Loveparade-Katastrophe: Staatsanwaltschaft Duisburg erhebt Anklage

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat am Dienstag die Anklageschrift gegen die Verantwortlichen der Loveparade-Katastrophe vom Sommer 2010 beim Landgericht Duisburg abgeliefert. Am Mittwoch stellte sie ihre Ermittlungsergebnisse der Öffentlichkeit vor.

Am 24. Juli 2010 waren während dem Raver-Festival auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs 21 Menschen im Gedränge umgekommen, weil die Verantwortlichen die Sicherheit der Teilnehmer ihren wirtschaftlichen Interessen geopfert hatten.

Die Duisburger Staatsanwaltschaft geht nun nach dem Grundsatz vor: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Die Anklage ist ein erneuter Affront gegen die Angehörigen der Todesopfer und der vielen Hundert Betroffenen.

Von den ursprünglich 16 Personen, gegen die ermittelt wurde, werden nur zehn Personen angeklagt, sechs Mitarbeiter der Stadt und vier der Firma Lopavent, die für den Besitzer der Fitness-Kette McFit Rainer Schaller das Raver-Festival veranstaltet hatte.

Nicht angeklagt sind der damalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) und McFit-Chef Schaller. Gegen sie wurde nicht einmal ermittelt. Schaller, der das Event als Werbemaschine für seine Fitnessstudio-Kette nutzen wollte, und Sauerland, der es als Werbung für die Stadt ansah, sollen als Zeugen aussagen.

Das Verfahren gegen Sauerlands Ordnungsdezernenten Wolfgang Rabe (CDU) ist eingestellt worden. Ebenso das Verfahren gegen den so genannten Crowd-Manager von Lopavent Carsten Walter, der den Zu- und Abgang zum Gelände steuern sollte. Auch aus den Reihen der Polizei wird niemand belangt. Im Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft war 2011 noch der Leitende Polizeidirektor Kuno Simon als Beschuldigter geführt worden.

Die Polizei „habe grundsätzlich“ geeignete Maßnahmen eingeleitet, begründete der leitende Oberstaatsanwalt Horst Bien am Mittwoch den Sinneswandel in der Rheinhausenhalle, wo die Ergebnisse der Ermittlungen aufgrund des hohen Interesses der Presse vorgestellt wurden.

Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben fast dreieinhalb Jahre lang 100 Ermittler eingesetzt, um 1.000 Stunden Videomaterial, 3.500 Zeugenaussagen und 404 Terrabyte Datenmaterial (z. B. Emails zwischen Stadt und Lopavent) auszuwerten.

Angeklagt werden nun Mitarbeiter der Stadt, die unter dem Druck von Oberbürgermeister Sauerland und Ordnungsdezernent Rabe gehandelt hatten. Dem inzwischen ausgeschiedenen Stadtplanungs- und Bauordnungsdezernenten Jürgen Dressler (SPD), der Leiterin des Amts für Bauordnung und Bauberatung Anja Geer und vier weiteren städtischen Angestellten wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem „fahrlässige Tötung und Körperverletzung“ vor. Von Lopavent stehen der Gesamtleiter, der Produktionsleiter, der Sicherheitschef und der technische Leiter der Loveparade unter Anklage.

Laut Oberstaatsanwalt Bien hatte Sauerland, der vor zwei Jahren durch einen Bürgerentscheid abgewählt wurde, bei seiner Vernehmung im März 2012 erklärt, er habe bei der Planung der Loveparade keine Rolle gespielt. Alles sei Sache der Fachabteilungen gewesen. Bien fügte hinzu, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass Sauerland selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung rechtswidriger Genehmigungen gehabt habe. „Er musste auf das Urteil seiner Mitarbeiter vertrauen.“

Das gleiche gelte für Veranstalter Rainer Schaller, der wie Sauerland nach dem Tod der 21 Menschen jegliche Verantwortung zurückgewiesen hatte. Schaller habe die konkrete Durchführung auf acht Mitarbeiter seiner Firma Lopavent übertragen und nicht in die Planungen eingegriffen.

Ordnungsdezernent Rabe habe zwar als Gesamt-Koordinator für die Loveparade Einfluss auf die Planungen genommen. Aber „es war nicht seine Pflicht, das baurechtliche Verfahren zu überprüfen“, erklärte Bien. „Er war auch nicht verantwortlich für alles, was in den anderen Ämtern ablief.“

Der Spiegel, der Ende Januar schon vorab aus den 37.000 Seiten umfassenden Ermittlungsakten berichtet hatte, gelangt zu anderen Schlüssen. Danach hatte Rabe bereits im Februar 2009 einen Brief seines Amtsleiters Hans-Peter Bölling erhalten, der sich über die Argumente der Duisburg Marketing Gesellschaft (DMG) mokierte. Diese sehe bei der Suche nach einer sicheren Route für die Loveparade keine Probleme, weil sie allein den Imagegewinn der Stadt im Visier habe, der sich auch in barer Münze auszahlen solle.

Als im Herbst 2009 feststand, dass die Loveparade auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs stattfinden solle, warnte Bölling seinen Chef erneut. Wenn etwas schief gehe, könne das „sogar strafrechtliche Dimensionen“ annehmen. Rabe war ebenfalls der Ansicht, das Gelände sei zu klein und die Fluchtwege seien viel zu eng. Noch im Februar 2010 drohte er, alles abzublasen.

