Größter Streik der Lufthansa-Geschichte

Seit Mittwoch streiken rund 5.400 Piloten des Lufthansa-Konzerns. Der auf drei Tage befristete Streik legt insgesamt 3.800 Verbindungen der Lufthansa sowie der beiden Töchter Lufthansa Cargo und German Wings lahm. Es handelt sich um den umfassendsten Streik in der Geschichte der Lufthansa.

Die Piloten wehren sich vor allem gegen Kürzungen bei ihren Ruhestandsgeldern. Der Lufthansa-Konzern hat den Tarifvertrag für die Übergangsversorgung gekündigt. Danach können Piloten nach vielen Jahren im Cockpit ab 55 Jahren selbst entscheiden, ob sie sich weiter den Strapazen ständiger Zeitverschiebungen, von Nachtflügen, von Extremschichtdienst, von Klimaveränderungen usw. aussetzen oder zu einem reduzierten Übergangsgehalt vorzeitig in den Ruhestand gehen.

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) verweist auf die Sicherheit der Passagiere. „Denn wer möchte mit Piloten fliegen müssen, die sich nicht mehr fit fühlen, aber aus finanziellen Gründen weiterfliegen müssen?“

Neben der Betriebsrente, die allen Beschäftigten zusteht, erhalten nur Piloten und das Kabinenpersonal die Übergangsversorgung. Um diese zu finanzieren, hat der Lufthansa-Konzern für jeden Beschäftigten während der gesamten Firmenzugehörigkeit Lohnbestandteile einbehalten und in einen Topf bezahlt, aus dem die Übergangsversorgung finanziert wird. Diese Zahlungen will die Konzernleitung nun abschaffen.

Am 20. März hatten die Piloten in einer Urabstimmung mit 99,1 Prozent für einen Streik gestimmt, um den Tarifvertrag zur Übergangsversorgung zu verteidigen.

Die Übergangsregelung ist nötig, weil es gesetzlich nicht erlaubt ist, mit 55 Jahren in Rente zu gehen. Die Lufthansa zahlt mit den einbehaltenen und beiseitegelegten Lohnzahlungen den Piloten bis zum Renteneintritt bis zu 60 Prozent des Nettolohnes. Die Pilotengewerkschaft beziffert die angesparten Rücklagen in diesem Bereich auf eine Milliarde Euro.

Nun versucht der Konzernvorstand unter dem scheidenden Vorstandschef Christoph Franz, der in Kürze zum Pharmakonzern Roche (Schweiz) wechselt, die Piloten faktisch dazu zu zwingen, bis zu acht Jahre länger zu arbeiten.

Nicht nur die Milliarden-Rückstellungen wecken die Begehrlichkeiten der Finanzmärkte. Obwohl die Lufthansa-Manager täglich beschwören, dass gespart werden müsse und der Konzern sich Löhne und die soziale Absicherung ihrer Beschäftigten nicht mehr leisten könne, haben sie angekündigt, den Aktionären der Deutschen Lufthansa AG eine Dividende von 45 Cent pro Aktie zu zahlen. In den nächsten Jahren soll die Dividende stark steigen trotz eines mörderischen Wettbewerbs.

Die Vorstandsgehälter wurden in den vergangenen Jahren systematisch erhöht. Vorstandschef Franz verdiente 2012 laut Geschäftsbericht 2,6 Millionen Euro, das sind 216.000 Euro im Monat. Bei Roche werden sich seine Bezüge auf geschätzte sieben Millionen Euro verdreifachen.

Die Lufthansa befindet sich in scharfer Konkurrenz mit Billigfliegern wie Ryanair sowie den Fluggesellschaften aus den arabischen Scheichtümern, Emirates, Qatar und Etihad Airways. Die drei Luftfahrtgesellschaften aus Dubai, Qatar und Abu Dhabi profitieren von niedrigeren Gebühren für Flughäfen oder Flugsicherung, geringeren Kerosinkosten und vor allem von der Tatsache, dass ihre Lohnkosten – wie die Unternehmensberatung Arthur D. Little errechnet hat – um ein Drittel unter denen der Lufthansa liegen.

Schon vor zwei Jahren startete daher Vorstandschef Franz das Sparprogramm Score. Mit dem Programm, das aus 2.500 Einzelprojekten besteht, soll bis 2015 ein Betrag von 1,5 Mrd. Euro eingespart werden. Für das laufende und das kommende Jahr hat das Lufthansa-Management die Gewinnziele deutlich nach oben gesetzt. Der operative Gewinn soll im laufenden Jahr auf bis zu 1,5 Milliarden Euro klettern, im Jahr 2015 sogar auf 2,65 Milliarden Euro. Hereinkommen soll das Geld durch Kürzungen bei den Beschäftigten.

Bereits in den vergangenen Jahren sind immer mehr Beschäftigte in die ausländischen Lufthansa-Töchter Austrian Airlines, Swiss und Brussels Airlines oder anderer Tochterfirmen verschoben worden. Diese haben alle eigene, für Lufthansa günstigere Tarifverträge. Auch nachrückende junge Piloten bei der Lufthansa erhalten bereits weniger Gehalt als ihre älteren Kollegen.

