Bundesparteitag der Grünen

Grün verpackte Reaktion

Eines muss man den Grünen lassen. Sie sind Meister darin, auch die reaktionärsten Inhalte in hehre Worte von Freiheit, Humanität und Frieden zu verpacken. Davon war auch ihr Parteitag am letzten Wochenende in Hamburg geprägt.

Ihre Parolen erinnern an George Orwells „Neusprech“. Die Verschärfung des Asylrechts heißt bei den Grünen „Humane Asylpolitik“, der Militarismus „Europäische Friedenspolitik“ und der neoliberale Wirtschaftskurs „Wir wollen Freiheit für alle“.

Der Hauptantrag des Bundesvorstands trug die Überschrift „Freiheit Grün Gestalten – emanzipatorisch und partizipativ, verantwortungsbewusst und solidarisch“. Er erklärt die „Freiheit“ zum „Grundwert“ der Grünen und definiert sie ganz im Sinne des Wirtschaftsliberalismus. Im Namen von „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“ tritt der Antrag für Sparpolitik und Sozialabbau ein – für eine „seriöse Haushaltspolitik“ und die „Befreiung kommender Generationen von Schuldenbergen“.

Ein Antrag, den Verweis auf abzubauende Schuldenberge zu streichen, wurde abgelehnt, der Hauptantrag mit überwältigender Mehrheit angenommen.

In der Kriegspolitik haben die Grünen ihre Wandlung bereits vor vielen Jahren vollzogen. Als sie 1998 in die Bundesregierung eintraten, setzte ihr grüner Außenminister Joschka Fischer den ersten internationalen Kampfeinsatz der Bundeswehr durch. Deutschland beteiligte sich an der Bombardierung Serbiens durch die NATO.

Doch während es damals auf dem Parteitag noch heftige Konflikte gab und Fischer von einem Farbbeutel getroffen wurde, protestierte diesmal niemand, nicht einmal symbolisch, als der Leitantrag „Europäische Friedenspolitik“ vorgestellt wurde. Dieser kleidet die Unterstützung für den wiedererwachten deutschen Militarismus in grüne Rhetorik.

Cem Özdemir, einer der beiden Parteivorsitzenden, verteidigte in Hamburg seine Unterstützung der Politik der Bundesregierung im Mittleren Osten. Diese beliefert eine der Bürgerkriegsparteien, die kurdischen Peshmerga, mit Waffen, um eine Art Stellvertreterkrieg zu organisieren. „Man muss die Kurden in die Lage versetzen, sich zu wehren“, rechtfertigte dies Özdemir.

Die Politik der Bundesregierung geht Özdemir allerdings nicht weit genug. Er will ein stärkeres Engagement der Bundeswehr. Nach einem Irak-Besuch hatte er kurz vor dem Parteitag gemeinsam mit Parteifreund Tom Koenigs, dem früheren UN-Sonderbeauftragten in Kosovo und Afghanistan, sowie der Vorsitzenden der Grünen Jugendorganisation Theresa Kalmer ein gemeinsames Papier verfasst, das weitere Schritte zur Unterstützung der Peshmerga fordert.

„Nach den Waffenlieferungen müssen die Peshmerga-KämpferInnen an den Waffen in größerem Umfang ausgebildet und militärtaktisch geschult werden“, heißt es darin. Dafür sei „mehr Bundeswehrpersonal von Nöten“.

Deutschland müsse sich außerdem „für internationale Schutzzonen einsetzen, um bedrohten Minderheiten, wie z. B. die Jesidinnen und Jesiden, Schutz“ zu bieten. Solche Schutzzonen hatten in Libyen als Vorwand für ein massives militärisches Eingreifen gedient. Auch müsse sich Deutschland „dafür einsetzen in großem Umfang MinensucherInnen in das Gebiet zu entsenden“.

Der Bundesparteitag sprach sich im Leitantrag zur „Europäischen Friedenspolitik“ zwar mehrheitlich gegen deutsche Waffenlieferungen an die irakischen Kurden aus. Aber der Leitantrag respektiert ausdrücklich „die Gewissensfreiheit der Abgeordneten, die zu einer anderen Einschätzung gelangt sind“, d.h. für die Waffenlieferungen gestimmt haben. Mit anderen Worten, den grünen Bundestagsabgeordneten ist freigestellt, deutsche Kriegseinsätze zu unterstützen, auch wenn dies in Widerspruch zur offiziellen Parteilinie steht.

Grundsätzlich unterstützte der Parteitag deutsche Militäreinsätze in Krisenregionen, wenn auch mit viel moralischem Stöhnen. „Der Einsatz militärischer Kriegsgewalt ist unabhängig von seinen Zielen ein großes Übel“, heißt es im Leitantrag. „Doch in manchen Situationen kann er geboten sein, um noch größeres Übel zu verhindern.“ Dies gelte „etwa zur unmittelbaren Gewalteindämmung“.

Mit dieser Begründung forderte die Bundestagsfraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt den Einsatz deutscher Bodentruppen im Irak und in Syrien, um „die Zivilbevölkerung zu schützen“. Der Parteitag beschloss, einen solchen Einsatz im Bedarfsfall zu prüfen.

