Berlin: SPD kann nur noch Gegner mobilisieren

Es war eine wahrlich groteske Veranstaltung, die zentrale Europawahl-Kundgebung der SPD auf dem Berliner Alexanderplatz am Montag.

Eine Partei, die in den 70er und selbst den 80er oder 90er Jahren in Berlin noch Zigtausende Menschen bei Kundgebungen versammeln konnte, saß nun als kleines Häuflein von höchstens 300 meist älteren SPD-Anhängern und Gewerkschaftsfunktionären auf Bänken vor der Rednertribüne, ängstlich sich umblickend nach den vielen, zahlenmäßig überlegenen Demonstranten, die mit Protestschildern und Buhrufen die Redner empfingen.

Schulz, Steinmeier und Wowereit (ganz rechts)

Dabei hatte die SPD mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten und Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten Martin Schulz, dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der Berliner Kandidatin Sylvia-Yvonne Kaufmann und dem Berliner Landesvorsitzenden Jan Stöß prominente Redner aufgefahren und versucht, mit einer Musikgruppe junge Leute anzulocken.

Bereits bei der Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann gab es Tumulte. Sie saß bis 2009 für Die Linke im Europäischen Parlament, wechselte danach zur SPD und behauptete nun, die SPD wolle dafür sorgen, dass „Europa nicht als Interessengemeinschaft der Wirtschaft wahrgenommen“ werde.

Der sichtlich nervöse Berliner SPD-Vorsitzende Jan Stöß beschwor den Fall der Mauer, als 25.000 zu einer SPD-Versammlung auf dem Alexander-Platz gekommen seien. Nun müsse die SPD dafür sorgen, rief er wütend, dass Nazis und – mit Blick auf die Demonstranten – „andere Spinner aus dem Europaparlament herausgehalten“ werden.

Wowereit wertete die gegen ihn gerichteten Tumulte und Buhrufe zynisch als Beweis, dass Europa noch Leidenschaften wecken könne.

Als Steinmeier zum Rednerpult trat, erschallten Rufe „Kriegstreiber“, bezugnehmend auf seine aktive Rolle in der Ukraine und sein aggressives Auftreten gegen Russland. Er ließ darauf sein schiefes TV-Lächeln fallen und denunzierte die Demonstranten als Rechtsradikale und als „Krakeeler“, die „Europa kaputt“ machten.

Es gebe „immer noch Menschen, die Europa nicht verstanden haben“, rief Steinmeier unterbrochen von Buhrufen, die SPD dagegen stelle sich „der größten außenpolitischen Herausforderung 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg“. Die „totgeglaubten Geister des Kalten Kriegs“ kehrten zurück. In der Wirtschaftskrise müsse man in Europa zusammenstehen und Selbstbewusstsein und Stärke zeigen.

Steinmeier wiederholte hier nur leicht abgewandelt seine Worte auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar, als er unisono mit Verteidigungsministerin von der Leyen und Bundespräsident Gauck das „Ende der militärischen Zurückhaltung“ verkündete, weil Deutschland sich den Herausforderungen stellen müsse.

Das Ergebnis ist bekannt: Seit dem Putsch in Kiew am 22. Februar gehört Steinmeier an der Seite von Vertretern der Obama-Regierung zu den ständigen Beratern der nicht gewählten Jazenjuk-Regierung und ihrer faschistischen Minister, die jetzt einen blutigen Bürgerkrieg provozieren.

Er benutzt zugleich die Ukraine-Krise, um den deutschen Militarismus voranzutreiben. Seit Mai propagiert Steinmeiers Auswärtiges Amt auf einer neuen Website den deutschen Führungsanspruch in Europa. Ein Beitrag trägt den Titel: „Deutschlands Bestimmung: Europa führen, um die Welt zu führen.“

Nach Steinmeiers Rede bemühten sich die sozialdemokratischen Wahlkampfmanager, wenigstens beim Auftritt von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz eine für die SPD schmeichelhaftere Situation zu vermitteln. Junge Cheerleader feuerten wie im amerikanischen Wahlkampf die müden SPD-Funktionäre auf den Bänken zu rhythmischem Beifall an. Ob zusätzlicher Beifall aus Lautsprechern eingespielt wurde, war nicht ganz ersichtlich. Der Klang war teilweise etwas blechern.

Zuvor verteilten sich Juso-Funktionäre mit Martin-Schulz-Plakaten unter die Gegendemonstranten und versuchten, durch Beifallklatschen hinter den Reihen der Demonstranten zustimmende Reaktionen der Bevölkerung vorzutäuschen, was allerdings einsam verhallte.

Martin Schulz versuchte in seiner Rede, die Rolle der SPD bei der brutalen EU-Austeritätspolitik schönzureden. Schlecht gespielt, vergoss er Krokodilstränen über die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal, über die Ausbeutung von Frauen – und sogar über die gierigen Bankenchefs und Spekulanten, die sich an den EU-Rettungspaketen bereichert hätten.

Vielen Zuhörern drehte sich der Magen um – war doch die SPD bei allen Entscheidungen über die Bankenrettungspakete und die Sparprogramme in Griechenland, Spanien, Portugal und anderen Ländern federführend.

Passanten am Rande der Kundgebung, die mit Wahlhelfern der Partei für Soziale Gleichheit diskutierten, drückten ihre Abscheu über die Kriegspolitik der SPD und aller Bundestagsparteien aus. Über tausend Aufrufe „Kämpft gegen Krieg, wählt PSG!“ wurden verteilt. „Die SPD nimmt sowieso keiner mehr ernst“, kommentierte ein Arbeiter, der sagte, er habe früher für die SPD gestimmt, gehe aber schon längst nicht mehr wählen.

Die Kundgebung führte eines plastisch vor Augen: Die einstige Massenpartei SPD ist heute ein exklusiver Verein von Karrieristen, staatstragenden Bürokraten und Gewerkschaftsfunktionären und hat alle Verbindungen zur Bevölkerung gekappt. Sie ist eine rechte Staatspartei, die längst die Fähigkeit verloren hat, ihre aggressive imperialistische Politik nach außen und extrem arbeiterfeindliche Politik nach innen mit sozialen Phrasen zu vertuschen.

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