Griechenland: Zehntausende protestieren gegen die Troika

Die sozialen Konflikte in Griechenland spitzen sich zu. Während EU und IWF zu neuen Verhandlungen nach Athen gereist sind, haben tausende Arbeiter gegen Massenentlassungen, Steuererhöhungen und Sozialkürzungen demonstriert. Ein 24-stündiger Streik legte gestern weite Teile des Landes lahm.

Die beiden großen Gewerkschaftsverbände ADEDY und GSEE hatten zu dem Ausstand aufgerufen. Allein ADEDY sprach von einer Streikbeteiligung von 65 Prozent ihrer Mitglieder, also von fast 200.000 Streikenden.

Schulen, Gerichte und Ämter waren geschlossen. Bahnen und Busse blieben in ihren Depots. Die Flughafenbeschäftigten legten für drei Stunden die Arbeit nieder. Krankenhäuser boten nur eine Notversorgung an. Die Journalisten des Landes weigerten sich, die regulären Nachrichten zu bringen, und berichteten stattdessen ausschließlich über die Streiks und Proteste.

In Athen versammelten sich auf dem Syntagma-Platz trotz Platzregens bis zu 15.000 Arbeiter. Völlig durchnässt harrten sie vor dem Parlament aus und riefen Slogans wie „Keine weiteren Opfer!“ und „Gebt nicht auf!“

ADEDY und GSEE hatten den geplanten Demonstrationszug zum Parlament wegen des Regens kurz vor Beginn abgesagt. Der Gewerkschaftsverband der Kommunistischen Partei (KKE), PAME, führte einen separaten Marsch aber wie geplant durch. Auf dem Syntagma-Platz kamen weitere Arbeiter hinzu. In Thessaloniki demonstrierten ebenfalls tausende Arbeiter gegen die Kürzungspolitik.

Der 24-stündige Generalstreik war der fünfunddreißigste seiner Art seit Ausbruch der Schuldenkrise. Er war seit Wochen angekündigt, streng befristet und mit der Regierung abgesprochen. Die Absage der Demonstration ist symptomatisch für die Versuche der Gewerkschaften, die Proteste zu sabotieren. ADEDY, GSEE und PAME versuchen mit den limitierten Streiks, die wachsende Opposition der Arbeiter unter Kontrolle zu halten. In den letzten Wochen fiel es ihnen zunehmend schwer, die Proteste zu begrenzen.

Bereits am Dienstag hatten Demonstranten das Finanzministerium belagert, in dem Finanzminister Yannis Stournaras erste Verhandlungen mit Vertretern der Troika führte. „Nehmt euer Rettungspaket und haut ab“, rief die aufgebrachte Menge den Inspektoren zu, als diese das Gebäude verließen. Zuvor war schon ein Mann verhaftet worden, weil er den IWF-Vertreter Poul Thomsen beim Betreten des Ministeriums mit Münzen beworfen hatte.

Die Verwaltungsangestellten der wichtigsten Universitäten in Griechenland befinden sich seit zwei Monaten im Streik, um gegen die Entlassungspläne der Regierung zu protestieren. Studenten der Athener Universität solidarisierten sich mit den Arbeitern. Sie blockierten den Eingang des Bildungsministeriums mit einer Mauer aus Büchern.

Die Arbeiter wenden sich gegen die Entlassung von 25.000 öffentlich Beschäftigten in eine sogenannte Mobilitätsreserve. Die Betroffenen haben bei reduzierten Bezügen acht Monate Zeit, eine neue Arbeit zu finden, und werden andernfalls nach Ablauf der Frist auf die Straße gesetzt.

Auch die Ausweitung der Grundsteuer löste in breiten Schichten der Bevölkerung Wut und Empörung aus. Diese trifft in Griechenland auch viele Arbeiter, die oft kleine Häuser oder Wohnungen besitzen. Viele Familien können sich angesichts nackter Armut nur noch durch diesen beschränkten Besitz über Wasser halten. Sie müssen nun die Steuer entrichten, selbst wenn sie über keinerlei Einkommen verfügen.

Schon jetzt steht die griechische Gesellschaft kurz vor dem Kollaps. Die von der EU diktierten Kürzungen der letzten Jahre haben zu einer Arbeitslosigkeit von 27 Prozent geführt. Laut einer neuen OECD-Studie fiel das durchschnittliche Einkommen in Griechenland zwischen 2007 und 2011 um 23 Prozent. Mit 34 Prozent (2007: 59 Prozent) ist die Zahl derjenigen, die mit ihrem Leben zufrieden sind, so niedrig wie in keinem anderen OECD-Land.

