Gewerkschaftstag der IG Metall unterstützt Große Koalition

Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall, der am Sonntag und Montag in Frankfurt stattfand, wurde der bisherige zweite Vorsitzende Detlef Wetzel zum Nachfolger des scheidenden Vorsitzenden Bertold Huber gewählt, der bisherige baden-württembergische Bezirksleiter Jürgen Hofmann zum Stellvertreter Wetzels. Die Gewerkschaft machte deutlich, dass sie die Große Koalition uneingeschränkt unterstützt.

Am Montag hoffierte der Gewerkschaftstag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie wurde von den Delegierten im Frankfurter Congress Centrum mit wohlwollendem Applaus begrüßt. Merkel hat, seit sie Kanzlerin ist, jeden IG-Metall-Kongress besucht, im Gegensatz zu CDU-Altkanzler Helmut Kohl, der dies nie tat.

Am Sonntag hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel den rund 500 Delegierten und den zahlreichen Gästen versprochen, er werde in den Koalitionsverhandlungen keinem Punkt zustimmen, mit dem die Gewerkschaften nicht zufrieden seien. Nun scherzte die Kanzlerin, nach Gabriels Worten habe sie gedacht, sie sollte „mehr Zeit mit Ihnen als mit Sigmar Gabriel verbringen“. Die Gewerkschaftsdelegierten lachten.

Merkel versprach ihren Zuhörern eine stärkere Regulierung der Leiharbeit. Wann, wollte sie nicht sagen. Sie weiß genau, dass die IG Metall gemeinsam mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erst kürzlich einen neuen Tarifvertrag mit den Zeitarbeitsunternehmen abgeschlossen und damit die Gleichbehandlung von Leih- und Stammarbeitskräften bis Ende 2016 ausgehebelt hat.

Daher konnte sie auch das Thema „Werkverträge“ anschneiden, wo ein „potenzielles [!] neues Missbrauchsrecht“ auftrete. Die Delegierten applaudierten entzückt. Die IG Metall ist nicht gegen Werkverträge, sie will nur wie bei der Leiharbeit in deren Organisierung einbezogen werden.

Weiterer Applaus brandete auf, als Merkel erklärte, dass es zu einem „flächendeckenden Mindestlohn kommen wird“. Die Gewerkschaften haben die Forderung nach 8,50 Euro pro Stunde aufgestellt, ein Lohn, der einem Vollzeitbeschäftigten einen Bruttolohn unter 1.440 Euro bringt. Netto liegt das für einen Alleinstehenden knapp über der Armutsgrenze, für alle anderen weit darunter. Die Große Koalition hat nun ausgehandelt, dass der „flächendeckende Mindestlohn“ erst 2015 kommt und niedrigere, tariflich vereinbarte Löhne bis 2017 davon ausgenommen bleiben.

„Danke an Berthold Huber“, sagte Merkel zum Schluss. „Er hat sich pragmatisch dafür eingesetzt, in der Wirtschafts- und Finanzkrise Lösungen zu finden“, lobte sie. Damit meinte sie die Reallohnsenkungen, die Kurzarbeit und die Flexibilisierung, die die IGM unter Huber vereinbarte, um die Folgen der Finanzkrise auf die Beschäftigten abzuwälzen. Auch bei den Angriffen auf die Arbeiter in der Europäischen Union stand die IGM wie alle Gewerkschaften an der Seite der Kanzlerin. „Wir brauchen ein gemeinsames, starkes Europa“, sagt Merkel, um zu betonen: „Hier waren die Gewerkschaften immer dabei.”

Sie appellierte an die Nachfolger Hubers, es ihm gleich zu tun: „Lieber Herr Wetzel und Herr Hofmann, ich biete Ihnen an, dass wir diese Zusammenarbeit in diesem pragmatischen und konstruktiven Sinne fortführen.“ Denn: „Ihre Mitglieder haben Erwartungen, aber Sie tragen auch Verantwortung für das Gemeinwesen.“

Dass Wetzel dies ebenso sieht, betonte er in seiner Rede am Montag. Die Gewerkschaften hätten die Funktion eines Seismographen, der Erschütterungen in der Arbeitswelt aufspüre, sagte er. Ruhe und Ordnung, hätte er hinzufügen sollen, ist die oberste Gewerkschaftspflicht. Die auf dem Gewerkschaftstag ständig bemühte „Nähe zur Mitgliedschaft“ und deren „Einbeziehung“ heißt nichts anderes, als dass die IG Metall den Würgegriff um die Belegschaften noch fester ziehen wird.

Der 6. Außerordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall war einberufen worden, weil sich Huber mit seinen 63 Jahren in den hochbezahlten Ruhestand verabschiedet. Gemeinsam mit Wetzel war er 2007 an die Spitze der Gewerkschaft gewählt worden. Die beiden wurden für ihre Rolle in der Finanz- und Wirtschaftskrise von Politik und Wirtschaft in den höchsten Tönen gelobt.

