EU kündigt symbolische Strafen für Banken an, die bei globalen Zinssatzmanipulationen ertappt wurden

Am Donnerstag kündigte die Europäische Union an, gegen sechs große europäische und amerikanische Banken und Broker eine Strafe von insgesamt 1,7 Milliarden Euro für ihre Manipulation der beiden wichtigsten Referenzzinssätze der internationalen Zinssätze aufzuerlegen. Manipuliert wurden der London Interbank Offered Rate (Libor) und sein europäischer Bruder, der Euro Interbank Offered Rate (Euribor).

Deutsche Bank, Societe Generale, Royal Bank of Scotland, JPMorgan Chase, Citigroup sowie der in Großbritannien ansässige amerikanische Broker RP Martin vereinbarten, diese Strafzahlungen als Teil einer Abmachung mit Vertretern der Europäischen Union zu akzeptieren, die die massiven illegalen Zinsmanipulationen ermittelt haben.

Das Komplott der Großbanken über die Libor-Manipulation wurde erstmals im Sommer 2012 publik, als die britische Barclays-Bank zugegeben hatte, zwischen 2005 und 2009 den Libor manipuliert zu haben. Sie erklärte sich bereit, eine Strafzahlung von insgesamt 453 Millionen Dollar an amerikanische und britische Regulierungsbehörden zu leisten. Damals wurde berichtet, dass bei zwölf bis zwanzig weiteren internationalen Banken Untersuchungen zu Libor-, Euribor- und Tibormanipulationen (der Yen-basierte Tokyo Interbank Offered Rate) veranlasst waren.

Der Schweizer Bankengigant UBS willigte im Dezember 2012 ein, eine Strafsumme von 1,5 Milliarden Dollar zu zahlen, nachdem ihm amerikanische, britische und Schweizer Behörden vorgeworfen hatten, den Libor manipuliert zu haben.

Ein Kommentator der Financial Times, der über den Skandal im Jahr 2012 berichtete, nannte die Manipulation des Libor „das Finanzäquivalent der Kontaminierung von Grundwasser.“

Der tägliche Libor-Zinssatz, der die Durchschnittskosten kurzfristiger Anleihen zwischen den Großbanken abbilden soll, entscheidet über die Zinssätze von Krediten und Investitionen, die hunderte Millionen Menschen weltweit betreffen. Gemäß einigen Schätzungen beeinflusst der Libor Kredite und Derivate im Wert von hunderten Billionen Dollar, darunter Hypotheken- und Kreditkartenzinsen sowie andere Konsumentenkreditzinsen und Finanzgeschäfte wie Kreditausfallversicherungen.

Der Betrug nahm die Form an, dass Banken wissentlich falsche Schätzungen ihrer Anleihekosten im Zwischenbankenverkehr an die Libor-Behörde weiterleiteten, um den aus den Schätzungen der internationalen Großbanken zusammengesetzten Zinssatz entweder höher oder niedriger ausfallen zu lassen, je nach den aktuellen Profitbedürfnissen der Banken. Auf diese Weise spülten die Banken gewaltige Profite in ihre Häuser, indem sie praktisch hunderte Millionen Konsumenten auf der ganzen Welt ausraubten.

Das Wall Street Journal schätzte, dass zusätzliche 0,3-Prozentpunkte beim Libor eine monatliche Zunahme um 100 Dollar bei einer zinsvariablen Hypothek von 500.000 Dollar bedeuten würden. Die Absenkung des Libors hingegen kostet Regierungsstellen und Rentenfonds zahllose Milliarden Dollar bei ihren Obligationen.

Die jüngsten Bußgelder stellen für die Banken nichts anderes dar als einen schmerzlosen Klaps auf die Handflächen. Sie haben solche Strafen schon längst in ihre Bilanzen eingepreist. Einmal mehr entzogen die Bankgiganten sich praktisch unversehrt einer offiziellen Untersuchung. Keiner der Banker, die verantwortlich für den Betrug an Millionen Sparern auf der ganzen Welt sind und dabei Milliarden einsackten, wird verurteilt oder gar ins Gefängnis gesteckt. Im Gegenteil: Ihnen wird erlaubt, ihre kriminellen Praktiken fortzusetzen.

Barclays und USB trafen Vereinbarungen, die ihnen erlaubten, ihre Strafzahlungen um große Teile zu reduzieren. Im Gegenzug verrieten sie andere Banken. Die meisten der Finanzinstitute, die am Donnerstag von der EU in der Vereinbarung genannt wurden, haben im Austausch für ihr Schuldeingeständnis einen zehnprozentigen Strafnachlass erhalten.

Um die Strafzahlungen in ihrem richtigen Zusammenhang würdigen zu können, muss man eine Studie zur Hand nehmen, welche die London School of Economics nächste Woche publizieren wird: Nach Berechnungen dieser Studie waren zehn Großbanken, darunter die Royal Bank of Scotland, Barclays und Lloyds Banking Group, in der Lage, in den fünf Jahren bis 2012 eine Gesamtsumme von 100 Milliarden Pfund mithilfe des Liborbetrugs zur Seite zu schaffen. Eine weitere Studie der MSCI-ESG-Forschungsgruppe rechnet, dass diese Summe sich seitdem um mindestens weitere 30 Milliarden Pfund erhöht habe.

