Zum hundertsten Jahrestag des Weihnachtsfriedens im Ersten Weltkrieg

Am 24. Dezember dieses Jahres jährt sich zum hundertsten Mal der Weihnachtsfrieden (engl. Christmas Truce, franz. Trêve de Noël), einer der ergreifendsten Momente des Ersten Weltkrieges.

Am 24. Dezember 1914 brach an der Westfront, die sich über 700 Kilometer von der Schweizer Grenze bis zur Nordsee erstreckte, ein spontaner Waffenstillstand aus. Angesichts der Welle von kriegstreiberischer Reaktion, mit der alle kriegsführenden Mächte - Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich, Russland und Großbritannien - ihren Eintritt in den Krieg seit dem 28. Juli gerechtfertigt hatten, war dies ein außergewöhnliches Ereignis.

Britische und deutsche Soldaten treffen sich während des inoffiziellen Friedens im Niemandsland (britische Soldaten der Northumberland Hussars, 7. Division im Sektor Bridoux-Rouge Banc)

Der deutsche Imperialismus war in Belgien und Luxemburg eingefallen und stieß von dort aus vom Süden auf Frankreich vor, um an der Westfront einen schnellen Sieg gegen seine Gegner Großbritannien und Frankreich zu erringen (geplant waren dafür sechs Wochen) und danach die Aufmerksamkeit auf Russland im Osten zu richten.

Der britische und der französische Imperialismus wurden durch den anfänglich schnellen deutschen Vorstoß zwar militärisch in die Defensive gedrängt, konnten die Front jedoch stabilisieren und begannen, die Ressourcen ihrer Kolonialreiche zu mobilisieren. Gleichzeitig verhängten sie über Deutschland eine Seeblockade gegen Lebensmittellieferungen, um die deutsche Bevölkerung auszuhungern.

Im Dezember war einzig eine blutige und unsichere Pattsituation entstanden. Hunderttausende Männer standen sich in in kalten, nassen und von Ratten verseuchten Schützengräben entlang von "feindlichen Linien" gegenüber, die teilweise nur wenige Meter voneinander entfernt lagen. Es war klar, dass der Krieg nicht bis Weihnachten vorbei sein würde, wie anfangs behauptet wurde. Das große Blutbad hatte gerade erst begonnen.

Unter diesen Bedingungen brachen mehrere inoffizielle Waffenstillstände aus. An Heiligabend legten an der Westfront etwa 100.000 Soldaten die Waffen nieder und verbrüderten sich im Niemandsland zwischen den Schützengräben.

48 Stunden lang, teilweise sogar noch länger, sangen sie Weihnachtslieder und tauschten untereinander Zigaretten, Lebensmittel und persönliche Andenken aus. Fotos von verbrüderten britischen und deutschen Soldaten und Briefe der Soldaten in die Heimat belegen das Ereignis.

26. Dezember: Deutsche Soldaten des 134. Sächsischen Regiments und britische Soldaten des Royal Warwickshire Regiment treffen sich im Niemandsland

Der Weihnachtsfrieden war keineswegs ein generelles Ereignis. In vielen Frontabschnitten ging das Gemetzel weiter und der 24. Dezember 1914 war auch der Tag, an dem in Dover die erste deutsche Bombe auf britischen Boden fiel. In einigen Fällen wurden die Kampfhandlungen nur wenige Stunden lang unterbrochen - nur lange genug, um die Leichen zu bergen und zu bestatten, die in dem eisigkalten und desolaten Ödland verstreut lagen.

Das Ereignis ist heute hauptsächlich wegen des "Freundschafts"-Fußballspiels zwischen britischen und deutschen Soldaten am Weihnachtstag bekannt. Ob und wo ein solch großes Fußballspiel tatsächlich stattfand, ist umstritten - allerdings gibt es Beweise für kleinere Spiele.

