftseliten nun die gleichen Angriffe in Deutschland selbst.

Die jüngste Ausgabe der britischen Wochenzeitung The Economist mahnt, dass „Deutschlands letzte Reformrunde zehn Jahre zurückliegt“, und fordert: „Es muss mehr tun, um den Arbeitsmarkt zu deregulieren, um die Wettbewerbsfähigkeit im Dienstleistungs- und Energiebereich anzukurbeln und Investitionen in die Infrastruktur zu erhöhen.“

Auch in außenpolitischen Fragen soll eine neue Regierung die Interessen des deutschen Imperialismus viel aggressiver durchsetzen. Bereits im Wahlkampf betätigten sich die Medien als Scharfmacher für einen US-Militärschlag gegen Syrien unter deutscher Beteiligung und machten damit deutlich, was die herrschende Klasse von der nächsten Bundesregierung erwartet.

Kurz nach den Wahlen veröffentlichte die regierungsnahe Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ein außenpolitisches Papier, das auf eine aktivere Außenpolitik drängt. Unter dem Titel „Und sie bewegen sich doch“ schreibt Almut Möller, dass Deutschland „zu mehr Veränderungen in der Außenpolitik bereit ist, als oft gedacht“. Sie kritisiert „die deutsche Zurückhaltung, sich auf militärische Optionen einzulassen,“ die Deutschland „zum unberechenbaren Partner“ mache. Als Beispiele nennt sie Libyen, Mali und Syrien.

Möller wirft der scheidenden schwarz-gelbe Regierung vor, sie betreibe nicht ausreichend militaristische Propaganda. Sie habe es „bei allem Verständnis für die deutsche Geschichte und die Befindlichkeiten vieler Deutschen“ versäumt, die „Reform der Bundeswehr als Anknüpfungspunkt für eine breitere Debatte über die deutsche Rolle in der europäischen und internationalen Sicherheitspolitik“ zu nutzen, die einem „notwendigen Einstellungswandel in der deutschen Bevölkerung“ den Weg bereiten könnte.

Möller hofft, dass die neue Regierung unter Merkel unter „Beimischung“ von „ein wenig rot oder grün“ in den „kommenden Monaten in der Euro- und Sicherheitspolitik neue Akzente setzt“.

Sowohl die Grünen wie die SPD haben bewiesen, dass sie solche „Akzente“ setzen können. In der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder haben sie Krieg und Sozialabbau nicht nur propagiert, sondern mit der Unterstützung des Kosovo-Kriegs und der Verabschiedung der Hartz-Gesetze auch praktiziert.

Bereits im Wahlkampf haben SPD und Grüne Bundeskanzlerin Merkel regelmäßig wegen ihrer Zurückhaltung kritisiert. Nach den Wahlen haben alle Parteien – von der CSU bis zur Linkspartei – die politische Achse weiter nach rechts verschoben und ihre Bereitschaft signalisiert, die sozialen Angriffe auf die Arbeiterklasse und eine militaristische Außenpolitik im Interesse der deutschen Wirtschaft zu forcieren.

Die Grünen reagieren auf ihr schlechtes Wahlergebnis, indem sie alle sozialen Phrasen fallen lassen und eine stärkere Orientierung auf die Wirtschaft fordern. Den Grund für ihre Stimmenverluste sehen sie darin, dass ihr Wahlkampf zu „links“ war.

Den schärfsten Rechtsruck gibt es in der Linkspartei. Bereits ihr Wahlkampf war ganz auf eine Koalition mit der SPD und den Grünen ausgerichtet. Nun versichert sie der SPD und den Grünen unentwegt, dass sie bereit ist, ihre Politik mitzutragen.

Hatte sie sich im Wahlkampf noch bemüht, ihre Unterstützung für den deutschen Militarismus zu verschleiern, fordern führende Linksparteipolitiker wie Gregor Gysi und Paul Schäfer nun in einer Broschüre unter dem Titel „Linke Außenpolitik: Reformperspektiven“ eine offene Diskussion über „humanitäre“ Militäreinsätze.

SPD und Grüne schließen eine mögliche rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene trotz aller Offerten der Linkspartei bislang dennoch aus. Der Grund dafür sind weniger politische Differenzen, als taktische Überlegungen. Bei dem Ausmaß der geplanten Angriffe sind weite Teile der herrschende Klasse der Meinung, dass die Linkspartei gerade als „loyale Opposition“ eine entscheidende Rolle spielen muss.

Auch bei den Sondierungsgesprächen und anschließenden Koalitionsverhandlungen wird es um die Frage gehen, wie die herrschende Klasse ihr Programm von Sozialabbau und Krieg gegen den wachsenden Widerstand von unten durchsetzen kann.

Teile der Bourgeoisie sind der Meinung, dass eine große Koalition aus CDU/CSU und der SPD dazu am besten geeignet wäre, da sie auf Grund ihrer Übermacht im Bundestag und auch im Bundesrat ein solches Programm ohne jede parlamentarische Debatte durchsetzen könnte. Die Grünen und die Linke wären unter einer großen Koalition als Oppositionsparteien noch nicht einmal in der Lage, wichtige Minderheitenrechte im Parlament, wie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, wahrzunehmen, da sie über zu wenig Abgeordnete verfügen.

Andere betrachten eine große Koalition, die noch größer wäre als die vor acht Jahren, als Risiko. Sie fürchten, dass Linkspartei und Grüne nicht in der Lage sind, den Widerstand gegen eine solche „XXL-Koaliton“ zu kanalisieren, und dass die Regierung bei den ersten sozialen Protesten schnell auseinanderbrechen könnte.

Am deutlichsten sprach dies der Landeschef der baden-württembergischen CDU Thomas Strobl aus, der für eine Koalition mit den Grünen eintritt. „Eine große Koalition ist ein riesiger Elefant,“ sagte er der Berliner Zeitung und warnte: „Es gibt Demokratiedefizite wegen der geschrumpften Opposition, und in CDU wie SPD werden sich Zentrifugalkräfte entwickeln.“

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