Schwarz-grüne Koalition in Hessen besiegelt

Nach mehrwöchigen Verhandlungen haben sich CDU und Grüne am 17. Dezember auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Am Samstag, den 21. Dezember, stimmte die Landesmitgliederversammlung der Grünen mit 75 Prozent dem Verhandlungsergebnis zu. Bei der CDU waren es auf einem „kleinen Parteitag“ sogar hundert Prozent.

Damit ist der Weg für die erste schwarz-grüne Regierung in einem Flächenland frei.

Das ist bemerkenswert, denn die hessische CDU ist stockkonservativ. Es ist die Partei von Dregger, Kanther, und Roland Koch, der Schwarzgeld-Skandale und ausländerfeindlichen Wahlkämpfe zu verantworten hat. Noch vor wenigen Wochen haben die Grünen den CDU-Vorsitzenden Volker Bouffier im Wahlkampf heftig bekämpft und beschimpft. Mittlerweile duzen sich Bouffier, der alte und neue Ministerpräsident, und Tarek Al-Wazir, grüner Spitzenkandidat und designierter Wirtschaftsminister.

Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen bestätigt, dass sämtliche offiziellen Parteien in allen politischen Grundfragen übereinstimmen und eine gemeinsame Front gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit bilden. So hätte die SPD durchaus auch in Hessen, wie im Bund, eine große Koalition mit der CDU gebildet, während die Linke ständig beteuerte, dass sie bereit sei, die von SPD und Grünen verlangte Kürzungspolitik mitzutragen und die Schuldenbremse durchzusetzen.

Die Grünen lassen keinen Zweifel, dass ihr oberstes Ziel darin besteht, in kürzestmöglicher Zeit zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Darin besteht auch der rote Faden der Koalitionsvereinbarung von Schwarz-Grün. So erklärte Tarek Al-Wazir nach Abschluss der Verhandlungen, er sei stolz, dass diese Koalition die erste Regierung seit fünfzig Jahren sei, die einen Haushalt ohne neue Schulden haben werde.

Schon im Wahlkampf waren die Grünen die Partei, die am offensten auf Haushaltskonsolidierung und Einhaltung der Schuldenbremse pochte. Al-Wazir warf Volker Bouffier vor, er habe „nicht den Mut, die Finanzprobleme des Landes anzugehen“, die Grünen dagegen schon. Ergebnis ist nun ein drastisches Kürzungsprogramm auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend. Bis 2019 sollen jedes Jahr eine Milliarde Euro eingespart werden.

Achtzig Millionen Euro sollen pro Jahr bei der Hochschulförderung gekürzt werden. Mit den schärfsten Angriffen haben die Landesbediensteten zu rechnen. Die Beamten sollen nach einer Nullrunde im nächsten Jahr in den Folgejahren maximal ein Prozent Gehaltserhöhung erhalten. Außerdem sollen die Beihilfeleistungen beschnitten werden. Dadurch werden 440 Millionen Euro eingespart. Weiter werden in der Landesverwaltung jedes Jahr 350 Arbeitsplätze gestrichen, zusätzlich zu den achthundert, die schon jetzt auf der Abschussliste stehen. Dadurch wird mit Einsparungen von 75 Millionen Euro gerechnet.

Hessen wird auch nicht in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkehren, was vermuten lässt, dass auch bei den Angestellten im Landesdienst der Rotstift angesetzt wird. Da das strukturelle Defizit im Landeshaushalt aber sogar bei anderthalb Milliarden Euro liegt und somit das Sparziel von einer Milliarde übersteigt, ist damit zu rechnen, dass dieser Koalitionsvertrag nur der Auftakt zu weiteren Sparrunden sein wird.

Die Haltung zum Frankfurter Flughafen galt noch im Wahlkampf als nahezu unüberwindliches Hindernis für eine Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen. Während die Grünen vorgaben, im Interesse der lärmgeschädigten Anwohner einen weiteren Ausbau des Flughafens zu bekämpfen, hat die CDU einen Ausbau im Namen von „Arbeitsplätzen“ immer entschieden verteidigt.

