Weiterer Rechtsruck in Ungarn

Nach der Parlamentswahl in Ungarn rücken sowohl der Ungarischer Bürgerbund (Fidesz) von Ministerpräsident Victor Orban wie die Oppositionsparteien weiter nach rechts.

Fidesz konnte seine Zweidrittelmehrheit im Parlament mit 45 Prozent der Stimmen trotz deutlicher Verluste knapp behaupten. Nach Auszählung der Briefwählerstimmen kommt die Regierungspartei exakt auf die dafür notwendigen 133 Sitze. Damit ist sie weiterhin in der Lage, die Verfassung und Gesetze nach Belieben zu ändern.

Zweitstärkste Kraft im Parlament ist mit 38 Sitzen das von den Sozialisten (MSZP) geführte Oppositionsbündnis. Deutlich zulegen konnte mit 23 Mandaten die faschistische Bewegung für ein besseres Ungarn (Jobbik). Sie erhielt über 20 Prozent der Stimmen. Ihr Abschneiden gilt als Signal für die Europawahl Ende Mai, bei der ebenfalls mit einem Rechtsruck gerechnet wird.

Das neue Kabinett Orban wird sich voraussichtlich nur wenig verändern. Es zeichnet sich allerdings ab, dass noch mehr Schlüsselposten als bisher mit Personen besetzt werden, die dem Regierungschef treu ergeben sind.

Dem neuen Kabinett wohl nicht mehr angehören wird Außenminister Janos Martonyi. Als Nachfolger wird der jetzige Vizepremier und Minister für Justiz und Öffentliche Verwaltung, Tibor Navracsics, gehandelt. Er gilt als enger Vertrauter Orbans und hat die 2010 in Kraft getretene Verfassung und die Justizreform maßgeblich ausgearbeitet. Beide tragen nationalistische und autoritäre Züge.

Für das Ministerium für Justiz und Öffentliche Verwaltung sind der jetzige Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán und Staatssekretär János Lázár im Gespräch. Rogán und Lázár sind typische Karrieristen, die politisch am rechten Rand des Fidesz stehen. Lázár drückte kurz vor der Wahl sein Bedauern darüber aus, dass es in Ungarn keine Todesstrafe gebe.

Hier zeigt sich, dass die Regierung auf die Stimmengewinne von Jobbik reagiert, indem sie verstärkt deren Politik übernimmt.

In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass nur zwei Tage nach der Wahl der Bau des umstrittenen Denkmals zum Gedenken an die Besetzung Ungarns durch die Nationalsozialisten begonnen wurde. Das Projekt wird von Historikern und jüdischen Verbänden als geschichtsrevisionistisch kritisiert, da es Ungarns eigenen Anteil am Holocaust gezielt verschleiert.

Die Regierung hatte den Bau des Denkmals, dessen Fertigstellung ursprünglich für den März geplant war, verschoben und Verhandlungen mit den jüdischen Organisationen angekündigt. Am Budapester Freiheitsplatz war es in den letzten Wochen immer wieder zu Protesten gegen das Denkmal gekommen. Mehrmals wurde der Bauzaun von Demonstranten niedergerissen.

Das von der sozialistischen MSZP geführte Oppositionsbündnis liegt nach seinem miserablen Abschneiden bei der Wahl am Boden und orientiert sich ebenfalls weiter rechts. Obwohl das Land in einer tiefen sozialen Krise steckt, konnte es nicht von der sozialen Unzufriedenheit profitieren.

Der Grund dafür ist, dass seine führenden Vertreter – die ehemaligen Regierungschefs Ferenc Gyurcsany und Gordon Bajnai sowie der MSZP-Vorsitzende Attila Mesterhazy – für radikale Sozialkürzungen in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union verantwortlich sind. Trotzdem wird nun innerhalb des Bündnisses über eine weitere Öffnung zur „Mitte” – d.h. einen weiteren Rechtsruck – diskutiert.

Gordon Bajnai, Chef der Allianz „Gemeinsam 2014”, hat angekündigt, dass er sein Parlamentsmandat nicht ausüben wird. Stattdessen tritt er als Spitzenkandidat des Wahlbündnisses zur Europawahl im Mai an. Danach soll es laut Bajnai eine Runderneuerung der Allianz geben, zu der auch die gewerkschaftliche Szolidaritás sowie die auf eine Facebook-Initative zurückgehende Bürgerrechtsgruppe Milla („Eine Million Menschen für die Pressefreiheit“) gehören.

Milla zeigt bereits Auflösungserscheinungen. Mehrere Dutzend Mitglieder haben auf der Facebook-Site das Ende der Bewegung erklärt, woraufhin die Führung die eigene Site zensieren ließ.

Ähnlich ergeht es der ebenfalls dem Oppositionsbündnis angehörenden Partei „Dialog für Ungarn”, iner Abspaltung der Grünen (LMP). Ihr Vorstand hat geschlossen seinen Rücktritt angeboten und das Weiterbestehen der Partei in Frage gestellt.

Unter diesen Umständen geht vor allem die Nachfolgerin der stalinistischen Staatspartei, die MSZP, weiter nach rechts. Parteichef Mesterhazy erklärte, es sei ein Fehler gewesen, die extreme Rechte zu isolieren und nicht mit ihr zu sprechen. Er kündigte an, die MSZP werde sich in Zukunft stärker den Themen von Jobbik, beispielsweise der inneren Sicherheit, widmen.

Istvan Hiller, der die MSZP von 2004 bis 2007 führte, fügte hinzu, zahlreiche Jobbik-Wähler hätten früher für die MSZP gestimmt und müssten nun mit den Themen der Rechten zurückgewonnen werden. Einer Umfrage zufolge rekrutieren sich die Wähler von Jobbik zu rund 21 Prozent aus ehemaligen MSZP-Wählern. Im Nordosten des Landes, einer ehemaligen Hochburg der Sozialisten, erreichte Jobbik teilweise an die 30 Prozent der Stimmen.

Die Gewerkschaften des Landes erneuerten nach der Wahl ihre Bereitschaft, mit der Regierung Orban zusammenzuarbeiten. Peter Fiedler, Vorsitzender des Liga-Gewerkschaftsbundes, beschwerte sich über die mangelnde Bereitschaft der Regierung, dies ihrerseits zu tun. Liga hat die Politik Orbans in der letzten Legislaturperiode unterstützt und trägt auch seine Sozialkürzungen mit.

Die Gewerkschaften haben nichts gegen die Entlassungen in staatlichen und privaten Unternehmen unternommen und diese bereitwillig mitgetragen.

Am 3. April kündigte Samsung die Schließung seines zweitgrößten Standortes in Ungarn an. Es handelt sich um das Werk in Göd, das Panele für Plasma-Fernseher und Handybildschirme herstellt. Rund 800 Menschen verlieren ihre Arbeit. In Spitzenzeiten waren hier bis zu 2.000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Werk erwirtschaftete bis zu 100 Milliarden Forint Absatz pro Jahr. Auch an anderen Standorten in Ungarn, beispielsweise Tatabánya, könnte es möglicherweise zu Entlassungen kommen.

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