LKW-Fahrer protestieren europaweit gegen Lohndumping

Am ersten Samstag im Mai demonstrierten in Berlin mehrere Hundert LKW-Fahrer gegen Lohn- und Sozialdumping in Europa. Die Aktion war Teil von Protesten in mehreren europäischen Städten, unter anderem in Oslo, Den Haag, Kopenhagen und Madrid. Aufgerufen hatten verschiedene Berufsverbände unter anderem die Kraftfahrer Clubs Deutschland e.V. Von Verdi und anderen DGB-Gewerkschaften war bei der Kundgebung in Berlin nichts zu sehen.

Täglich sind allein in Deutschland über eine Million LKW-Fahrer auf den Straßen unterwegs. Die meisten von ihnen leiden unter hohem Zeitdruck, niedrigen Löhnen und einem gnadenlosen Wettbewerb, der durch die Liberalisierungspolitik der EU in Gang gesetzt und durch die EU-Osterweiterung vor zehn Jahren enorm verschärft worden ist.

Hunderte Millionen Tonnen Güter werden täglich über die meist vollgestopften Straßen transportiert. Dazu gehören Zuliefermaterial für die Autoindustrie, die genau auf die Minute (just in time) angeliefert werden müssen, Güter der Grundstoffindustrie wie Kohle, Öl, Flüssiggas, Beton, Stahl und Baumaterial, Lebensmittel, praktisch alle Dinge des täglichen Bedarfs und Waren, die täglich online bestellt werden.

Die Arbeitsbedingungen für die meisten LKW-Fahrer sind mörderisch. Vorgegebene Zeiten für bestimmte Entfernungen können oftmals aufgrund von Staus oder Unfällen nicht eingehalten werden. Die zulässigen Fahrzeiten werden dadurch notgedrungen überschritten. Im Falle von Kontrollen müssen die Fahrer entsprechende Bußgelder bezahlen.

Die durch diese Bedingungen häufige Übermüdung vieler Fahrer führen immer wieder zu tragischen und katastrophalen Unfällen. Bei verstärkten gesundheitlichen Problemen mit zunehmenden Alter sind LKW-Fahrer von Arbeitsplatzverlust, Arbeitslosigkeit und niedrigen Renten bedroht, obwohl sie jahrzehntelang hart gearbeitet haben.

In der Transportbranche entwickelt sich seit Jahren Widerstand gegen Lohndumping. Proteste und Demonstrationen werden zunehmend unabhängig von den Gewerkschaften organisiert. Auf der Kundgebung in Berlin waren auch Mitglieder der Initiative „Actie in de Transport“ („Aktion im Transportwesen“) anwesend, die in den Niederlanden gegründet wurde. In der internationalen Gruppierung haben sich Fahrer und auch Unternehmer europäischer Länder zusammen gefunden, um die Situation in der Branche zu verbessern.

Unterstützer der Gruppe gibt es inzwischen in den Niederlanden, Dänemark, Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Finnland, Österreich und Deutschland. Laut eigenen Aussagen unterstützen 25.000 Mitglieder die Gruppe über Facebook und tauschen sich über Probleme und Forderungen aus.

In den Zielen der Gruppe heißt es: „Es soll und wird nicht nur bei Facebook bleiben. Vielmehr möchten wir die Politik erreichen, damit das enorme West/Ost-Preisgefälle, welches durch die Marktöffnung entstanden ist, harmonisiert wird. Wir wenden uns weder gegen die ausländischen Kollegen noch gegen die Speditionen, sondern wir fordern ganz im Gegenteil gleiche Bedingungen und Voraussetzungen, damit wir alle überleben können. Nur mit gleichen Bedingungen ist ein fairer Wettbewerb möglich. Dies ist unser Ziel!“

Dann werden einige der Anlässe geschildert, die zur Gründung von „Actie in de Transport“ geführt haben. So wurde Anfang letzten Jahres in den Niederlanden bekannt, dass eine lettische Spedition mit Stammsitz in Lübeck Fahrer auf den Philippinen anwirbt. Diese sollten für 680 Euro im Monat plus Spesen in ganz Europa fahren. In den Niederlanden gibt es mehrere Zehntausend arbeitslose Fahrer, die aufgrund der durch EU-Vorgaben entstandenen Preispolitik zu teuer sind.

In Italien wurden Fälle von osteuropäischen Fahrern bekannt, die für 380 Euro Mindestlohn arbeiten. Ungarische Fahrer arbeiten teilweise für 10 Cent pro gefahrenen Kilometer – für Niedrigstlöhne, von denen niemand leben kann. Da an Diesel, Maut und den sonstigen Betriebskosten kaum etwas gespart werden kann, findet der Unterbietungswettkampf bei den Speditions- und Frachtkosten praktisch nur über die Löhne und Arbeitsbedingungen und über Einsparungen beim Personal, den Fahrerinnen und Fahrern, statt.

