General Electric steigt bei Alstom ein

Der amerikanische Großkonzern General Electric (GE) übernimmt für 12,4 Milliarden Euro die Energiesparte des französischen Alstom-Konzerns. Einige Geschäftsbereiche wird GE gemeinsam mit Alstom als Joint Ventures führen. Nur das Bahngeschäft bleibt vorderhand eigenständig bei Alstom.

Dieser Entscheidung hat Ende Juni 2014 der Alstom-Verwaltungsrat zugestimmt, und nach langen und turbulenten Verhandlungen hat auch die französische Regierung die Bedingungen akzeptiert, die GE-Chef Jeffrey R. Immelt anbot. Der französische Staat selbst steigt mit 20 Prozent bei Alstom ein.

Die Übernahme der Geschäftsfelder für Stromerzeugung und Energieübertragung hat strategische Bedeutung für die globale Energiesparte, die von wenigen großen Konzernen beherrscht wird. Mit der Übernahme hat GE seinen deutschen Rivalen Siemens ausgestochen und die Gewichte im weltweiten Konkurrenzkampf um die Energiesparte verschoben.

Alstom unterhält zudem enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, das auf Druck der Vereinigten Staaten in wachsendem Maße mit wirtschaftlichen Sanktionen belegt wird. Die Übernahme von Alstom durch den US-Konzern dürfte diese Entwicklung beschleunigen.

Die Kosten dafür werden die Arbeiter in zahlreichen Ländern (Frankreich, USA, Deutschland, Schweiz, etc.) zu tragen haben. Der Deal geht mit Angriffen auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen einher.

General Electric gilt als viertgrößter Konzern der Welt und hat für die Vereinigten Staaten große Bedeutung. Schon Lenin hatte die 1892 gegründete General Electric Company als Beispiel für „einen neuen, die ganze Welt umspannenden Trust“ bezeichnet. Heute hat GE weltweit 305.000 Beschäftigte und verzeichnete im Jahr 2013 einen Umsatz von nahezu 150 Milliarden Dollar. Die Finanzabteilung GE Capital wird zuweilen als fünfte Bank der Vereinigten Staaten bezeichnet.

GE ist für die USA so wichtig, dass die US-Notenbank Federal Reserve dem Konzern nach der Finanzkrise von 2008 zu Hilfe eilte und GE-Anteile in Höhe von sechzehn Milliarden Dollar übernahm. GE-Chef Immelt, selbst Mitglied im Fed-Aufsichtsrat, wurde von Obama zum Vorsitzenden der nationalen Arbeitsmarktkommission (Commission on Jobs and Competitiveness) ernannt. In seinen eigenen Werken ist Immelt für rigorosen Stellenabbau und Lohnsenkungen berüchtigt.

Mit der Energiesparte übernimmt GE nun den größten Geschäftsbereich von Alstom. Während GE die lukrativen Gasturbinen vollständig integriert, werden die Bereiche Netztechnik, erneuerbare Energien (Wasserkraftwerke und Offshore-Windkraft) und Nukleartechnik in Gemeinschaftsunternehmen überführt, und nur das Bahngeschäft bleibt vorläufig eigenständig bei Alstom.

Der französische Konzern beschäftigt etwa 86.000 Mitarbeiter in hundert Ländern und hatte im Jahre 2013 einen Jahresumsatz von 20,3 Milliarden Euro. Infolge der Wirtschaftskrise kämpft Alstom jedoch mit rückläufigen Bilanzen, weil der Stromverbrauch in Europa sinkt.

Brisant ist die Übernahme durch GE, weil Alstom seit einigen Jahren in wachsendem Maße in Russland aktiv ist: So in der Produktion von Eisenbahnen und Nahverkehrszügen sowie im Nuklearbereich. Alstom stellt Lokomotiven für Russland her und betreibt eine Reihe von Joint Ventures mit russischen Unternehmen: Gemeinsam mit RosAtom baut Alstom Kernkraftwerke in Russland, gemeinsam mit RusHydro Wasserkraftwerke und gemeinsam mit Transmachholding (TMH) Straßenbahnen für Moskau.

Die Motive von GE sind wohl nicht nur wirtschaftlicher Natur. Es kann kein Zufall sein, dass GE gerade zu einem Zeitpunkt alles tut, um Alstom zu übernehmen, an dem sich die Ukraine-Krise verschärft und die USA immer aggressiver gegen Russland aufrüsten.