Allerdings war die Waffenruhe zweifellos symptomatisch für eine weit verbreitete und wachsende antimilitaristische Stimmung. Der englischsprachigen Wikipedia zufolge, war der Weihnachtsfriede "nicht einzigartig, aber... das dramatischste Beispiel für Widerstand gegen die Kriegsstimmung, unter anderem durch die Weigerung zu kämpfen, inoffizielle Waffenruhen, Meutereien, Streiks und Friedensdemonstrationen."

Die kriegsführenden Eliten aller Nationen waren sich in ihrer Entschlossenheit einig, solche Aktionen zu verhindern. Innerhalb weniger Tage gaben das deutsche, britische und französische Oberkommando Befehle heraus, die Verbrüderungen unter Androhung schwerster Strafen verboten. Zu den Kritikern des Waffenstillstandes gehörte der Gefreite Adolf Hitler aus dem bayrischcen 16. Infanterieregiment: "Solche Dinge sollten in Kriegszeiten nicht passieren. Habt ihr Deutschen denn gar kein Ehrgefühl mehr?" beklagte er sich.

In Großbritannien galt der Weihnachtsfriede lange Zeit als Symbol für den Schrecken und die Sinnlosigkeit des Krieges und der massenhaften Ablehnung von patriotischer Leidenschaft.

Das ist der Grund für die Flut von Beschwerden gegen die jüngste Weihnachtswerbekampagne der Supermarktkette Sainsbury's. Ihre Werbung, in der gut gepflegte deutsche und britische Soldaten aus ihren jeweiligen Gräben kommen, um in einem ebenso sauberen Niemandsland Fußball zu spielen und einander Schokolade schenken, wurde zurecht heftig kritisiert.

Noch zynischer und grotesker sind die Versuche der britischen herrschenden Elite, den Weihnachtsfrieden für ihre eigenen Zwecke auszunutzen.

Großbritannien steht bei den Provokationen der Nato gegen Russland mit an erster Stelle. Zeitgleich mit der Ankündigung, dass britische Truppen im neuen Jahr in den Irak zurückkehren werden, wurde bekannt, dass Großbritannien eine neue Militärbasis in Bahrain baut - sein erster dauerhafter Stützpunkt im Nahen Osten seit 1971. Der Stützpunkt gilt als wichtige Unterstützung für Washingtons militärische Aufrüstung gegen Russland und China.

Daher fühlt sich die Bourgeoisie noch mehr unter Druck, den Ersten Weltkrieg "neu auszulegen," um neue imperialistische Angriffskriege zu legitimieren.

Am 12. Dezember enthüllte Prinz William eine Statue im National Memorial Arboretum, die dem Weihnachtsfrieden gedenkt. Fünf Tage davor fand im Fußballclub Aldershot ein "Friedensspiel" zwischen britischen und deutschen Soldaten statt. Die Einnahmen gehen an britische und deutsche Militärwohltätigkeitsorganisationen, an dem Spiel nahmen unter anderem der Oberbefehlshaber der British Army, General Sir Nicholas Carter teil.

Und Finanzminister George Osborn kündigte am 19. Dezember an, er werde für die Wohltätigkeitshymne zu Ehren des Weihnachtsfriedens, All Together Now, der von The Peace Collective aufgenommen wurde, keine Mehrwertsteuer erheben. Osborne erklärte, es sei "nur recht, dass wir den 100. Jahrestag des Weihnachtsfriedens 1914 nutzen, um unserer Soldaten zu gedenken, die im Ersten Weltkrieg für dieses Land gekämpft haben, und unsere tapferen Streitkräfte unterstützen, die noch immer zur Verteidigung Großbritanniens kämpfen."

