Lokführer und Piloten im Streik

Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat ihre Mitglieder am Mittwoch erneut zum Streik aufgerufen. Neben den Lokführern beteiligten sich auch Zugbegleiter, Bordgastronomen sowie Disponenten an dem 14-stündigen Ausstand. Von Mittwochnachmittag um 14 Uhr bis Donnerstag früh um 4 Uhr standen die meisten Züge der Deutschen Bahn still. Betroffen waren der Fern-, Regional- und Güterverkehr sowie die S-Bahnen.

Die GDL verlangt für die Beschäftigten fünf Prozent mehr Geld, zwei Stunden weniger Wochenarbeitszeit und vor allem eine Begrenzung der Überstunden auf 50 pro Jahr. Wegen des massiven Arbeitsplatzabbaus der letzten beiden Jahrzehnte schieben Lokführer teilweise mehrere Hundert Überstunden vor sich her.

Am heutigen Donnerstag streiken zudem die Piloten der Lufthansa-Tochter Germanwings. Sie legen von 12 Uhr bis Mitternacht ihre Arbeit nieder. Zuletzt waren die Piloten bei Germanwings Ende August für sechs Stunden in den Ausstand getreten.

Im Tarifstreit geht es um die künftigen Übergangsregelungen für 5.400 Piloten und Co-Piloten der Fluggesellschaften Lufthansa, Lufthansa-Cargo und Germanwings. Die Lufthansa hatte die bisherigen Regeln zum Jahresende 2013 gekündigt und will massive Verschlechterungen erreichen, so dass die Piloten später in den bezahlten Vorruhestand wechseln können.

Doch beide Tarifkonflikte gehen über Fragen der Entlohnung, Arbeitszeit und Rentenregelung hinaus. Die Spartengewerkschaften GDL und Vereinigung Cockpit werden von der Bahn und der Lufthansa massiv unter Druck gesetzt und gezielt provoziert. Die Streiks sollen als Begründung für das von der Bundesregierung vorbereitete Gesetz zur sogenannten Tarifeinheit herhalten.

Das Gesetz, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) noch in diesem Herbst vorlegen will, soll den Mitgliedsorganisationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ein Machtmonopol geben. Es sieht vor, dass zukünftig nur noch die größte Gewerkschaft in einem Betrieb Tarifverhandlungen führen und zum Streik aufrufen darf. Kleinere Gewerkschaften – wie die GDL, Cockpit, UFO (Fluglotsen) und Marburger Bund (Ärzte) – verlören die Existenzgrundlage.

Praktisch läuft das auf die Abschaffung des Streikrechts hinaus. Gestreikt werden dürfte dann nur noch mit Einwilligung der DGB-Gewerkschaften, die bei Lohnsenkungen, Entlassungen und der Einführung prekärer Arbeitsformen seit Jahren eng mit den Unternehmen und der Bundesregierung zusammenarbeiten.

Medien, Politik und Unternehmerverbände führen eine intensive Kampagne gegen die Lokführer und Piloten, um diesem Gesetz den Boden zu bereiten, dessen Verfassungsmäßigkeit höchst umstritten ist.

Während die Piloten als „Edel-Beschäftigte“ dargestellt werden, die ihre „Privilegien“ verteidigen, ist dies bei den Lokführern, die bei harten Arbeitsbedingungen und einer Sechs-Tage-Woche mit 2.500 Euro Brutto nach Hause gehen, nicht möglich. Daher greifen die Medien den GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky an, um den berechtigten Arbeitskampf der GDL zu diskreditieren. Er wird regelmäßig als „Egomane“, „Egoist“ oder gar als „Heiliger Krieger“ bezeichnet, der an „Größenwahn“ leide.

Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber warf der Gewerkschaft gestern erneut vor, aus purem Eigennutz zu handeln. Im ZDF-Morgenmagazin erklärte er, er habe sich mit Weselsky für Mittwoch oder Donnerstag zu Gesprächen verabredet. „Dass Stunden, bevor diese Gespräche überhaupt erst beginnen, die GDL zum Streik aufruft“, so Weber, „das ist schon eine Dreistigkeit und Unverschämtheit.“

Tatsächlich hat Weber, der in den Medien unwidersprochen zu Wort kommt, der GDL das provokative „Angebot“ unterbreitet, die Löhne und Gehälter der Lokführer solange um zwei Prozent zu erhöhen, bis das Tarifeinheitsgesetz in Kraft ist, was Jahre dauern kann. „Die DB verlangt von uns tatsächlich, dass wir die Füße stillhalten, bis wir gesetzlich abgeschafft werden“, kommentierte das Weselsky.