Ähnlich verlief die Diskussion in der Asylrechtsfrage. Hier stellten sich die Delegierten des Bundesparteitags, wie schon die des Landesparteitags in Baden-Württemberg vor zwei Wochen, hinter den dortigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Er hatte im September im Bundesrat für die erforderliche Mehrheit gesorgt, um die Balkanländer Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Flüchtlinge aus diesen Ländern können nun ohne Prüfung umgehend wieder abgeschoben werden. Betroffen sind insbesondere Roma, die in diesen Ländern rassistischen Übergriffen schutzlos ausgeliefert sind.

Als die Jugendorganisation der Grünen während Kretschmanns Rede mit Plakaten gegen seine Entscheidung protestierte, stellten sich die beiden Partei-Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir demonstrativ an seine Seite. Nach der Abstimmung im Bundesrat hatte Peter Kretschmanns Entscheidung noch als „falsch“ bezeichnet, nun stand sie ihm bei.

Die grünen Jung-Funktionäre trotteten davon und Kretschmann verteidigte seine Entscheidung unter dem Applaus der Delegierten. Wie immer, wenn die Grünen eine Wendung nach rechts vollziehen, vergaß auch Kretschmann nicht zu betonen, wie schwer ihm dieser „Kompromiss“ gefallen sei. Jeder wisse doch, wie „skrupulös“ er mit sich gerungen habe. Seine Aussage „Nur wer Kompromisse macht, kann auch von anderen welche erwarten“, wurde von den Delegierten bejubelt.

Den Beschluss zur Asylpolitik, an dem der Bundesvorstand und Kretschmann gemeinsam gearbeitet hatten, nahm der Parteitag mit großer Mehrheit an. Unter der Überschrift „Schutz statt Abschottung – für eine humane Flüchtlingspolitik!“ heißt es dort heuchlerisch, die Grünen hielten zwar „die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten um die Länder Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien in der Sache für falsch und in der Form europarechtlich für umstritten“. Doch die Entscheidung sei „Teil eines Gesamtpakets“ gewesen, „das auch reale Verbesserungen für Flüchtlinge in unserem Land enthielt“.

Dieser Zynismus wurde von einem weiteren Beschluss noch übertroffen, der die Bundesregierung auffordert, jährlich ein kleines Kontingent von 5.000 Roma aus dem Balkan zuzulassen. „Das individuelle Recht, Asyl zu suchen, wird durch das Kontingent nicht beeinträchtigt“, heißt es darin. „Wir fordern deswegen auch weiterhin eine individuelle Prüfung der Asylanträge, besonders auf Mehrfachdiskriminierung.“ Doch genau dies – die individuelle Prüfung – hat Kretschmann mit seiner Zustimmung abgeschafft.

Der Parteitag der Grünen in Hamburg konsolidierte die Rechtsentwicklung, die die Grünen während der letzten Jahre vollzogen haben. Der Parteitagsbeschluss „Grüner Aufbruch 2017“ listet die Themen auf, an denen sie sich „programmatisch weiterentwickeln wollen“. Sie reichen „vom Kampf gegen Massentierhaltung und für gesunde Lebensmittel für alle, über die ökologische Transformation, bis hin zur Zeitpolitik und der Neuvermessung unseres Freiheitsbegriffs“. Soziale Fragen gehören nicht dazu.

Es blieb dem Bundestagsfraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter vorbehalten, auf dem Parteitag der grünen Klientel, gut situierten und selbstgefälligen Teilen der oberen Mittelschicht, das neue Alleinstellungsmerkmal der Grünen zu erklären: Die Agrarwende – gemeint ist ein Verbot der Massentierhaltung – und „gutes Essen“.

Der Parteitag machte deutlich, wohin die Grünen damit „aufbrechen“ wollen: Sie sehen sich als Mehrheitsbeschaffer für CDU und SPD, die in der Bevölkerung zunehmend diskreditiert sind. Sie stimmen mit ihnen in allen wesentlichen Fragen überein und kritisieren sie höchstens von rechts.

Schon jetzt sitzen die Grünen in sieben Bundesländern in der Regierung, in sechs gemeinsam mit der SPD und in Hessen mit der CDU. In Thüringen werden sie voraussichtlich bald eine gemeinsame Regierung mit SPD und Linkspartei bilden, unter Leitung eines Ministerpräsidenten der Linkspartei.

Im Antrag „Grüner Aufbruch“ ist aufgelistet, wer vor fast 35 Jahren die Partei gegründet hat: „ÖkologInnen, desillusionierte SozialistInnen, BürgerrechtlerInnen, Frauenbewegte, PazifistInnen, Lesben und Schwule, TierschützerInnen, AktivistInnen aus Bürgerinitiativen, JungdemokratInnen und noch viele mehr“. Der Hamburger Parteitag markiert das unwiderrufliche Ende der Periode, in der sich diese Art kleinbürgerlicher Identitätspolitik als fortschrittlich oder gar als links ausgeben konnte. Die Grünen sind eine rechte, bürgerliche Partei, die sich auf wohlhabende Teile der Mittelklasse stützt und immer offener in die Fußstapfen der siechenden FDP tritt.

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