In der umstrittenen Lärmfrage sind die Grünen nun völlig eingeknickt. Im Koalitionsvertrag haben sie einen Passus akzeptiert, der die Anwohner auf freiwillige Verhandlungen mit dem Flughafenbetreiber Fraport AG vertröstet. Die Lärmpausen, die zurzeit von 23 bis fünf Uhr früh gelten, könnten dann geringfügig um eine Stunde ausgeweitet werden. Fraport wird außerdem höflich gebeten, noch einmal zu überprüfen, ob das geplante dritte Terminal wirklich benötigt werde.

Noch schlimmer ist es bei der Energiepolitik: In der Opposition hatte Tarek Al-Wazir der CDU-FDP-Koalition unter Bouffier immer vorgeworfen, die Energiewende finde in Hessen nicht statt. Jetzt muss er laut Koalitionsvertrag akzeptieren, dass Hessen erst bis zum Jahr 2050 auf grünen Strom umstellt, das ist eins-zu-eins die Position der CDU.

Eine schmale Spur der grünen Handschrift findet sich im Koalitionsvertrag, wo es um Life-Style- und Identitätsfragen geht. So soll die Diskriminierung von Homosexuellen abgebaut und das Staatsbürgerschaftsrecht modernisiert werden, womit jedoch nur Regelungen umgesetzt werden, die bundesweit schon längst gültig sind.

Der hessische Koalitionsvertrag macht deutlich, was die Grünen wirklich sind: eine rechte, bürgerliche Partei.

Jens Schneider wettert in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Schwarz-Grün-peinlich“ gegen die Zeitenwende in Hessen: In Wirklichkeit hätten sich allein die Grünen wirklich gewandelt, „so weit, dass sie jetzt am Ende sind, sie haben sich politisch selbst entkernt“. Die Grünen hätten sich „zum Ornament für den modernen bürgerlichen Lebensstil reduziert“. Die Koalition sei „eine Karikatur des versprochenen Politikwechsels. Und die Grünen stehen als Karikatur dessen da, was diese Partei einmal ausmachte und wofür sie einmal gegründet wurde. (…) Für die paar Krümel Verbesserung braucht man die Grünen nicht; das kann die CDU alleine“, und so weiter.

So kann nur jemand schreiben, der den Charakter der Grünen gründlich missverstanden hat. Die Grünen haben keine Ideale verraten. Viel eher trifft es zu, dass hier auch die letzten verlorenen Söhne wieder in den Schoß der bürgerlichen Familie zurückkehren.

Die Grünen entstanden nach dem großen Familienkrach der 1968er Jahre zwischen dem Bürgertum und seinen rebellischen Kindern. Es waren Schichten der Mittelklasse, die sich enttäuscht von SPD und Gewerkschaften abwandten, als diese ihre versprochenen Demokratie- und Bildungsreformen der Willi-Brandt-Ära Ende der 1970er Jahre offensichtlich aufgegeben hatten.

Die Grünen waren niemals eine linke Bewegung. Selbst ihre anfangs spektakulären Aktionen als Straßenkämpfer und Waldbesetzer, ob gegen Flughafenerweiterung, Atomkraftwerke oder Rüstungsprojekte, konnten niemals darüber hinwegtäuschen, dass die grüne Umweltbewegung im Kern immer rechts und konservativ war.

Sie richtete sich niemals gegen die kapitalistische Profitwirtschaft, die eine geplante, umwelt-verträgliche Wirtschaft unmöglich macht, sondern betrachtete die moderne Industrie selbst als das Hauptübel. Den Kampf gegen Umweltzerstörung bezeichneten sie als klassenlose Menschheitsfrage. Der Wesenskern ihrer Politik war immer die Ablehnung der Arbeiterklasse als entscheidende Kraft zur gesellschaftlichen Veränderung.

Dieser Klassencharakter der Grünen Bewegung zeigte sich bereits deutlich Anfang der 1980er Jahre, als in Hessen zahlreiche Betriebsschließungen eine Welle von Arbeiterstreiks und Betreibsbesetzungen hervorriefen. Die Grünen organisierten damals mit ihren Protestaktionen gegen den Bau der Startbahn West eine kleinbürgerliche Gegenbewegung gegen die Arbeiter.