Nun hat die Lufthansa damit begonnen, die Versorgungssysteme aller Lufthansa-Beschäftigten anzugreifen. Die Lufthansa nahm sich die Piloten zuerst heraus, weil sie glaubt, deren höheren Löhne und besseren Versorgungsregelungen könne die öffentliche Meinung für das Management gewinnen. Die Presse unterstützt die Kampagne der Lufthansa, indem sie über die „überzogenen Forderungen“ der „Unersättlichen“ (Handelsblatt) herzieht.

Lufthansa-Personalchefin Bettina Volkens erklärt den Medien, die Lufthansa zahle derzeit für 84.000 aktuelle und ehemalige Beschäftigte Vorsorgeleistungen. Auf die darunter befindlichen 8.400 Piloten (10 Prozent) würden aber 40 Prozent der Zahlungen entfallen. Diese Rechnung ist mehr als durchschaubar. Diese Zahlen, wenn sie denn der Wahrheit entsprechen, sind darauf zurückzuführen, dass die Piloten eben die bestbezahlte Berufsgruppe des Konzerns sind – mit Ausnahme des Vorstands.

Wie hoch die Vorsorgezahlungen für den fünfköpfigen Lufthansa-Vorstand sind, verschwieg Vorstandsmitglied Volkens.

Offensichtlich will Lufthansa an den Piloten ein Exempel statuieren. Sind die Übergangsregelungen bei den Piloten erst einmal abgeschafft, kommen die nächsten Beschäftigten – Kabinen- und Bodenpersonal – an die Reihe. In Gefahr sind nicht nur die Übergangsregelungen, sondern auch die Betriebsrente und die Löhne und Gehälter.

Daher hat das Lufthansa-Management alle Angebote der VC abgewiesen. „Unsere Tarifkommission hat der Lufthansa gegenüber erklärt, dass sie bereit ist, eine Deckelung der Kosten für die Übergangsversorgung zu vereinbaren“, erklärte Ilona Ritter, Vorsitzende für Tarifpolitik bei Cockpit. „Bedauerlicherweise hat Lufthansa die Vorschläge der VC nicht ernsthaft aufgegriffen“, klagt die Gewerkschaft.

Die Piloten, wie alle Beschäftigten der Lufthansa, sind nicht nur Zielscheibe des Managements, sondern auch von Verdi. In der jüngeren Vergangenheit hat die Dienstleistungsgewerkschaft, dort wo sie die Verhandlungen führt, den Beschäftigten massive Kürzungen verordnet.

Verdi-Chef Frank Bsirske saß bis vor kurzem als stellvertretender Vorsitzender im Aufsichtsrat der Lufthansa und kassierte dafür 2012 die stattliche Summe von 175.000 Euro. Seit geraumer Zeit arbeitet Verdi mit der Konzernleitung Hand in Hand, um die Sparten-Gewerkschaften auszubremsen und die Kontrolle über die Beschäftigten zu festigen.

Im vergangenen Jahr vereinbarte Verdi für die 5.000 Beschäftigten des Catering-Bereichs LSG hinter dem Rücken der Beschäftigten geringere Löhne und Mehrarbeit, die sich auf eine Minderung der Einkommen um 10 Prozent belaufen. Zur gleichen Zeit stimmte die Gewerkschaft der Gründung von drei neuen Billig-Gesellschaften zu, in denen bis zu 30 Prozent niedrigere Löhne bezahlt werden.

SpiegelOnline berichtete damals aus konzerninternen Unterlagen, laut denen in den neuen Gesellschaften unter anderem Verwaltungsaufgaben sowie die Abfertigung der Passagiere außerhalb der großen Verkehrsdrehkreuze Frankfurt am Main und München zusammengefasst werden sollten.

Da Verdi immer wieder für niedrige Tarifabschlüsse und Lohnkürzungen gesorgt hat, sind kleinere Spartengewerkschaften – die Pilotengewerkschaft Cockpit, die Fluglotsengewerkschaft GdF und die Flugbegleitergewerkschaft UFO – entstanden. Verdi ist ihnen in vergangenen Arbeitskämpfen wiederholt in den Rücken gefallen und versucht auch jetzt, die Piloten zu isolieren.

Bsirske, Verdi und die Unternehmen arbeiten bei ihren Angriff auf die Sparten-Gewerkschaften eng mit der Bundesregierung zusammen. Die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU hat vereinbart, noch in dieser Legislaturperiode das Streikrecht einzuschränken, um Sparten-Gewerkschaften wie Cockpit, UFO etc. zu zerschlagen. Sie wollen die Regelung „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ gesetzlich verankern. Danach könnte nur die Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder in einem Konzern vertritt, Tarifverhandlungen führen. Sie bereiten damit einen elementaren Angriff auf des Streikrecht und die Koalitionsfreiheit vor.

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