Perspektive

Die Katastrophe in der Türkei und die tödlichen Gefahren im internationalen Bergbau

Die schreckliche Grubenexplosion in der Türkei, die allein bisher fast 300 Todesopfer gefordert hat – eine Zahl, die noch ansteigen wird – ist das schwerste Bergwerksunglück in der Geschichte des Landes. Dieses Unglück für Familienmitglieder und Freunde hätte in vollem Umfang verhindert werden können. Es war kein unerklärlicher "Unfall," sondern das unweigerliche Ergebnis von Privatisierung, Nachlässigkeit der Regierung und dem kapitalistischen Profitsystem, durch das jedes Jahr Millionen Industriearbeiter überall auf der Welt ihre Gesundheit oder ihr Leben verlieren.

Die Behauptungen des Bergwerksbetreibers und von Regierungsvertretern, darunter dem Energieminister, das Bergwerk in Soma habe die aktuellen Sicherheitsinspektionen bestanden, wurden von den überlebenden Bergarbeitern und ihren Angehörigen als Lügen bezeichnet. Der Bruder eines Bergarbeiters erklärte einem Lokalsender, die Sicherheitsinspektionen seien reine Formalitäten gewesen und hätten "nur auf dem Papier" stattgefunden. Ein weiterer Bergarbeiter namens Oktay Berrin erklärte: "In diesem Bergwerk gibt es keine Sicherheit. Die Gewerkschaften sind nur Marionetten, und unser Management interessiert sich nur fürs Geld."

Es war allgemein bekannt, dass es Sicherheitsmängel gab. Vor einigen Wochen forderten Abgeordnete der lokalen Opposition, die von den Bergarbeitern mit Beschwerden über gefährliche Arbeitsbedingungen überhäuft wurden, eine Untersuchung, was jedoch von der amtierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) von Premierminister Erdogan verhindert wurde. Am 29. April erklärte ein lokaler Abgeordneter der AKP, die Bergwerke im Distrikt Soma seien die sichersten im ganzen Land, Unfälle seien nur der "Natur des Berufs" geschuldet.

Erdogan wiederholte diese verachtenswerte Lüge Anfang der Woche in einer öffentlichen Stellungnahme am Schauplatz der Katastrophe. "Das passiert im Kohlebergbau. So etwas wie eine unfallfreie Arbeit gibt es nicht," Weiter erklärte der Premierminister, in England und den USA habe es in den 1860ern, 1890ern und dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts ähnliche Grubenunglücke gegeben. "Solche Dinge passieren. Es gibt so etwas wie Arbeitsunfälle."

Erdogans kaltblütige Äußerungen enthüllen mehr als der Premierminister beabsichtigt hat. Die "neue Normalität" in der weltweiten Bergbauindustrie im 21. Jahrhundert bedeutet die Rückkehr zu den Bedingungen im viktorianischen England und denen, die in den USA unter "robber barons" (Räuberbaronen) wie Rockefeller herrschten, als in den Kohlebergwerken mehr amerikanische Arbeiter ums Leben kamen als Soldaten im Ersten Weltkrieg.

Seit Erdogans "Wirtschaftsreformen" von 2005 und 2010, die vom IWF unterstützt wurden und Privatunternehmen Zugang zu den Kohlevorkommen des Landes verschafften, haben private Subunternehmen mehr als ein Drittel der Kohleförderung übernommen, die vorher von staatlichen Unternehmen betrieben wurde. Die neuen Eigentümer kürzten im Auftrag der globalen Warenmärkte und Börsen die Ausgaben, darunter auch die für Sicherheit, um die Profite und Renditen der Investoren zu erhöhen.

Alp Gurkan, der Vorstandschef von Soma Komur Isletmeleri, dem das Bergwerk in Soma gehörte, rühmte sich vor zwei Jahren in einem Interview mit der Hürriyet Daily damit, dass sein Unternehmen die Kosten der Kohleförderung von 130 Dollar pro Tonne auf nur 23,80 Dollar pro Tonne gesenkt hatte, seit sie 2005 das Bergwerk von der staatlichen Turkish Coal Enterprise gepachtet hatten.

Bergarbeiter aus Soma, die am Tag neunzehn Dollar verdienen, erklärten in den Medien, die Sicherheitsbedingungen hätten sich seit der Privatisierung verschlechtert, außerdem drohe ihnen die sofortige Entlassung, wenn sie sich über Arbeitsbedingungen beschweren oder sich während der Arbeit verletzen. Dass unter den Todesopfern ein fünfzehnjähriger Junge war - einer von einer unbekannten Anzahl von Kinderarbeitern - ist ein weiteres Anzeichen für die brutalen Bedingungen, die dort vorherrschen.

