Grünenparteitag: Neue Führung betont Nähe zur CDU und zur Wirtschaft

Nach ihrem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl haben sich die Grünen auf einem Parteitag am Wochenende personell neu aufgestellt. Die Umweltpartei, die im Sommer in den Umfragen noch bei 15 Prozent lag, hatte nur 8,4 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten.

Nun hat sich die Generation, die seit der rot-grünen Bundesregierung in der Partei den Ton angab, aus der ersten Reihe der Führung zurückgezogen. An die Stelle der Alt-68er sind Leute aus der zweiten Reihe getreten, die sich keiner Ideologie verpflichtet fühlen. Sie werden meist als „Pragmatiker“ bezeichnet, weil sie noch wendiger als ihre Vorgänger sind, wenn es darum geht, politische Standpunkte zu verändern oder einen Weg nach oben zu finden.

Wie bei grünen Parteitagen üblich, mussten auch diesmal wieder bestimmte Rituale eingehalten werden. Neben der doppelten Besetzung jeder Führungsposition durch eine Frau und einen Mann musste auch der Flügelproporz zwischen den Realos und den „Linken“ eingehalten werden. Dabei haben diese Etiketten längst jede inhaltliche Bedeutung verloren.

Der bisherige führende Vertreter der „Linken“, der Fraktionsvorsitzende Jürge Trittin, hatte als Bundesumweltminister sieben Jahre lang sämtliche Beschlüsse der rot-grünen Koalition zu den Hartz-Gesetzen, der Agenda 2010 und den Bundeswehreinsätzen in Jugoslawien und Afghanistan mitverantwortet.

Ihm hat die Partei nun zum Vorwurf gemacht, dass er im Wahlkampf an der Forderung nach minimalen Steuererhöhungen für Besserverdienende und Wohlhabende festhielt, um dringende Bildungsausgaben zu finanzieren. Alles, was auch nur ansatzweise nach sozialem Ausgleich klingt, ist bei den Grünen inzwischen Tabu.

Trittins „linker“ Nachfolger an der Spitze der Fraktion, der Münchener Biologe Dr. Anton Hofreiter, gehört zu jener Gruppe gehobener Kleinbürger, die sich viel Sorgen um eine gesunde, lärm- und schadstofffreie Umwelt für sich und ihre Familie machen und Wert darauf legen, im Bio-Markt um die Ecke einzukaufen, aber gegenüber der wachsenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten vollständig gleichgültig sind. Auf seiner Web Site findet man massenhaft Informationen zum Umwelt- und Verkehrsfragen, aber nicht eine Silbe zu brennenden sozialen Problemen.

An der Parteispitze löste die frühere saarländische Umweltministerin Simone Peter Claudia Roth als Vertreterin des „linken“ Flügels ab. Peter hat sich das Etikett „links“ dadurch verdient, dass sie sich als erste Grüne an einer sogenannten Jamaika-Koalition mit der CDU und der FDP beteiligte!

Für den Realo-Flügel wurden zwei bisherige Führungsmitglieder bestätigt. Cem Özdemir blieb Parteivorsitzender. Ihn unterstützten allerdings nur noch 71 Prozent der 800 Delegierten im Berliner Velodrom. Vor zwei Jahren waren es noch 83 Prozent gewesen. An der Fraktionsspitze wurde Renate Künast durch Katrin Göring-Eckardt, neben Trittin Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf, abgelöst.

Mit der Absage an alles, was als links oder sozial missverstanden werden könnte, reihen sich die Grünen in die XXL-Koalition ein, über die gegenwärtig in der Hauptstadt verhandelt wird. Sie garantieren Union und SPD, dass sie als loyale Opposition jede Herausforderung der Regierung von unten abwehren werden und bereit stehen, selbst Regierungsverantwortung zu übernehmen, falls die Große Koalition ins Straucheln gerät.

Die Zeit des „rot-grünen Projekts“, in der für die Grünen ausschließlich eine Koalition mit der SPD in Frage kam, ist endgütig vorbei, nachdem beide Parteien zusammen in der Bundestagswahl nur knapp 35 Prozent der Stimmen erhalten haben. Die Grünen stehen in Zukunft auch als Koalitionspartner für die CDU/CSU bereit – oder für ein Bündnis unter Einbeziehung der Linkspartei, die derzeit einen ähnlichen politischen Häutungsprozess durchmacht wie die Grünen.

Auf dem Parteitag wurde dies immer wieder betont. Mehrere Redner beklagten, dass sich die Grünen zu sehr an die SPD gekettet hätten. Im Leitantrag des Parteivorstandes, der mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde, heißt es: „Andere Koalitionsoptionen müssen grundsätzlich möglich sein. Koalitionspräferenzen kann es auch in Zukunft geben, das Ketten an eine Partei allerdings nicht.“

In diesem Zusammenhang bemühen sich die Grünen gezielt darum, das Erbe der FDP anzutreten, die nicht mehr im Bundestag vertreten ist. Immer wieder betonten Delegierte ihre Nähe zur Wirtschaft, bisher ein Markenzeichen der FDP.

„Wir haben das Band zwischen Ökologie und Ökonomie verloren“, klagte die Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae, die ursprünglich den Fraktionsvorsitz angestrebt hatte. „Es müssen Brücken zur Wirtschaft geschlagen werden.“ Der Leitantrag stellt fest: „Unternehmen sind für uns Partner auf dem Weg der ökologischen Transformation.“

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der sich das Vertrauen der in Stuttgart ansässigen Autokonzerne Daimler, Porsche und Bosch erworben hat, pochte am lautesten auf eine Öffnung gegenüber der CDU. Er spreche über Bundeskanzlerin Angela Merkel voller Bewunderung, meldete der Spiegel, und zitierte ihn mit den Worten: „Die Frau hat ihre Partei wirklich in die Mitte getrieben.“

Die Grünen hatten sich vor dem Parteitag nach zwei langen Sondierungsrunden zwar gegen Koalitionsverhandlungen mit der Union entschieden. Doch der Grund waren nicht inhaltliche Differenzen. Sie brauchen lediglich etwas mehr Zeit, um ihre Mitglieder und Wähler vollständig auf den neuen Kurs einzustimmen.

Im Leitantrag des Parteitags heißt es dazu, die Grünen müssten innerhalb der Partei „Blockaden überwinden“ und ihr Umfeld von einer Zusammenarbeit mit der Union überzeugen, „damit uns wichtige Bündnispartner nicht gerade dann verloren gehen, wenn wir sie zur Erreichung gemeinsamer Ziele am dringendsten brauchen“.

Sollten die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD doch noch scheitern, stehen die Grünen bereit, wie der Parteivorsitzende Özdemir bemerkte. Die Absage an Koalitionsverhandlungen sei nicht endgültig, sagte er. „Die Tür ist offen, die wird auch nicht mehr ohne weiteres zugehen.“

Auch Kretschmann bestätigte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass es „mit Sicherheit“ eine weitere Sondierungsrunde mit der Union geben werde, sollte es nicht zu einer Großen Koalition kommen. „Die Ausschließeritis hat jetzt ein Ende“, sagte er.

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