Doch dann erklärte Lopavent, man werde das Gelände einzäunen. Damit war Rabe als Ordnungsdezernent aus der unmittelbaren Verantwortung heraus. Durch die Zäune wurde aus der Veranstaltung im öffentlichen Raum juristisch gesehen eine Veranstaltung im geschlossenen Raum, wie in einem Stadion. Dafür war nicht das Ordnungs-, sondern das Stadtplanungs- und Baudezernat unter dem nun angeklagten Dressler zuständig.

Nun übernahm Rabe die Aufgabe, den Wunsch von Oberbürgermeister Sauerland, die Loveparade in Duisburg zu veranstalten, gegen alle Bedenken des Bauordnungsamts, der Polizei, der Feuerwehr und vielen anderen durchzuboxen. Dies alles ist gut dokumentiert und war schon unmittelbar nach der Loveparade bekannt.

Der Spiegel zitiert in seiner Ausgabe von Ende Januar aus Emails von Lopavent und der Stadt, die ein Bild davon geben, wie sich das Genehmigungsverfahren entwickelte.

Anwälte der Schaller-Firma machten die Amtsleiterin Baurecht Anja Geer in einer Mail im April 2010 als „Hauptgegenspieler“ aus, weil die „Juristin mit Geltungsbewusstsein“ zu dieser Zeit auf die Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen bestand. Ihr Vorschlag, Lopavent solle die Besucher des Festivals genau zählen, sei eine „Schwachsinnsidee“. Je mehr „wir kontrollieren können“, umso mehr Verantwortung habe am Ende Lopavent. Die Verantwortung solle bei der Stadt liegen, dort könne man gegebenenfalls „Zuständigkeiten gegeneinander ausspielen“.

Um die Genehmigung zu erhalten, sollten die zu erwartenden Besucherzahlen heruntergerechnet werden. Das sei „alles Scharlatanerie“ für den Fall, dass Geer nachfrage, schrieb der Lopavent-Anwalt in einer Mail an den Lopavent-Produktionschef.

Doch Geer fragte nicht genauer nach. Ihr Amt werde dem Veranstalter zwar das Zählen der Besucher vorschreiben, aber keinen Mitarbeiter des Bauordnungsamtes zur Loveparade schicken, um dies zu überprüfen. „Diese Lösung finde ich doch charmant“, schrieb Geer laut Spiegel an einen Kollegen.

Um die Veranstaltung zu ermöglichen, mussten aber auch die viel zu schmalen Fluchtwege genehmigt werden. Hier vertraute Lopavent auf Ordnungsdezernent Rabe. Als Geer auf einer Sitzung am 18. Juni 2010, nur einen Monat vor der Loveparade, immer noch auf die Einhaltung der Vorschriften bei den Fluchtwegen pochte, äußerte Rabe den notorischen Satz, der Oberbürgermeister wünsche die Veranstaltung nun mal, man solle lieber „konstruktiv mitarbeiten“, um „Lösungen zu finden“.

Der Anwalt des Veranstalters schrieb danach in einer Mail, Rabe habe sich „weit aus dem Fenster“ gelehnt und das Bauamt zur Kooperation mit Lopavent „verpflichtet“. Ohne Zweifel tue Rabe „alles, was er kann“. Rabe setzte sich durch. Noch am Morgen der Loveparade besichtigte er das Gelände und stellte dabei fest, dass die 18 Meter breite Rampe, auf der später 21 Menschen den Tod fanden, durch die Bauzäune nur noch etwas mehr als elf Meter breit war. Doch das reicht laut Oberstaatsanwalt Bien nicht für eine Anklage.

„Wir haben nicht nach politischer oder moralischer Verantwortung gesucht“, erklärte Bien auf der Pressekonferenz, als Duisburger Oberstaatsanwalt habe er sich auf strafrechtlich Nachweisbares konzentrieren müssen.

Seit dreieinhalb Jahren verteidigen der Veranstalter Schaller, die Duisburger Stadtspitze, die Stadtratsparteien, das Land NRW und die Polizei ihr Vorgehen bei der Planung, Genehmigung und Organisation der Loveparade. Sie schieben sich gegenseitig die Verantwortung für den Tod von 21 Menschen und die körperliche und seelische Verletzung von Hunderten weiteren zu.

Auch im kommenden Prozess, der nach der Anklageprüfung durch das Landgericht wohl erst im kommenden Jahr beginnen und womöglich einer der größten Prozesse in der deutschen Justizgeschichte werden wird, werden sich die Angeklagten damit verteidigen, auf höhere Anweisungen gehandelt zu haben. Am Ende werden die Opfer als bedauerliche „Kollateralschäden“ übrigbleiben.

Die Angehörigen der Opfer und Betroffene empfinden die Anklageerhebung als neuen „Schlag ins Gesicht“. Jörn Teich von der Betroffenen-Initiative LoPa 2010 teilte der Presse mit, nun bewahrheiteten sich die „schlimmsten Befürchtungen Betroffener und Angehöriger“. Dass die wirklichen Verantwortlichen strafrechtlich nicht belangt würden, sei „die Katastrophe nach der Katastrophe“.

Betroffene und Opfer-Angehörige durften auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft am Mittwoch nicht an der Pressekonferenz teilnehmen. Sie mussten draußen vor der Halle stehen.

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