Brasiliens Arbeiterpartei steht vor knappstem Ergebnis seit zwölf Jahren

Nur zwei Tage vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl in Brasilien am 26. Oktober vergrößerte die Amtsinhaberin Dilma Rousseff von der PT (Arbeiterpartei) ihren Vorsprung in den Umfragen gegenüber ihrem Konkurrenten von der brasilianischen Rechten, Arcio Neves von der PSDB (Sozialdemokratische Partei Brasiliens), noch einmal.

IBOPE, das wichtigste Umfrageinstitut Brasiliens gab Rousseff 54 Prozent der Stimmen gegenüber 46 Prozent für Neves. Aber wie auch immer das genaue Ergebnis aussehen mag: die PT scheint auf das knappste Ergebnis seit ihrer Regierungsübernahme vor zwölf Jahren zuzusteuern. Damals war der ehemalige Metallarbeiter Luiz Inacio Lula da Silva zum Präsidenten gewählt worden.

Die Umfrageergebnisse vom Donnerstag markieren die letzte Phase eines von scharfen Wendungen charakterisierten Wahlkampfs. Zwischenzeitlich war eine dritte Kandidatin, die ehemalige Umweltministerin der PT, Marina Silva von der Sozialistischen Partei Brasiliens, in Führung gesehen worden. Schließlich landete sie in der ersten Runde der Wahl nur abgeschlagen auf Platz drei bei zwanzig Prozent.

Rousseff hatte in der ersten Runde am 5. Oktober 41,6 Prozent der gültigen Stimmen erhalten gegenüber 33,5 Prozent für Neves. Vor einer Woche wiesen die Umfragen jedoch fast ein Patt aus mit 51 Prozent für Neves und 49 Prozent für Rousseff.

Die scharfen Schwankungen sind symptomatisch für die brasilianische Wählerschaft, die zunehmend unzufrieden mit ihrer sozialen Lage ist. Diese Stimmung fand im Juni vergangenen Jahres machtvollen Ausdruck, als Millionen auf die Straße gingen, um angesichts der hohen Ausgaben für die Fußballweltmeisterschaft gegen die Verschlechterung der Gesundheitsversorgung, der Bildung und des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs zu protestieren,.

Gleichzeitig bietet keiner der Kandidaten die Aussicht auf eine Verbesserung der Lage. Die PT ist trotz ihrer gelegentlichen linken Spiegelfechtereien und demagogischen populistischen Äußerungen genauso wie die PSDB ein Instrument des Finanzkapitals und der Wirtschaft und verteidigt deren Profite gegen die sozialen Interessen der Arbeiterklasse.

Es ist in herrschenden Finanzkreisen allgemeiner Konsens, dass die nächste Regierung, gleich wer die Wahl gewinnt, wirtschaftspolitische Anpassungen vornehmen wird, die darauf hinauslaufen, eine Sparpolitik gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen und die Profitabilität des brasilianischen und ausländischen Kapitals zu erhöhen.

Rousseff hat ihren Wahlkampf unter das Motto “Eine neue Regierung mit neuen Ideen” gestellt, ohne zu verraten, welche Veränderungen sie in einer zweiten Amtszeit vorzunehmen gedenkt. Das einzig Sichere ist, dass sie ihren Finanzminister Guido Mantega ersetzen wird. Offiziell heißt es, Mantega scheide aus „persönlichen Gründen“ aus. Aber faktisch hat er im Zentrum der Angriffe derer gestanden, die der Regierung vorgeworfen haben, eine nicht ausreichend „investitionsfreundliche“ Politik gemacht zu haben.

Hinter der Forderung nach Veränderung, worunter die brasilianischen Arbeiter etwas ganz anderes verstehen, als die Finanz- und Wirtschaftsoligarchie, steht das Abdriften der Wirtschaft in eine Stagflation. Die jährliche Wachstumsrate wird dieses Jahr vermutlich nur 0,27 Prozent betragen und die Preise werden um 6,5 Prozent steigen. Auf den wachsenden Unmut über steigende Lebensmittelpreise reagierte Rousseffs Staatssekretär für Wirtschaft mit dem unverschämten Ratschlag, wer sich über zu hohe Rindfleischpreise beschwere, solle doch Hühnchen oder Eier essen.