Bahn-Vorstand Weber wird von der DGB-Gewerkschaft Eisenbahn- und Verkehr (EVG) unterstützt. Weber hat Verhandlungen abgelehnt, solange sich die GDL nicht mit der EVG darauf einigt, wer welche Berufsgruppe in den Verhandlungen vertritt. Die EVG beansprucht, für alle Berufsgruppen außer den Lokführern zu verhandeln. Die GDL weist darauf hin, dass sie unter dem „fahrenden Personal“ mehr Mitglieder hat, als die DGB-Gewerkschaft, und verlangt „autonome“ Verhandlungen. Eine Unterordnung der GDL unter die EVG würde das Tarifeinheitsgesetz vorwegnehmen.

Die EVG spielt mit ihrer Haltung eine Schlüsselrolle beim Vorgehen der Bahn gegen die GDL und damit auch beim Angriff auf das Streikrecht. Der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner warf gestern der GDL vor, die Belegschaft zu spalten. „Die Polarisierung und Spaltung der Belegschaft muss endlich ein Ende haben“, forderte der EVG-Vorsitzende. Alle Beteiligten müssten „Gesamtverantwortung für die gesamte Belegschaft übernehmen“, heißt es in der Presserklärung der EVG.

Für Kirchner und die EVG bedeutet „solidarische Gewerkschaftsarbeit“ und „Kooperation“ Unterordnung der Beschäftigten unter die Interessen der Konzerne und des Staats.

Der Angriff auf das Streikrecht der Lokführer und Piloten dienen der Vorbereitung auf massive soziale Auseinandersetzungen. Die Bundesregierung reagiert auf die wirtschaftliche und politische Krise der Europäischen Union mit einem aggressiven Militarismus nach außen und Angriffen auf demokratische und soziale Rechte im Innern.

Seit Bundespräsident Joachim Gauck und die Bundesregierung Anfang des Jahres das Ende der militärischen Zurückhaltung verkündet haben, wird wieder massiv aufgerüstet. In den beiden derzeit wichtigsten internationalen Konflikten, der Ukraine und dem Nahen Osten, spielt Deutschland bereits jetzt eine aktive politische und militärische Rolle.

Soziale und politische Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert. Um die Milliarden für die Aufrüstung aufzubringen, wird die Regierung weitere Sozialkürzungen vornehmen. Und Kriegseinsätze der Bundeswehr werden von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Dagegen richtet sich die vereinte Front der Medien, der Politik, der Konzerne und des DGB.

Vor hundert Jahren hatten die Gewerkschaften im Ersten Weltkrieg einen „Burgfrieden“ mit der Reichsregierung geschlossen, alle Lohnkämpfe eingestellt und Streiks unterdrückt. Heute unterstützt der DGB die Kriegspolitik der Bundesregierung und setzt sich dafür ein, das Streikrecht einzuschränken.

Die beschränkte Sichtweise von CDU-Mitglied Weselsky und der GDL, die dem konservativen Beamtenbund angehört, kann dem nichts entgegensetzen. Der wachsende Militarismus und die damit einhergehenden Angriffe auf die Rechte der Arbeiter erfordern eine politische Antwort – der internationale Zusammenschluss aller Arbeiter auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Weselsky sieht den Streik unter anderem als Mittel, den Mitgliederschwund der Gewerkschaften zu stoppen – und signalisieret schon jetzt seine Bereitschaft zu Zugeständnissen.

Er sehe mit Sorge, dass die Gewerkschaften bundesweit nur noch einen Organisationsgrad von 18 Prozent hätten, sagte er der Springer-Zeitung Die Welt. „Die GDL stemmt sich gegen diese Entwicklung und spielt dabei eine führende Rolle in der Gewerkschaftsbewegung.“ An die Bahn gerichtet sagte er: „Der Arbeitgeber weiß, dass wir bereit sind, bei den inhaltlichen Verhandlungen auch Zugeständnisse zu machen.“

Man schlägt den Sack und meint den Esel. Die Angriffe auf Weselsky gelten den Lokführern, Piloten und allen Arbeitern, die für ihre Rechte kämpfen und ihre Löhne und sozialen Errungenschaften verteidigen.

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