Steinmeiers UNO-Rede: Kriegspropaganda in pazifistischem Gewand

Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) hat am Samstag vor den Vereinten Nationen den Anspruch Deutschlands auf eine Großmachtrolle unterstrichen. Er verband Drohungen gegen Russland mit der Forderung nach einer massiven Militärintervention im Nahen und Mittleren Osten und mehr deutscher „Verantwortung“ in der Welt.

Steinmeier versuchte, diese aggressive Außenpolitik zynisch als „Friedenspolitik“ zu verkaufen, die sich auf die Lehren aus den Kriegen und Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts gründe. Zu Beginn seiner Rede erinnerte er an „den Sommer vor 100 Jahren“, als „die Welt im Ersten Weltkrieg versank“, und an den deutschen Überfall auf Polen 1939, der „die Welt in einen Zweiten Weltkrieg stürzte“.

Dann erklärte er, für ihn sei die „wichtigste Lehre aus dieser Geschichte die Gründung der Vereinten Nationen“ gewesen, welche „die Hoffnung der Welt auf Frieden verkörpern“. Ihr friedlicher Grundgedanke setze „anstelle des Rechts der Stärkeren die Stärke des Rechts“. Sie lösten „Konflikte am Verhandlungstisch und nicht mehr auf dem Schlachtfeld“ und brächten „Frieden, indem die Welt Schritt für Schritt die zynische Logik der Gewalt hinter sich lässt“.

Der russische Revolutionär Leo Trotzki hatte am 23. November 1933 den Artikel „Pazifist Hitler“ veröffentlicht. Darin beschrieb er, wie selbst Hitler zu Beginn seiner Herrschaft den „Frieden“ und die „Völkerverständigung“ beschwor. Das Nazi-Regime, so Trotzki, war Ende 1933 noch zu schwach, als dass es „in der nächsten Zeit eine andere Sprache als die des Pazifismus reden könnte“. Es werde aber „im Verlauf von einigen Jahren“, wenn es aufgerüstet habe, von „‘Mein Frieden‘ wieder übergehen zu ‚Mein Kampf‘ und sogar zu ‚Mein Krieg‘“.

Steinmeier benötigte am Rednerpult in New York keine 15 Minuten, um von leeren Phrasen über „Frieden“ zum Ruf nach „Krieg“ und deutscher „Führung“ überzugehen. Zunächst wurde aus seinem „Frieden“ eine „Friedenshoffnung“. Dann stellte er fest, dass deren „Fundament bedroht“ sei: „Bedroht von Geistern der Vergangenheit und von neuen Dämonen. Im Jahr 2014 scheint unsere Welt aus den Fugen geraten. Die Krisen überschlagen sich,“ erklärte er.

Die Schlussfolgerung des Außenministers: „Und weil das so ist, reicht es nicht, nach den Vereinten Nationen zu rufen. Sondern wir müssen diesen Ruf mit Leben füllen! Die Hoffnung bleibt nur eine Hoffnung, ein unerreichbares Ziel, wenn es nicht Staaten gibt, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Die Vereinten Nationen sind kein Forum, an das wir Verantwortung abschieben – Die Vereinten Nationen sind ein Forum, durch das wir Verantwortung auf uns nehmen!“ Dann fügt er hinzu: „Deutschland, eingebettet im vereinten Europa, ist bereit, Verantwortung in und mit den Vereinten Nationen zu übernehmen.“

Das ist die zynische Sprache des zu neuem Leben erwachenden deutschen Imperialismus. War Nazi-Deutschland im Oktober 1933 aus dem Völkerbund (dem Vorläufer der Vereinten Nationen) ausgetreten, um wieder aufzurüsten und sich auf Krieg vorzubereiten, zieht es die Bundesregierung heute – zumindest bislang – vor, im Rahmen der bestehenden internationalen Organisationen zu Militarismus und Weltmachtpolitik zurückzukehren.