Der tatsächliche Betrag, den die Banken geraubt haben, ist wahrscheinlich viel höher. Die Europäische Kommission, der exekutive Arm der EU, hat sich in ihren eigenen Untersuchungen der Aktivitäten der Banken auf die Auswirkungen der Zinsmanipulationen konzentriert, die für den europäischen Wirtschaftsraum gelten und dabei die Milliarden ignoriert, die von den selben Banken von den übrigen Weltmärkten abgesogen wurden.

Die Royal Bank of Scotland hat auf die Erklärung der Europäischen Kommission vom Donnerstag bereits eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie darüber informiert, dass sie die Strafzahlungen bereits in ihren laufenden Bilanzen berücksichtigt hat.

Ein leitender Analyst der MSCI-ESG-Forschungsgruppe kommentierte die Strafzahlung für die Royal Bank of Scotland folgendermaßen: „Wenn sie die z.B. die RBS nehmen, dann beträgt die Geldstrafe gerade einmal den Gegenwert ihrer Einkünfte von fünf Wochen. Das ist nicht viel.“

Die Deutsche Bank, die mit 725 Millionen Euro die höchste Einzelstrafe auferlegt bekam, hat bereits verkündet, über vier Milliarden Euro zur Seite gelegt zu haben, um die Kosten für die Strafe der Europäischen Kommission zu begleichen sowie jegliche anderen Strafzahlungen, die für ihre Aktivitäten auf den Finanzmärkten anfallen sollten.

Die Einkalkulierung finanzieller Strafen für illegale Aktivitäten ist jetzt gängige Praxis der Großbanken. Am Tag, als die EU-Strafen bekannt gegeben wurden, schrieb das Schweizer Finanz- und Wirtschaftsblatt Neue Zürcher Zeitung: „So verstärken die Grossbanken rund um die Welt Quartal für Quartal ihre Rückstellungen für Rechtsrisiken.“

Die jüngsten Enthüllungen krimineller Praktiken der Großbanken provozierten Medienkommentatoren und Politiker zu Äußerungen, in denen Sie sich schockiert und besorgt gaben. Marc Beise schrieb am Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung, dass der Vorsitzende der neoliberalen FDP erklärt habe, kein Kapitalist zu sein. Beise beklagte weiter, dass Zocker auf den Finanzmärkten „auf dem besten Wege“ seien „Totengräber“ des kapitalistischen Systems zu werden.

Finanzanalyst Wolfgang Münchau schrieb im Spiegel: „Es gab schon immer Kriminalität in der Wirtschaft. Wenn aber Kriminalität derartige Proportionen annimmt, dann stellt man sich die Frage, ob es sich hier um lauter Einzeltäter in einer Organisation handelt oder ob die Organisation an sich kriminell ist.“

Münchau warf den Bankern vor, nicht erkannt zu haben, wie verhasst sie in der breiten Bevölkerung seien und erklärte, was bislang ans Tageslicht gekommen ist, sei „nur ein kleiner Teil der miesen Tricks der Finanzbranche.“

Bürgerliche Kommentatoren wie Beise und Münchau sind aufrichtig darüber beunruhigt, dass die himmelschreiende Kriminalität, die durch diese jüngste Abmachung aufgedeckt wurde, das Potenzial hat, eine Massenbewegung zu entzünden, die sich nicht allein gegen die Banken, sondern gegen das gesamte kapitalistische System wenden könnte.

Deutsche Politiker beeilten sich, Schadensbegrenzung zu betreiben. Am Donnerstag veröffentlichte das Handelsblatt auf seiner Titelseite ein Foto von Finanzminister Wolfgang Schäuble unter der Schlagzeile: „Der Bankenschreck“. In einem Interview warf sich Schäuble in die Pose des Gegners von Bankenfehlverhalten und erklärte, die Bankenregulierung würde fortgesetzt.

Diese Stellungnahmen sind absoluter Humbug. Nach dem Finanzzusammenbruch von 2008 war Schäuble eine der vielen deutschen und internationalen politischen Persönlichkeiten, die ausgedehnte Kontrollen der Banken versprachen. Seitdem ist nichts geschehen. Dieselben Banken, die damals die Welt an den Rand einer Finanzkatastrophe gebracht hatten, sind jetzt größer und machtvoller als jemals zuvor.

Die Bankenvertreter wissen genau, dass die Regierungen und Zentralbanken alles in ihren Kräften Stehende tun werden, um sie abzuschirmen. Die Spitzenbeamten der amerikanischen und britischen Zentralbanken waren schon seit 2007 bestens im Bilde über die Libor-Manipulationen, aber sie taten nichts, um sie aufzudecken oder aufzuhalten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der gegenwärtige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ein früherer Goldman-Sachs-Manager, nichts von solchen Praktiken in Europa gewusst haben soll.

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