Die hier geschilderten Probleme werden auch durch die Veröffentlichungen von anderen Verbänden und Statistiken untermauert. So heißt es unter der Überschrift „Marktöffnung: Preisdruck nimmt zu“ in trans aktuell: „Die große EU-Osterweiterung jährt sich zum zehnten Mal. Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Es gibt viele Klagen über Preisverfall und Sozialdumping. Aber hinter der Konkurrenz aus den Beitrittsstaaten stehen nicht selten deutsche Unternehmen.“

So ergab eine Fahrerbefragung des Bundesamtes für Güterverkehr, dass 72 Prozent der Kabotagefahrten in Deutschland im Auftrag deutscher Unternehmen unternommen werden. Kabotage bedeutet die Übernahme von Transportdienstleistungen innerhalb eines Landes durch ein ausländisches Unternehmen.

Teilnehmer an der Protestaktion in Berlin waren teilweise von weit her angereist. Einige LKW-Fahrer demonstrierten mit Transparenten an ihren Fahrzeugen für bessere Arbeitsbedingungen. „Arm trotz Arbeit“, „Vom Traumberuf zum Albtraum“ und „Wir wollen von unserer Arbeit leben und nicht von Hartz IV“ stand darauf.

Reporter der World Socialist Web Site sprachen mit Demonstrationsteilnehmern. Andreas, 37, kommt aus Niederösterreich und hat zwei Kinder. Er meinte: „Auf nationaler Ebene kann man die Löhne und Arbeitsbedingungen nicht verteidigen. Man muss auf europäischer Ebene kämpfen. Die Beschäftigten müssen sich gemeinsam wehren. Die Firmen drücken die Löhne, indem sie die Arbeiter der verschiedenen Länder gegeneinander ausspielen.“

Andreas und Sven

Sven, 37, wohnt in Bayern und hat einen Sohn. Er sagte: „Die Gewerkschaften ziehen nicht mit uns an einem Strang. Die Kraftfahrergewerkschaft (KFG) nutzt den Mitgliedsbeitrag, um in teuren Mietwagen umherzufahren. Verdi redet nur und macht nichts. In den letzten fünf Jahren sind die Löhne in Deutschland im Vergleich zu Österreich für LKW-Fahrer um 600 bis 700 Euro zurückgefallen. Die Beschäftigten werden rausgeekelt und dann neue Kollegen für deutlich weniger Lohn eingestellt.“

Andreas ergänzte: „Und die niedrigen deutschen Löhne werden dann genutzt, um auch das Tarifgefüge in Österreich aufzubrechen. Wir müssen uns jetzt gemeinsam wehren, sonst ist es zu spät.“

Die Berliner Zeitung zitierte Klaus-Jürgen P., 57, aus Kleinmachnow. Er berichtete, dass er vor kurzem entlassen worden sei, weil er sich geweigert habe, gesetzliche Vorschriften zu den Arbeits- und Ruhezeiten zu missachten. Er habe seit dem Jahr 2000 in diesem Job gearbeitet. Manche Anforderungen an die Fahrer seien nicht mehr erfüllbar: „Ich sollte dreimal in der Woche Berlin-Antwerpen fahren. Das ist einfach nicht zu schaffen.“

Die Vorschläge und Forderungen der „Actie in de Transport“ zur Verbesserung der Lage der Transportarbeiter in ganz Europa richten sich vor allem an die EU und die nationalen Regierungen. So werden einheitliche Mindestlöhne und einheitliche Frachttarife innerhalb der EU gefordert. Außer mit Briefen und Petitionen, die sich wiederum an die EU-Kommission und bürgerliche Politiker richten, sollen vor allem Demonstrationen und Protestaktionen auf die schwierige Lage der LKW-Fahrer aufmerksam machen und für Unterstützung aus der Bevölkerung werben.

Während die Protestaktionen und Demonstrationen unabhängig von den Gewerkschaften, die keinen Finger für die Arbeiter rühren, zu begrüßen sind, muss vor jeglicher Illusion in die EU-Kommission und die nationalen Regierungen gewarnt werden. Sie sind ja gerade für die Liberalisierung der Märkte und für Lohn- und Sozialdumping verantwortlich.

Die Gewerkschaften unterstützen „ihre“ nationalen Unternehmen und Regierungen bei diesen Angriffe gegen die Arbeiter, um die jeweilige „Wettbewerbsfähigkeit“ zu verteidigen, und spielen so die Arbeiter gegeneinander aus.

Ein wirkungsvoller Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping in Europa ist nur auf der Grundlage einer internationalen sozialistischen Perspektive möglich, im Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.

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