Im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland fordern amerikanische Politiker und die Nato schon seit längerem von Frankreich, dass es einen Verkauf von zwei Hubschrauberträgern vom Typ Mistral an Russland storniere. Am Bau der umstrittenen Mistral-Schiffe ist Alstom beteiligt. Sie werden auf einer Werft in südfranzösischen Saint-Nazaire gebaut, an der Alstom direkt und über mehrere Subunternehmen einen großen Anteil hält.

Die US-Regierung hatte Frankreich ausdrücklich aufgefordert, die versprochenen und teilweise bereits bezahlten zwei Hubschrauberträger nicht an Russland auszuliefern. Nur wenige Tage vor Abschluss des Übernahmedeals zwischen GE und Alstom hatte US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland am 16. Juni „tief bedauert“, dass Frankreich auf der Lieferung der zwei Schiffe nach Russland bestehe.

Im Kampf um die europäischen Märkte und Einflussgebiete spielt außerdem eine Rolle, dass GE Siemens ausgestochen hat. GE und Siemens sind direkte Konkurrenten. Beide Konzerne sind für ihre jeweiligen Länder von großer Bedeutung. Beide sind Marktführer im Energiesektor, im Bau von Dampfturbinen für AKWs, aber auch im strategisch-militärischen Bereich, zum Beispiel im Bau von Atom-U-Booten.

Sowohl Siemens als auch GE haben einen bedeutend größeren Marktanteil am weltweiten Gasturbinen-Markt als Alstom. GE ist mit fast 40 Prozent Marktanteil der größte Produzent von Gasturbinen, dicht gefolgt von Siemens mit ca. 30 Prozent. Alstom besitzt hier lediglich etwa vier Prozent Marktanteil. Im Bereich der Dampfturbinen, die in Kernkraft- und Kohlekraftwerken eingesetzt werden, besitzt Alstom mit 4 Prozent etwa den gleichen Marktanteil wie die Konkurrenten Siemens (4 Prozent) und GE (3 Prozent).

Die französische Regierung hat sich vehement gegen die GE-Übernahme gesträubt. Der Verkauf eines derartigen Flaggschiffs der nationalen Industrie in amerikanische Hände stieß auf Empörung. Früher war die französische Wirtschaft in fast allen strategischen Bereichen autonom. Nun sind zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs über die Hälfte der vierzig führenden, börsennotierten Aktiengesellschaften (CAC 40) in ausländischer Hand.

Die Zeitungen sind voller kritischer Artikel, die nationalistische Töne anschlagen. So brachte MondeAfrique am 12. Juli einen Artikel, der zutiefst bedauert, dass die Energiesparte von Alstom an GE verkauft werde, weil der Verkauf „unsere militärische und energiepolitische Autonomie in Frage stellt“. Der Redakteur argumentierte: „Alstom hätte wirklich französisch bleiben können“, doch man habe General Electric „den roten Teppich“ ausgerollt. Die Verhandlungen enthüllten „die Kompromissbereitschaft und tiefe Blindheit gewisser französischer Verantwortlicher in Bezug auf die reale Konkurrenz am Weltmarkt“.

Solche Kritik richtet sich gegen die Regierung von François Hollande von der Sozialistischen Partei (PS). Deren Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg verteidigte sich mit dem Argument, Frankreich müsse Bündnisse eingehen, um sich gegen die Globalisierung zu wappnen. Er hatte lange darauf bestanden, auch das Siemens-Angebot zu prüfen, um Zeit zu gewinnen und einen Weg zu finden, die Energiesparte wenigstens in europäischer Hand zu behalten.

Hollande bestellte sowohl Immelt als auch Siemens-Chef Joe Kaeser zu Audienzen in den Élysée-Palast, doch am Ende setzte sich Alstom-Chef Patrick Kron mit dem Verkauf an GE durch.

Die französische Regierung führte ein Gesetz ein, das dem Staat ein Vetorecht bei Firmenübernahmen sichert, welche nationale Interessen betreffen. Als die Entscheidung für GE fiel, wurde gleichzeitig festgelegt, dass der französische Staat am Aktienkapital von Alstom mit zwanzig Prozent beteiligt werden müsse.

Die Regierung hatte Alstom Ende 2003 schon einmal unter großer staatlicher Beteiligung mit 800 Millionen Euro vor der Insolvenz gerettet und dem Konzern 2004 noch einmal 2,25 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Doch machte die EU-Wettbewerbsbehörde damals Druck, Alstom in private Hände zu überführen und nicht weiterhin mit Staatshilfe zu unterstützen.