Die marktorientierte Politik der AKP begann, als die Türkei versuchte, die Forderungen des IWF zu erfüllen, um in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Die Maßnahmen fanden die Anerkennung von US-Präsident Barack Obama, der im Auftrag des amerikanischen Finanzkapitals spricht, und dessen Regierung die Türkei zum wirtschaftlichen Modell für den Nahen Osten und andere Entwicklungsländer darstellte.

Kerim Sener, der leitende Direktor des Londoner Unternehmens Ariana Resources, das in der Westtürkei Gold abbaut, erklärte in einem Kommentar auf der Webseite der Industrie, Engineering & Mining Journal: "Die Weitsicht in der Türkei ist unglaublich. Das Land hat einen Vorteil gegenüber mehreren Ländern in seiner Peripherie, es ist deutlich stabiler und mehr auf den Westen und den Kapitalismus orientiert... Das hat weiteres Interesse der globalen Bergbauindustrie geweckt, das Land hat sich geöffnet und die Dinge sind dort allgemein viel einfacher."

Diese Bedingungen haben zu den schlechtesten Sicherheitsbedingungen in Bergwerken der Welt geführt, seit dem Jahr 2000 gab es 1308 Grubenunfälle mit Todesopfern, abgesehen von der Katastrophe in Soma. Laut einem Bericht der Economic Research Foundation of Turkey (TEPAV) sterben in der Türkei im Durchschnitt für eine Tonne geförderte Kohle mehr als sieben Bergarbeiter.

Die Verwandlung der Türkei ist Teil eines weltweiten Prozesses, der Entwicklungs- und Industrienationen gleichermaßen betrifft. Am gleichen Tag, an dem sich die Explosion in Soma ereignete, wurden im amerikanischen West Virginia zwei Bergarbeiter getötet, als in einem Bergwerk das Dach und eine Wand einstürzten. In dem Bergwerk kam es seit langem zu Verstößen gegen Sicherheitsvorgaben, es sollte von staatlichen Aufsichtsbehörden strenger kontrolliert werden. Der Schauplatz der Tragödie lag unweit von der Upper Big Branch Mine, in der im April 2010 29 Bergarbeiter bei einer Kohlenstaubexplosion ums Leben kamen.

Weltweit kommen jedes Jahr schätzungsweise 12.000 Bergleute durch Dacheinstürze, Explosionen, Brände, Überschwemmungen und andere unter- oder überirdische Unfälle ums Leben. Zahllose weitere erleiden durch Staublungen (Pneumokoniose) einen langsamen Erstickungstod. In China starben im letzten Jahr laut Regierungsangaben 1.049 Menschen bei Grubenunfällen.

Der brutale Wettbewerb um die niedrigsten Arbeitskosten war auch der Hintergrund des Massakers von Marikana in Südafrika am 16. August 2012. Die Regierung des Afrikanischen Nationalkongresses ließ mit Unterstützung durch die National Union of Mineworkers 34 streikende Platinbergarbeiter ermorden, um Südafrikas Ruf als Billiglohnland für die globalen Bergbaukonzerne zu schützen.

Die Katastrophe in Soma ist ein Armutszeugnis für das ganze kapitalistische System. Die herrschenden Klassen der Welt sind entschlossen, die Uhr zurückzudrehen und wieder zu Bedingungen brutaler Ausbeutung, Kinderarbeit und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungn zurückzukehren, die in den Industrienationen vor mehr als einem Jahrhundert herrschten, um ihren unersättlichen Hunger nach Profiten und persönlichem Reichtum zu schützen, der sich durch die globale Wirtschaftskrise von 2008 noch verschärft hat.

Die einzige Antwort darauf ist die Mobilisierung der Arbeiterklasse an den Arbeitsplätzen und politisch, um der Unterwerfung des Lebens der arbeitenden Bevölkerung unter das Profitsystem en Ende zu bereiten. Wenn die Sicherheit und das Wohlergehen der Bergleute und anderer Industriearbeiter wichtiger werden soll als das Profitstreben der globalen Konzerne, müssen die Banken, der Bergbau und andere Großindustrien ihren kapitalistischen Eigentümern aus den Händen genommen und unter die Kontrolle der Arbeiterklasse, der produzierenden Kraft der Welt, gebracht werden.

Die globale Bergbauindustrie muss im Rahmen der Entwicklung einer weltweiten sozialistischen Planwirtschaft in öffentliches Eigentum umgewandelt werden. Nur so können die Interessen der Gesellschaft als Ganze garantiert werden, darunter auch Sicherheit für die Arbeiterklasse.

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