Zweifellos waren die beteiligten Künstler bestürzt über Osbornes Äußerungen. Der Song wurde ursprünglich von Peter Hooton von der Band The Farm zu Ehren der Verbrüderung 1914 geschrieben. Hooton sagte über den Weihnachtsfrieden, er sei "ein spontaner Akt der Menschlichkeit, die stärker war als das Grauen und die Barbarei des Ersten Weltkrieges," und "eine Geschichte, die man noch in hundert Jahren kennen wird. Es ist eine Geschichte über Hoffnung und Frieden, die man immer wieder erzählen sollte."

Aber was dieser spontanen Tat solchen Pathos verleiht, ist die Tatsache, dass sie so kurzlebig und letzten Endes ergebnislos war. Das Gemetzel ging danach nicht nur weiter, sondern nahm noch mörderischere Ausmaße an. Bis zum Kriegsende im November 1918 hatte der Erste Weltkrieg sechzehn Millionen Todesopfer gefordert und war damit einer der tödlichsten Konflikte der Geschichte.

Die dauerhafte Lehre aus dem Weihnachtsfrieden, die auch heute noch von brennender Relevanz ist, ist die, dass die spontane, instinktive internationale Solidarität der Soldaten aus der Arbeiterklasse schon Monate zuvor von der Zweiten Internationale, der internationalen Bewegung der Parteien der Arbeiterklasse, die versprochen hatten, den imperialistischen Krieg abzulehnen, verraten wurde.

Die Vertreter marxistischer und sozialistischer Parteien hatten auf ihrem Kongress in Basel 1912 vor der Gefahr eines Krieges gewarnt und sich geschworen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um ihn zu verhindern. Für den Fall, dass er sich nicht verhindern lassen würde, versprachen ihre internationalen Sektionen, die Krise, die der Krieg schaffen würde, zu nutzen, um den Sturz des Kapitalismus zu beschleunigen.

Dieses Versprechen wurde am 4. August von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) - der größten und einflussreichsten Sektion der Zweiten Internationale - gebrochen, indem sie den Kriegskrediten des Kaisers zustimmte. Rosa Luxemburg schrieb dazu: "Am 4. August 1914 hat die deutsche Sozialdemokratie politisch abgedankt, und gleichzeitig ist die sozialistische Internationale zusammengebrochen."

Andere Sektionen folgten ihr, nur die serbischen und die russischen Sozialisten nicht. Die unnachgiebigsten Kriegsgegner waren die Bolschewiki unter Führung von Wladimir Lenin.

Als Reaktion auf die Nachricht vom Weihnachtsfrieden stellte Lenin die Frage, was geschehen wäre, wenn die Führer der Zweiten Internationale nicht der Bourgeoisie geholfen, sondern ein internationales Komitee gebildet hätten, um für Verbrüderungen und für Versuche zu agitieren, freundliche Beziehungen zwischen den Sozialisten der kriegsführenden Staaten, sowohl in den Schützengräben als auch unter den Soldaten allgemein aufzubauen " (Lenin, The Slogan of Civil War Illustrated, 29. März 1915).

Lenins Analyse kam zu dem Schluss, dass die Ursache des Weltkriegs die historische Krise des Weltkapitalismus sei und forderte den Aufbau einer neuen Internationale, die die revolutionären Aufgaben der Epoche des Imperialismus erfüllen müsse.

Er erklärte, diese Dritte Internationale könne nur durch unerbittlichsten Kampf gegen alle Formen von nationalem Opportunismus aufgebaut werden - nicht nur denjenigen der Zweiten Internationale, die offen ins Lager ihrer jeweiligen Bourgeoisie übergelaufen war, sondern auch den der "Linken," die versuchten, sie zu decken.

Auf der Grundlage dieser Perspektive führten die Bolschewiki unter der Führung von Lenin und Leo Trotzki im Oktober 1917 die Russische Revolution durch. Die Machtübernahme der russischen Arbeiterklasse, die der Startschuss für die sozialistische Weltrevolution sein sollte, verwirklichte die Forderungen, die durch den Weihnachtsfrieden ausgedrückt wurden, und erzwang ein Ende des Krieges.

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