Nach etwa fünfminütiger Rede hatte Steinmeier seine pazifistischen Floskeln weitgehend abgelegt und holte zu einer Hetztirade gegen Russland aus. Er müsse „an dieser Stelle den Konflikt in der Ukraine ansprechen,“ polterte er. Russland habe „als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats ... mit der Annexion der Krim einseitig bestehende Grenzen in Europa verändert und damit Völkerrecht gebrochen. Diesem gefährlichen Signal mussten wir uns entgegenstellen.“ Es dürfe nicht zugelassen werden, „dass die Kraft des Völkerrechts von innen ausgehöhlt wird“. Deutschland habe deshalb „mit seinen Partnern Verantwortung übernommen und sich mit aller Kraft für die Entschärfung des Konflikts eingesetzt“.

Es ist nicht möglich, hier auf alle Lügen und Verdrehungen einzugehen, die dieser Absatz enthält. Der Außenminister will über die deutsche „Verantwortung“ in der Ukraine-Krise sprechen? Werfen wir einen Blick darauf.

Im Ukraine-Konflikt ist nicht Russland der Aggressor, sondern die westlichen Mächte, insbesondere Deutschland. Im Februar organisierten Berlin und Washington in enger Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften wie der Swoboda-Partei und dem Rechten Sektor einen Putsch gegen den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, nachdem sich dieser geweigert hatte, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Steinmeier selbst spielte dabei eine zentrale Rolle. Nur einen Tag vor dem Putsch empfing der den Swoboda-Führer und berüchtigten Anti-Semiten Oleh Tjahnybok in der deutschen Botschaft in Kiew. Swoboda unterhält nicht nur enge Verbindungen zur deutsche NPD, sondern verehrt ukrainische Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch, die am Massenmord an den ukrainischen Juden beteiligt waren.

Mit ihrer aktuellen Ukraine-Politik knüpfen Steinmeier und die Bundesregierung an die Kriegsziele des Dritten Reichs und des Kaiserreichs an, die in zwei Weltkriegen versucht hatten, die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich herauszubrechen und unter deutsche Kontrolle zu bringen. Gegenwärtig unterstützt die Bundesregierung das Regime des Oligarchen Petro Poroschenko, das einen brutalen Bürgerkrieg gegen die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung der Ostukraine führt. Sie verfolgt damit nicht nur das Ziel, die Ukraine ihrem Einflussbereich einzuverleiben, sondern auch Russland selbst zu schwächen und zu unterwerfen.

Steinmeier ließ in seiner Rede keinen Zweifel an der Bereitschaft der deutschen Regierung, zur Erreichung seiner geostrategischen und wirtschaftliche Ziele militärische Gewalt anzuwenden. Er brachte es fertig, Russland für seinen angeblichen Völkerrechtsverstoß auf der Krim zu attackieren und im nächsten Absatz für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der imperialistischen Mächte im Nahen und Mittleren Osten zu werben. Er benutzte die Gräueltaten des Islamischen Staats, um eine massive Ausweitung des Kriegs zu fordern, und betonte dabei die militärische Rolle Deutschlands.

„Unsere Antwort muss weit über die unmittelbar notwendige humanitäre und militärische Antwort hinausgehen. An beidem beteiligt sich Deutschland mit erheblichen Beiträgen, auch militärisch! Aber all das muss eingebettet sein in eine politische Allianz gegen den ISIS-Terror. Dieser Allianz schließt mein Land sich mit Nachdruck an und ich setze darauf, dass insbesondere die Gesellschaften im Mittleren Osten dies auch tun in der Erkenntnis, dass weit mehr auf dem Spiel steht als nur ihre Sicherheit.“

Seine Rede beendete Steinmeier mit der kaum verhohlenen Forderung, Deutschland als ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufzunehmen und dafür das Veto-Recht Russlands einzuschränken. „Die Vereinten Nationen sind nicht fertig,“ verkündete er. „Vielleicht sind sie niemals fertig. Sie müssen sich fortentwickeln, zwar so, dass sie in all ihren Teilen, auch im Sicherheitsrat, die Welt von heute widerspiegeln.“

Steinmeiers Rede vor den Vereinten Nationen muss als Drohung verstanden werden. Geht es nach den deutschen Eliten, wird „die Welt von heute“ wieder mehr „der Welt von damals“ ähneln. Einer Welt, in der „das Recht der Stärkeren“ herrscht, Konflikte wieder auf dem Schlachtfeld gelöst werden, „die zynische Logik der Gewalt“ zurückkehrt und Deutschland erneut nach der Weltmacht greift.

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