Regierung setzt Offensive in der Ostukraine fort

Der einwöchige “einseitige Waffenstillstand”, den der ukrainische Präsident Petro Poroschenko verkündet hat, ist schon jetzt als Betrug entlarvt. Trotz seines Inkrafttretens am Freitag, 22 Uhr Ortszeit, setzen die ukrainischen Streitkräfte ihren so genannten „Antiterror“-Feldzug in der Ostukraine fort und bekämpfen die prorussischen Separatisten, die das von den Westmächten installierte Regime in Kiew ablehnen.

Poroschenko übernahm die Macht am 7. Juni nach einer Wahl, an der nur 54 Prozent der ukrainischen Bevölkerung teilnahmen. Weite Teile des Landes boykottierten die Wahl. Poroschenko hat einen 15-Punkte-„Friedensplan“ vorgelegt, in dem er eine Machtdezentralisierung, baldige Neuwahlen, eine zehn-Kilometer-Pufferzone an der ukrainisch-russischen Grenze und eine angebliche Amnestie für Separatisten anbietet.

Aber eine Erklärung des Innenministeriums machte klar, dass das kaum mehr als ein Ultimatum an die Anti-Kiew Kräfte ist, sich zu ergeben. In der Erklärung hieß es: „Das soll den Terroristen ermöglichen, die Waffen niederzulegen. Wer das nicht tut, wird vernichtet.“

Am Tag bevor der Waffenstillstand am Freitag in Kraft treten sollte, kam es in der Nähe von Krasni Liman östlich von Slawjansk zu schweren Gefechten. Ein Sprecher der Regierung brüstete sich damit, dass 200 Rebellen getötet und hunderte verwundet worden seien.

Igor Strelkow, Kommandeur der Donbas-Volksmiliz, sagte, seine Männer seien stark in der Unterzahl und schlechter ausgerüstet und würden ihre Stellungen in dem Gebiet wahrscheinlich aufgeben müssen. Er appellierte an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, ihnen zu helfen. Er sagte: „Ich hoffe, sie haben in Russland noch genügend Gewissen, um etwas zu unternehmen.“

Pawel Gubarew, der selbsternannte Gouverneur der Volksrepublik Donetzk, sagte, bei Slawjansk gebe es keinen Waffenstillstand. „Ständig wird geschossen. Poroschenkos Waffenstillstand ist ein Betrug. Die ukrainischen Kräfte sind entweder außer Kontrolle, oder er ist einfach ein Lügner.“

Der Ministerpräsident der Volksrepublik Donetzk, Alexander Borodai, fügte am Samstag hinzu: “Auch seit gestern Abend gehen die Kämpfe weiter. Poroschenkos Artillerie beschießt Slawjansk, und die Luftwaffe hat mehrere Angriffe geflogen. Das Gerede über einen Waffenstillstand ist genau das – Gerede.“

Wie es am selben Tag aus Moskau hießt, war ein russischer Zollinspektor von einer Kugel getroffen worden, als ukrainische Soldaten über die Grenze schossen. Das russische Außenministerium nannte diesen Zwischenfall „eine direkte Provokation“ und fügte hinzu: „Wie passt das mit der angeblichen Einstellung der Feindseligkeiten zusammen, die Kiew heute verkündet hat?“

Trotz der fortlaufenden militärischen Offensive behaupteten die westlichen Medien bereitwillig, für den Bruch des Waffenstillstands seien Gegenangriffe prorussischer Kräfte verantwortlich. Wladislaw Selezniow, ein Sprecher in Kiew, sagte: „In allen diesen Fällen wurden die Angriffe der Kämpfer abgewehrt“, Opfer habe es nur auf Seiten der Rebellen gegeben.

Gleichzeitig verschärfen die USA und die Nato ihre Drohungen. Am Donnerstag sprach Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen im Royal Institute of International Affairs im Chatham House, dem wichtigsten militärischen Thinktank Großbritanniens. Er behauptete, dass Russland „mindestens ein paar tausend“ Soldaten an seine Grenze zur Ukraine verlege.

“Die internationale Gemeinschaft müsste entschlossen reagieren, wenn Russland weiter eingreift”, drohte er. „Russlands Aggression gegen die Ukraine ist der Versuch, internationale Regeln neu zu schreiben und wieder Einflusssphären zu schaffen.“

Am nächsten Tag beschuldigten die Vereinigten Staaten Russland, „weitere Panzer in Stellung zu bringen” und „Artillerie in Südwestrussland zusammenzuziehen“. Niemals seit der Invasion der Krim im März hätten russische Truppen so nah an der Grenze gestanden, behauptete ein Sprecher.

Ein ukrainischer Regierungssprecher behauptete: “Zahllose Tatsachen belegen, dass Russland Waffen und militärische Ausrüstung an die Terroristen liefert.”

In einem Interview am Wochenende erklärte Nato-Generalsekretär Rasmussen, der im September in Wales stattfindende Nato-Gipfel finde unter Bedingungen einer „dramatisch veränderten“ Sicherheitslage in Europa statt. Das sei die Folge der illegalen Militäraktionen Russlands in der Ukraine.

