Israel führt bisher heftigstes Bombardement im Krieg im Gazastreifen durch

Das israelische Militär führte am Dienstag das bisher brutalste Bombardement seines dreiwöchigen Krieges gegen den Gazastreifen durch. Das kleine, verarmte Gebiet wurde aus der Luft, vom Boden und vom Meer aus unter Beschuss genommen, die Folge waren hunderte zusätzliche zivile Opfer.

Die Sprecher der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) behaupteten zwar, der verschärfte Angriff habe 110 "Terrorziele" getroffen, tatsächlich richtete er sich jedoch gegen wichtige Infrastruktur und demonstrativ nicht-militärische Ziele, darunter vor allem das einzige Kraftwerk des Gazastreifens, das Finanzministerium, ein Hochhaus, in dem die Zentrale des Fernseh- und Radiosenders Al Aqsa untergebracht ist, und die Häuser führender Politiker der Hamas.

Zum ersten Mal während des Krieges war das Zentrum von Gaza, wohin sich viele vor der Gewalt nahe der israelischen Grenze geflüchtet hatten, Hauptziel des Angriffs.

Ganze Stadtteile wurden in Trümmer gelegt, viele hundert Wohnhäuser zerstört. Laut Behörden in Gaza wurden in den zweiundzwanzig Tagen seit Beginn des israelischen Angriffs etwa 5.000 Häuser komplett zerstört, weitere 26.000 wurden beschädigt.

Bis Dienstagabend meldete das palästinensische Gesundheitsministerium mehr als 130 neue Todesopfer seit Israel seinen verheerenden Angriff auf den Gazastreifen fortgesetzt hat, die Gesamtzahl überstieg damit die 1.200.

Es scheint mittlerweile sicher, dass die IDF bald ihren eigenen blutigen Rekord bei palästinensischen Opferzahlen im Gazastreifen brechen werden, den sie in der Operation Gegossenes Blei erreicht hatte, die während des Jahreswechsels 2009 stattfand. Damals hatten sie 1.400 Palästinenser getötet.

Die Hilfsorganisation Roter Halbmond meldete, dass zu den jüngsten Opfern der IDF sieben Mitglieder einer Familie gehörten, die bei einem Luftangriff in Rafah im Süden des Gazastreifens umkamen. Durch Panzerbeschuss wurden weitere sieben Mitglieder einer zweiten Familie in ihrem Haus getötet.

Zu den Toten vom Dienstag gehörten mehrere Kinder, die bisher ein Drittel aller Todesopfer ausmachen. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan war eines der Opfer die fünfzehnjährige Tahrir Nasser, die bei einem israelischen Luftangriff auf ihr Haus in al-Salatin im Norden des Gazastreifens getötet wurde. Die Leichen zweier junger Geschwister, des zweijährigen Muhammad Atta al-Najjar und des dreijährigen Rafif al-Najjar wurden in das Nasser-Klinikum in Khan Junis im Süden des Gazastreifens gebracht.

Laut dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe wurden 194.000 Kinder im Gazastreifen verwundet, viele davon schwer, haben Eltern, Verwandte oder ihr Zuhause verloren und brauchen dringend psychologische Hilfe.

"Die physischen Folgen sind offensichtlich. Es wird chronische Komplikationen geben, die das Leben dieser Kinder für immer verändern werden," sagte Doktor Said Salah, ein Kinderarzt des Kamal Odwan-Krankenhauses in Beit Lahiya, dem Wall Street Journal. "Psychologisch werden alle diese Kinder für den Rest ihres Lebens geschädigt sein," fügte er hinzu.

Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen wurde durch Panzerbeschuss zerstört, allerdings behaupteten israelische Sprecher, sie wüssten nicht, wer dafür verantwortlich war und deuteten an, es könnte eine fehlgelenkte Hamas-Rakete gewesen sein – genau wie sie es bei früheren Massakern an spielenden Kindern in einem Park und an Flüchtlingen in einer UN-Schule oder dem Angriff auf das wichtigste Krankenhaus in dem Gebiet behauptet hatten.

Die Granaten zerrissen die Haupt-Treibstofftanks und verursachten einen Großbrand; eine riesige schwarze Rauchsäule stieg über Gaza auf. Jamal Dardasawi, ein Sprecher des Stromkonzerns im Gazastreifen, erklärte, fünfzehn Arbeiter seien von dem Feuer in der Anlage eingeschlossen, ihr Schicksal sei noch unklar.

Die Gaza-Energiebehörde warnte, es könnte ein Jahr lang dauern, den Schaden am Kraftwerk zu reparieren. Schon vor dem Angriff hatten die Bewohner des Gazastreifens kaum drei Stunden Strom am Tag.

Die weitere Einschränkung der Stromversorgung bedeutet eine Verschärfung der humanitären Katastrophe in dem Gebiet und gefährdet das Leben der Verwundeten und Kranken in medizinischen Einrichtungen, denen bereits jetzt Medizin und grundlegendste Vorräte fehlen.

Jesse Rosenfeld berichtete aus dem al-Shifa-Krankenhaus in Gaza für die Daily Beast, das Personal verzeichne einen Anstieg von vorzeitigen Geburten seit dem Beginn der israelischen Offensive um bis zu zwanzig Prozent. Aber angesichts der Stromausfälle funktionierten Brutkästen nicht mehr. "Diese winzigen Wesen – sogar zu winzig, um die Augen zu öffnen – werden die Welt nie sehen, in die sie geboren wurden," schreibt Rosenfeld. "Das Krankenhauspersonal hat mir gesagt, mindestens drei Säuglinge seien während der Stromausfälle gestorben."