Die PT hat im Wahlkampf “mudança com segurança” oder „Wandel mit Sicherheit“ propagiert und das dem „radikalen Wandel“ unter einem Präsidenten Neves gegenübergestellt.

Die PT verwandte große Mühe darauf, die heutige Lage in Brasilien mit den Bedingungen zu kontrastieren, die herrschten, als die PSDB das letzte Mal mit Fernando Henrique Cardoso von 1995 bis 2003 den Präsidenten stellte. Damals hatte die Regierung neoliberale Reformen durchgesetzt. Es fanden weitgehende Privatisierungen statt und die Haushaltspolitik der Regierung war darauf ausgerichtet, die Auslandsschulden zu bedienen.

Rousseff und ihre Anhänger stellen die Sache so hin, als ob eine erneute Machtübernahme der PSDB eine Rückkehr zu den Bedingungen vor elf Jahren unter Cardoso bedeuten würde, als es elf Prozent Arbeitslosigkeit gab. Außerdem sei die Abschaffung des von der PT eingeführten Sozialhilfeprogramms Bolsa Familia zu befürchten.

In Wirklichkeit haben die PT-Regierungen, sowohl unter Lula, wie unter Dilma, eine Wirtschaftspolitik betrieben, die die von Cardoso fortsetzte, der auch schon Sozialhilfeprogramme für die Ärmsten aufgelegt hatte. Eine geringere Arbeitslosigkeit und Armut ist nicht in erster Linie das Ergebnis von Initiativen der PT, sondern eher von äußeren Faktoren. Dazu gehören steigende Rohstoffpreise aufgrund gestiegener Nachfrage Chinas nach brasilianischen landwirtschaftlichen Produkten und Rohstoffen, sowie gestiegener Auslandsinvestitionen.

Rousseffs Vorgänger Lula prahlte einmal damit, dass die Weltfinanzkrise, die 2008 ausbrach, Brasilien nichts anhaben könne Aber inzwischen ist klar, dass dem nicht so ist. Die offizielle Arbeitslosigkeit ist zwar immer noch recht niedrig, aber die Schaffung neuer Arbeitsplätze lässt zu wünschen übrig. In einigen Schlüsselsektoren wie der Auto- und Autoteileproduktion nehmen Entlassungen und Werksschließungen ständig zu. Im letzten Monat veröffentlichte Zahlen, die später korrigiert wurden, wiesen aus, dass die Einkommensungleichheit in Brasilien, die zu den höchsten in der Welt gehört, wieder einmal steigt.

Die Tageszeitung Folha de Sao Paulo berichtete am Donnerstag, dass die Rousseff-Regierung Statistiken für verschiedene wichtige gesellschaftliche Sektoren bis nach der Wahl zurückhält. Dazu gehört die Armutsrate, die erneut steigt, die Steuereinnahmen, die wahrscheinlich zurückgehen werden, und das Ausmaß der Vernichtung des Regenwalds im Amazonas, das nach der Schätzung einer NGO um 190 Prozent angestiegen ist.

Teile der brasilianischen Pseudolinken greifen in den Wahlkampf ein und fordern Arbeiter auf, am 26. Oktober für Rousseff zu stimmen. Darunter befinden sich auch Elemente, die eine bedeutende Rolle bei der Gründung der PT gespielt haben, um die revolutionäre Offensive der brasilianischen Arbeiterklasse in die sicheren Bahnen bürgerlicher Politik zu lenken.

Einige tun das mit der schuldbewussten Parole, das “kleinere Übel” zu unterstützen. Die Bewegung der Sozialistischen Linken, eine Moreno-Tendenz, die innerhalb der PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) arbeitet und von Elementen gegründet wurde, die aus der PT ausgeschlossen wurden, betonte, man müsse wählen zwischen der Amputation eines Armes mit Betäubung und seiner Amputation ohne Betäubung. Wie auch immer, diese Tendenz ist der Meinung, dass die brasilianische Arbeiterklasse ihre Zerlegung akzeptieren muss.

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