Unter diesen Umständen sind Vertreter der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission am Dienstag zurück nach Athen gekommen, um mit der Regierung über weitere Einsparungen zu verhandeln.

Die Troika fordert die sofortige Umsetzung der Massenentlassungen sowie die Privatisierung und Schließung von Staatsbetrieben. Insbesondere das Rüstungs- und Maschinenbauunternehmen EAS soll entweder geschlossen oder massiv geschrumpft werden. Andernfalls droht die Troika, die nächste Tranche an Hilfskrediten über eine Milliarde Euro auszusetzen. Griechenland benötigt das Geld, um fällige Schulden und Zinsen zu zahlen. Es fließt direkt auf die Konten der Gläubiger.

Neben Privatisierungen und Stellenstreichungen will die Troika auch sogenannte Strukturreformen durchsetzen. Der Anteil der Unternehmen an den Sozialversicherungsbeiträgen ihrer Beschäftigten soll um 3,9 Prozentpunkte gesenkt werden. Dies würde zu einem Defizit von bis zu 1,1 Milliarden Euro führen, das durch Leistungskürzungen wieder ausgeglichen werden müsste.

EU und IWF wollen Athen zudem zu weiteren Einsparungen im Haushalt 2014 verpflichten. Die Troika geht von einer Finanzierungslücke von mindestens zwei Milliarden Euro aus, die durch Renten- und Lohnkürzungen gestopft werden soll. Die Regierung rechnet hingegen nur mit 500 Millionen Euro an zusätzlichen Ausgaben.

Premierminister Andonis Samaras (ND) und sein Stellvertreter Evangelos Venizelos (PASOK) haben erklärt, dass sie keine weiteren Renten- und Lohnkürzungen akzeptieren. Ähnliche Statements hat die Regierung noch vor jedem Sparpaket abgegeben. Sie dienen lediglich dazu, den Widerstand der Bevölkerung zu dämpfen.

Der soziale Kahlschlag hat die politische Lage in Griechenland extrem destabilisiert. Der OECD-Studie zufolge vertrauten im Jahr 2011 nur noch 13 Prozent der Bevölkerung ihrer Regierung. 2007 waren es noch 38 Prozent gewesen. Die Regierung geht immer öfter mit diktatorischen Maßnahmen gegen protestierende Arbeiter vor.

Angesichts der enormen Verschärfung der sozialen Konflikte versuchen einige Vertreter der EU, die Wogen zu glätten, ohne freilich auch nur einen Millimeter von dem Kürzungsprogramm abzurücken. Im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments diskutierten die Abgeordneten am Dienstag über die Legitimitätsbasis der Troika. „Wer trifft in der Troika Entscheidungen und auf welcher Grundlage?“ fragte der konservative Österreicher Othmar Karas. Der Ausschuss will bis zum Mai nächsten Jahres einen Untersuchungsbericht über die Arbeit der Troika verfassen.

Unterstützt wird dieser Versuch, die EU-Institutionen zu verteidigen, von diversen pseudolinken Gruppen auf dem ganzen Kontinent. In Griechenland versucht vor allem die größte Oppositionspartei, die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), die EU und die Regierung gegen die Wut der Arbeiter abzudecken.

Während in ganz Griechenland Arbeiter, Schüler und Studenten gegen das Spardiktat der EU kämpfen, reiste der SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras einmal mehr in die Vereinigten Staaten, um dem IWF seine Ergebenheit zu demonstrieren. Auf einem Forum der University of Texas unterstützte Tsipras das Vorgehen des Europäischen Parlaments: Wir begrüßen dieses Vorhaben und werden es unterstützen“, sagte Tsipras. Einen Austritt aus der EU und dem Euro lehnte er strikt ab. Eine SYRIZA-Regierung würde dies in jedem Fall vermeiden, so der SYRIZA-Chef.

SYRIZA hatte sich in den letzten Wochen bereits deutlich hinter die Regierung gestellt. Im angeblichen Kampf gegen die faschistische Partei Chrysi Avgi hatte sie sich an der Staatsaufrüstung beteiligt und Polizei, Armee und die verhasste Regierung als Garanten der Demokratie gefeiert. Die Partei bereitet sich darauf vor, selbst die Regierungsgeschäfte zu übernehmen und die Kürzungen mithilfe der Gewerkschaften und anderer pseudolinker Gruppen gegen die Arbeiter durchzusetzen.

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