Zu Hubers 60. Geburtstag vor drei Jahren organisierte Merkel eine Feier im Kanzleramt. Nur wenigen, wie etwa dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Josef Ackermann, wurde diese Ehre zuteil. An Hubers Geburtstagstafel saßen damals u.a. Metall-Arbeitgeber-Präsident Martin Kannegiesser, Siemens-Chef Peter Löscher und VW-Chef Martin Winterkorn sowie die Betriebsräte großer Konzerne, wie Klaus Franz von Opel und Uwe Hück von Porsche.

Während Huber in den Konzernetagen und im Kanzleramt ein- und ausging, forcierte Wetzel die Verwandlung der IG Metall in ein nach betriebswirtschaftlichen Kriterien organisiertes Unternehmen. 200 Stellen in der Vorstandsverwaltung wurden gestrichen. In den Verwaltungsstellen führte er die Leistungsorientierung ein. Beispielsweise wächst das Budget mit, wenn mehr Mitglieder gewonnen werden.

Obwohl er keinen Gegenkandidaten hatte, wurde Wetzel nur mit rund 75 Prozent der Stimmen gewählt. Viele Delegierte, fast ausschließlich hauptamtliche Funktionäre und freigestellte Betriebsräte, werden ihm übel genommen haben, dass er ihre Karriereaussichten erheblich getrübt hat.

Dabei hat Wetzel selbst noch die alte „Ochsentour“ an die Gewerkschaftsspitze durchlaufen. Der gelernte Werkzeugmacher und studierte Sozialarbeiter war schon Ende der 1960er Jahre Mitglied der IG Metall und der SPD geworden und langsam in der Gewerkschaftshierarchie emporgestiegen.

Er begann als Jugendvertreter und Vertrauensmann der IG Metall, war später als Bildungsreferent für die Gewerkschaft tätig. Von 1980 bis 1987 war Wetzel dann Gewerkschaftssekretär der IG Metall in Siegen, anschließend wurde er dort Zweiter, 1997 Erster Bevollmächtigter der IG Metall. 2004 bis 2007 war er Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. In diesen Jahren begründete er seinen Ruf als Kampagnen-Manager. Damals startete er die angebliche Modernisierungsoffensive „besser statt billiger“. Zahlreiche Zugeständnisse bei Löhnen und Arbeitsbedingungen sollten Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland verhindern.

Heute ist er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der SMS GmbH sowie Aufsichtsratsmitglied der SMS Demag AG, einem der größten Arbeitgeber im Anlagen- und Maschinenbau, sowie der Thyssen Steel AG. Die Präsidenten der Arbeitgeberverbände, die zu Gast auf dem Gewerkschaftskongress waren, lobten den neuen IGM-Chef. Sie hätten Wetzel „als verlässlichen und guten Gesprächspartner kennengelernt“, sagte etwa Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger.

Dass es mit dem Wechsel von Huber zu Wetzel keinen Kurswechsel bei der IG Metall geben wird, zeigt auch die Wahl von Jörg Hofmann zu Wetzels Stellvertreter. Der bisherige Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Sozialdemokrat und Aufsichtsrat bei Bosch, Daimler und Heidelberg Druck, gilt als „pragmatischer Tarifexperte“. Damit wird seine Rolle umschrieben, wenn er in seinem wichtigen Bezirk, der meist den Pilotabschluss für die gesamte Branche aushandelt, niedrige Lohnerhöhungen und Zugeständnisse bei den Arbeitsbedingungen vereinbart.

Auf die Frage, worum sich die IG Metall in den nächsten Jahren vorrangig kümmern werde, antwortete er: „Den Wandel der Arbeitswelt weiter gestalten, den Arbeitsmarkt neu ordnen. Es braucht eine neue Balance zwischen den Arbeitszeitwünschen der Menschen und den Flexibilitätsansprüchen der Betriebe.“

Hofmann und vor allem Wetzel haben in den letzten Monaten immer wieder die Werkvertragsarbeit kritisiert, auch auf dem Gewerkschaftstag. Wetzel strebt dabei nicht die Abschaffung dieser Form der Niedriglohnarbeit an, bei der die Löhne teils unter 5 Euro liegen. Vielmehr geht es ihm darum, eine geringfügige Erhöhung dieser Löhne zu nutzen, um im IGM-Tarif die Einstiegslöhne drastisch zu senken. Den Unternehmen würde dies insgesamt hohe Einsparungen bringen.

Die untersten Tariflöhne in der Metallindustrie liegen derzeit bei rund 12 bis 14 Euro. Die Unternehmen halten diese Löhne für zu hoch. Sollten künftig Werkvertragsmitarbeiter nach Branchentarifen bezahlt werden, müssten bezahlbare Einstiegstarife her, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Hannes Hesse.

Wetzel stimmt damit grundsätzlich überein. Im Rahmen eines Gesamtkonzepts seien geringere Einstiegstarife denkbar, sagte er kürzlich. Anfang nächstes Jahr werden der Unternehmensverband Gesamtmetall und die IG Metall Grundsatzgespräche beginnen, die eine entsprechende Regelung vorbereiten sollen.

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