Schon vor Gründung ihrer Bundespartei 1980 zogen Grünen-Abgeordnete mit Sonnenblumen in der Hand in die Länderparlamente von Hamburg und Niedersachsen ein; 1984 gab es in kommunalen Parlamenten schon 7.000 Grüne Abgeordnete. Ein Jahr später legte Joschka Fischer in Wiesbaden den Amtseid als Umweltminister der ersten rot-grünen Landesregierung in Turnschuhen ab.

Rasch kamen Turnschuhe aus der Mode: Nun waren Nadelstreifen angesagt. Die Grünen wandelten sich von der Protestpartei zum Stützpfeiler der herrschenden Klasse. 1998 wurde Fischer Außenminister der rot-grünen Bundesregierung. Fortan unterstützten die Grünen Gerhard Schröders Agenda 2010 und die Hartz IV-Gesetze, wobei sie die SPD nicht selten von rechts angriffen.

Im Jugoslawienkrieg übernahm Fischer die unverzichtbare Rolle, die grünen Pazifisten auf Kriegskurs zu bringen. Mit angeblich „humanitären“ Argumenten setzte er durch, dass die Bundeswehr zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in den Krieg zog und sich an der Nato-Bombardierung Serbiens beteiligte.

Nach 2001 verteidigte Bündnis90/Die Grünen die Anti-Terror-Gesetze, und nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008, als die Konflikte zwischen den Großmächten zunahmen, waren es die Grünen, die am entschiedensten eine deutsche Beteiligung am Kriegsgeschehen forderten. Kein Afghanistanmandat der Bundeswehr, das nicht die entschiedene Unterstützung der Grünen fand.

Auch beim Nato-Krieg gegen Libyen kritisierten sie die Bundesregierung von rechts und warfen ihr vor, sich im UN Sicherheitsrat bei der Libyenresolution enthalten zu haben. Als es im vergangenen Juli fast zum Krieg gegen Syrien kam, öffnete das Hausblatt der Grünen, die taz, ihre Seiten besonders schamlosen Kriegshetzern wie dem Publizisten Micha Brumlik, der das Szenario eines Blitzkriegs westlicher Truppen mit Drohnen und Marschflugkörpern gegen Syrien propagierte.

Natürlich haben die Grünen auch die Politik der Europäischen Union und der EU-Troika in Südeuropa, die maßgeblich von Kanzlerin Merkel bestimmt wurde, immer mitgetragen, obwohl sie offensichtlich zur schlimmsten sozialen Verelendung der südeuropäischen Arbeiterklasse in Friedenszeiten führt.

Entsprechend der gesellschaftlichen Polarisierung entwickelte sich die soziale Basis der Grünen: Die ehemaligen Straßenkämpfer richteten sich zunehmend in bequemen und gut bezahlten Positionen ein. Die Grünen sind zur Partei des gehobenen Kleinbürgertums aufgestiegen, und was das Einkommen angeht, so gilt Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der FDP als Partei der “Besserverdienenden“.

Somit ist ihre Beteiligung an einer hessischen Landesregierung unter Volker Bouffier keine Überraschung, sondern nur konsequent. Die ehemalige Umweltpartei tritt an die Stelle der FDP und zeigt dadurch Perspektiven für eine künftige Bundesregierung auf. Auch nach der Bundestagswahl im Herbst scheiterte eine schwarz-grüne Koalition in Berlin nicht an den Grünen, sondern an der CDU – vorläufig.

Zwei grüne „graue Eminenzen“, Tom Koenigs und Daniel Cohn-Bendit, haben beide Schwarz-Grün klar befürwortet. Koenigs erklärte der Frankfurter Rundschau, die vielbeschworene „gemeinsame Kultur von Rot-Grün“ habe es auch früher schon nie gegebenen. Heute bestehe sie noch weniger. „Wir sind der urbanen CDU viel näher als der ländlichen SPD“, so Königs.

Loading