Die Stromausfälle haben auch den Mobilfunkdienst für hunderttausende von Einwohnern des Gazastreifens beeinträchtigt, sodass sie nicht in der Lage sind, den Notdienst zu rufen, wenn ihre Häuser bombardiert oder ihre Familien verwundet werden.

Ohne Strom haben außerdem die Pumpen im Gazastreifen den Betrieb eingestellt, sodass die Bevölkerung keinen Zugang zu Wasser hat. Auch Kläranlagen wurden angegriffen und die Müllabfuhr wurde eingestellt. Das Ergebnis davon ist eine zunehmende Hygienekrise, die viele weitere Opfer fordern könnte.

Vor den Angriffen am Dienstag auf den Gazastreifen hatte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die Nation bei einem Fernsehauftritt aufgerufen, sich auf einen langen Feldzug vorzubereiten. Ferner ging ihnen die schwersten Verluste voraus, die Israel an einem Tag verzeichnet hatte: am Montag wurden fünf Soldaten bei einer Schießerei mit Hamas-Kämpfern getötet, die aus einem Tunnel in Israel kamen und ihren Posten angriffen. Vier weitere wurden bei einem Mörserangriff getötet, ein zehnter starb bei Kämpfen im Süden des Gazastreifens.

Das Blutbad am Dienstag deutet darauf hin, dass sich die Netanjahu-Regierung entschieden hat, für diese militärischen Todesopfer Rache zu nehmen, indem sie Tod und Zerstörung über die Zivilbevölkerung des Gazastreifens bringt. Bisher waren 80 Prozent der Todesopfer im Gazastreifen Zivilisten, im Gegenzug wurden in drei Wochen Krieg nur drei israelische Zivilisten und 53 IDF-Soldaten getötet.

Die Zahlen zeigen, dass trotz aller Vorwürfe des "Terrorismus" gegen die Hamas Israel die Kraft ist, die einen terroristischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führt, während die Palästinenser einen Verteidigungskampf gegen einen deutlich überlegenen militärischen Aggressor führen.

Berichte über einen angeblichen Waffenstillstand am Dienstag führten zu nichts, nachdem zuerst beide Seiten behaupteten, eine gemeinsame Delegation von palästinensischen Fraktionen und der israelischen Regierung hätte einen kurzzeitigen humanitären Waffenstillstand akzeptiert, der angeblich zu Gesprächen in Kairo führen sollte.

Die Ankündigung war zuerst von der Palästinensischen Befreiungsorganisation im Westjordanland erfolgt. Später am gleichen Tag zitierte der israelische Fernsehsender Channel 2 einen israelischen Regierungsvertreter, der erklärte, alle Seiten hätten sich geeinigt.

Die Hamas dementierte die angebliche Einigung als erste und erklärte, sie habe keinen Waffenstillstand akzeptiert und würde dies auch erst tun, wenn Israel die Kampfhandlungen einstellen würde. Die israelische Regierung dementierte später ebenfalls, einen Waffenstillstand akzeptiert zu haben.

Nach den Bedingungen des gescheiterten Abkommens hätten die IDF den Gazastreifen weiterhin besetzt halten können, um ihr vorgebliches Ziel zu erfüllen, die Tunnel in dem Gebiet zu zerstören.

Auch die USA und Israel lieferten unstimmige Erklärungen über die Anstrengungen zu einem Waffenstillstand ab. S-Außenminister John Kerry erklärte am Dienstag, Netanjahu habe die USA um Hilfe bei der Vermittlung einer Einigung gebeten und hinzugefügt, diese Einigung müsse Israel "erlauben, sich gegen die Tunnel zu schützen und dürfte Israel angesichts der großen Opfer, die es bisher erbracht habe, vor allem nicht benachteiligen."

Vertreter Israels dementierten, eine solche Bitte um Unterstützung an die USA gerichtet zu haben. Israelische Regierungsstellen erklärten der Nachrichtenagentur AFP: "Es war genau anders herum: Kerry war derjenige, der die Option eines Waffenstillstandes mit Netanjahu ins Gespräch gebracht hat." Weiter erklärten sie, Netanjahu habe gesagt, die Operation der IDF würde fortgesetzt werden, "bis die Mission erfolgreich ist."

Diese jüngste Ohrfeige für den US-Außenminister hat nichts daran geändert, dass Washington weiterhin das "Recht" des zionistischen Staates unterstützt, "sich zu verteidigen." Republikaner und Demokraten im Kongress wetteifern darum, wer sich mehr dafür einsetzt, die Kriegsmaschinerie der IDF mit Nachschub zu versorgen.

Umfragen deuten darauf hin, dass trotz der überwältigenden proisraelischen Propaganda in den amerikanischen Medien die Wut über Israels Blutbad im Gazastreifen zunimmt, vor allem unter jüngeren Amerikanern. Eine aktuelle Gallup-Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass 51 Prozent der 18- bis 29-jährigen Israels Vorgehen im Gazastreifen für ungerechtfertigt halten, 25 Prozent unterstützen Israels Vorgehen. Diese Ansichten finden keinen Ausdruck innerhalb des herrschenden politischen Establishments.

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