Darauf übernahm 2006 der französische Bau- und Medienkonzern Bouygues Aktienanteile in Höhe von 21 Prozent vom französischen Staat. Nicolas Sarkozy, ein Duzfreund von Martin Bouygues, war Wirtschaftsminister und stand kurz davor, französischer Präsident zu werden. Bis zum Jahr 2013 kamen weitere Aktienpakete hinzu, so dass Bouygues heute mit insgesamt 29,4 Prozent größter Aktionär von Alstom ist.

Nun will der französische Staat ein zwanzigprozentiges Aktienpaket von Bouygues zurückkaufen, hat aber die nötigen Mittel nicht bei der Hand. Bouygues hat dem französischen Staat bereits das Stimmrecht für die Alstom-Aktien abgetreten, doch der Verkauf der Anteile steht noch aus und soll frühestens 2015 abgeschlossen sein.

Deutsche Zeitungen wie das Handelsblatt haben sofort betont, der Deal zwischen GE und Alstom sei ein Fall für die EU-Kartellbehörde, die weitere Auflagen machen müsse. Man werde genau beobachten, wie es in Frankreich weiter gehe. Siemens-Chef Kaeser sagte der Bild-Zeitung, falls die europäischen Wettbewerbshüter Zugeständnisse von GE und Alstom forderten, sei Siemens immer noch bereit, Teile des Unternehmens zu kaufen.

Was die Gewerkschaften betrifft, so haben sie sich fest auf die Seite der nationalen Interessen ihrer jeweiligen Regierung gestellt. Genau wie die deutsche Regierung haben auch IG Metall und DGB „ihren“ Energieriesen Siemens im Kampf um Alstom ausdrücklich unterstützt. Auch die CGT in Frankreich gebärdete sich als Hüter der nationalen Interessen. „Wir erleben, wie unsere industriellen Kapazitäten zerschlagen werden“, beschwerte sich der CGT-Vertreter Bernard Devert.

Der Alstom-Europabetriebsrat hat sich bisher überhaupt nicht öffentlich zur Übernahme geäußert, ebenso wenig der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB/EMF/FEM). Die Arbeiter müssen die wenigen Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangen, der Presse entnehmen.

In der Schweiz, wo Alstom der größte Arbeitgeber im Kanton Aargau ist, musste der Konzern die Personalvertretung nicht einmal über die Verhandlungen informieren, da die Schweiz nicht EU-Mitglied und somit nicht dem EU-Recht unterworfen ist. Im Europäischen Betriebsrat ist der Schweizer Standort überhaupt nicht vertreten.

In Baden im Aargau, dem weltweiten Sitz von Alstom Power, werden heute noch die Gasturbinen entwickelt. Durch die Übernahme dieses Bereichs durch GE sind von den 6.500 Schweizer Arbeitsplätzen über viertausend bedroht.

In Deutschland beschäftigt Alstom etwa 9.000 Mitarbeiter an Standorten wie Mannheim, Salzgitter und Berlin, von denen besonders Mannheim, wo Gas- und Dampfturbinen gebaut werden, durch die GE-Übernahme bedroht ist.

In Italien hat Alstom vor einigen Jahren den Zughersteller FIAT Ferroviaria übernommen. Auch in Polen und Spanien unterhält Alstom zahlreiche Standorte.

Was GE in den Vereinigten Staaten betrifft, so ist der Konzern für seinen rigorosen Arbeitsplatzabbau und seine Angriffe auf Arbeiterrechte berüchtigt und kennt in dieser Beziehung keinerlei Skrupel. Nach der Wirtschaftskrise von 2008 wurden 31 Unternehmen geschlossen und rund 19.000 Arbeitsplätze vernichtet. In den letzten Monaten wurden in zahlreichen Werken wieder massiv Arbeitsplätze abgebaut, darunter 950 Arbeitsplätze in Erie (Pennsylvania), 400 Stellen in zwei Werken in New York, einhundert in Greenville (South Carolina) und 160 Arbeitsplätze in Bloomington (Indiana).

Der Kampf um die Arbeitsplätze kann nur Erfolg haben, wenn er international und unabhängig von den Gewerkschaften geführt wird. Hinzu kommt, dass die Arbeiterklasse den Kampf gegen die Kriegsgefahr aufnehmen muss, die sich im Wettlauf der imperialistischen Mächte um die globalen Märkte immer akuter stellt.

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