Die Nato habe “Bodenübungen” in den baltischen Ländern durchgeführt, sagte er. „Wir werden nicht zögern, weitere Schritte zu ergreifen, wenn das für die Sicherheit und den Schutz unserer Verbündeten notwendig ist.“ Er fuhr fort: „Wir haben versucht, eine Partnerschaft mit Russland zu entwickeln, aber offenbar betrachtet Russland uns nicht als Partner, sondern als Gegner, und darauf müssen wir uns natürlich einstellen.“

Die USA drängen darauf, dass ein EU-Gipfel in Brüssel diese Woche schärfere Sanktionen gegen Russland verhängen solle. Deutschland, Frankreich und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben positiv darauf reagiert. Sie versuchen, damit der Furcht vor hohen Wirtschaftskosten und vor einer Gefährdung der Gaslieferungen aus Russland entgegenzuwirken, die ein Drittel des europäischen Verbrauchs ausmachen. Der Präsident der Europäischen Kommission, Manuel Barroso, sagte auf einer Pressekonferenz: „Ich erwarte eine gemeinsame Position der Mitgliedsstaaten.“

Die Moskauer Regierung ist sehr an einer Stabilisierung ihrer wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zum Westen und einer Beruhigung ihrer Unterstützer unter den russischen Oligarchen interessiert. Daher sucht sie eine wie auch immer geartete Verständigung mit den USA, der EU und der Nato. Dennoch hat sie keine andere Wahl, defensive Schritte zu ergreifen.

Am Freitag gab der Kreml eine recht eindeutig ablehnende Stellungnahme zu Poroschenkos Waffenstillstand heraus und erklärte: „Das ist keine Einladung zu Frieden und Verhandlungen, sondern ein Ultimatum an die Milizen in der Südostukraine, ihre Waffen niederzulegen.“

Der russische Außenminister Lawrow sagte: “Es ist beunruhigend und bereitet Sorge, dass gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Waffenstillstands (…) die so genannten Antiterroroperationen verstärkt weitergehen.“

Am Samstag äußerte sich Putin allerdings wesentlich versöhnlicher und unterstützte Poroschenkos Waffenstillstand “sowie seine erklärte Absicht, weitere konkrete Schritte in Richtung einer friedlichen Lösung zu gehen“. Putin mahnte „sinnvolle Verhandlungen und einen politischen Kompromiss zwischen den gegnerischen Seiten in der Ostukraine an“.

Die militärischen Spannungen nehmen weiter zu. Am 19. Juni wurden umfangreiche Nato-Manöver in der Ostsee mit dreißig Schiffen bekannt. Konteradmiral Rick Snyder sagte an Bord der USS Mount Whitney gegenüber der Presse: „Russland hat früher an diesen Manövern teilgenommen und war auch dieses Jahr eingeladen. Diese Einladung wurde aber nach den Ereignissen auf der Krim und in der Ukraine von den Vereinigten Staaten zurückgezogen.“

Die Mount Whitney ist das Führungsschiff der 42. jährlichen BALTOPS-Übung. Sie soll „die multinationalen Marinefähigkeiten und das Zusammenwirken in der Theatre Security Cooperation (TSC) Strategie in der baltischen Region verbessern“. An der Übung nehmen vierzehn Länder teil.

Russland bestreitet wesentliche Umgruppierungen seiner Kräfte an die Grenze zur Ukraine. Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow erklärte am Freitag, Russland sei über die Sicherheitslage beunruhigt, aber: „Nur die Grenzwachen erhalten einige Verstärkungen. Truppen sind sogar zurückgezogen worden.“

Dagegen brachte das Kreml-freundliche Medium RT am 21. Juni einen großen Bericht unter der Überschrift „Putin ordnet eine Überraschungsübung an, um die Gefechtsbereitschaft der Zentralrussischen Kräfte zu testen.“ Es hieß dort: „Alle russischen Kräfte in Sibirien, dem Ural und darüber hinaus sind in Alarmbereitschaft versetzt worden, sagte Verteidigungsminister Sergei Schoigu, nachdem Präsident Putin die Übung unverhofft angekündigt hatte.“

Über 65.000 Soldaten des Zentralen Militärdistrikts seien in Bereitschaft versetzt worden, um die Einsatzbereitschaft aller Truppenteile während großer Manöver zu testen. „Die Übungen beinhalten Truppenbewegungen einschließlich Material, Schießübungen und komplexe Inspektionen.“

Schoigu bestätigte, dass alle Truppen des Zentralen Militärdistrikts eine Woche lang, vom 21. bis zum 28. Juni, „in höchste Gefechtsbereitschaft versetzt worden” seien. Beteiligt seien 5.500 militärische Fahrzeuge, 180 Flugzeuge und 60 Hubschrauber.

Der Alarm trat direkt nach Inkrafttreten von Poroschenkos Waffenstillstand in Kraft und soll am Tag nach Ende des Waffenstillstands enden.

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